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57. An Dr. Carl Fuchs.

Basel, Winter 1873/74.

Es ist Sonntag morgen, und ich dachte eben de tranquilitate animi »de tranquillitate animi«, Titel einer Schrift Senecas.
»Ihren Brief«, der Brief ist die Antwort auf eine Anfrage von Dr. Fuchs wegen seiner eventuellen Übersiedelung nach Basel.
nach – da brachte mir Herr Professor Overbeck Ihren Brief, lieber Herr Doktor. Nein, niemand kann Ihnen zu dem Schritte raten, von dem Sie schreiben; es müßte ein heiliger Wahnsinn sein, der Sie vorwärts triebe, wider alle Vernunft, – nun dann würden wir anderen uns so gut wie möglich ins Unvermeidliche schicken und Ihnen zu helfen suchen. Inzwischen müssen wir Ihnen nur so unzweideutig wie möglich sagen, daß Basel für Ihre Lehrerbestrebungen, für Ihre philosophische Kundgebung, für Ihr leidlich-leibliches Fortkommen ein ungeeigneter Boden ist: es sei denn, daß Sie als mönchischer Gelehrter fortleben wollen, der nichts anderes von einem Orte begehrt als Ruhe und Einsamkeit. Beides kann man hier haben – und im Verhältnis zu Ihrem zappeligen, unruhigen Hatz-Berlin will das freilich viel sagen. Aber eigentlich kann man das überall haben, ich sollte meinen, selbst gerade in Berlin oder Paris; man muß nur wenig begehren und sich eine Aufgabe stellen, bei der man gar nicht mehr versucht ist, auf den unruhigen Bildungs-Juden-Pöbel und die ganze anerkannte Öffentlichkeit hinzusehen. Die wahre Einsamkeit liegt in einem großen Werke. Vorlesungen und Akademien – das ist alles nichts oder wenig mehr als der äußerliche Rahmen unsrer Existenz. Sich dahinein zu flüchten, begreifen wir – Overbeck und ich – nicht recht mehr, da wir oft an das Gegenteil gedacht haben, an das Hinausflüchten zu völliger Unbeschränktheit, um an irgendeinem Winkel der Welt, sei es in den einfachsten Verhältnissen, denkend und frei weiterzuleben. Deshalb sind wir wohl auch schwerlich die rechten Ratgeber. Für diesen Ort könnte Ihnen übrigens niemand etwas garantieren; eine Professur für Musik haben wir nicht und bekämen wir nicht: denn zu mehr als zwei akademischen Zuhörern würden Sie es, in einer recht unmusikalischen Stadt, schwerlich bringen. Die bezahlten Professoren der Philosophie sind, wie wir nach einem ganz bestimmten höchst belehrenden Falle Der »höchst belehrende Fall« ist der Dr. Romundts, für dessen Vorwärtskommen in der akademischen Laufbahn sich Basel als recht ungeeignet erwiesen hatte. urteilen müssen, für einen Anhänger Schopenhauers ganz und gar unzugänglich: überhaupt herrscht große Ungeneigtheit gegen jede Förderung dieser »Richtung«. S. Bagge genügt den Baselern, ebenso der Direktor Reiter. Ich habe die Baseler gern und sage dies nicht mit Ironie, sondern nur um Ihnen über die hiesigen Schwächen und Beschränktheiten ein Licht aufzustecken. Man lebt hier teuer, ein Junggesell mit sehr mäßigen Ansprüchen nicht unter und wahrscheinlich über 3000 Franks (800 Taler). Ja wer könnte Ihnen raten, werter Herr Doktor! Ich vermute, daß ich an Ihrer Stelle eine Musikdirektorstelle in einer kleineren Stadt oder noch besser eine einträgliche Organistenstelle begehren würde: dann ließe ich die Welt laufen und erlaubte nicht, daß mich etwas noch hin und her zöge. Wir werden alle ruiniert, wenn wir unruhig werden. – Das ist freilich alles sehr wenig und sehr schwach, leider aber schon viel zu viel für meine Augen. Und so seien Sie nicht böse, daß ich hiermit schließe. Overbeck wünscht ebenso herzlich wie ich, daß Sie einen guten Entschluß fassen mögen – aber, wie gesagt, raten können wir Ihnen nichts. Wer könnte Ihnen raten! Mit warmen Wünschen

Ihr Friedrich Nietzsche.

NB. Die Preisaufgabe wird von seiten des Allgemeinen Deutschen Musikvereins nicht zum zweiten Male wieder gestellt werden.


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