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97. An Peter Gast.

Sils-Maria, 14. August 1881.

Nun, mein lieber guter Freund! Die Augustsonne ist über uns, das Jahr läuft davon, es wird stiller und friedlicher auf Bergen und in den Wäldern. An meinem Horizonte sind Gedanken aufgestiegen, dergleichen ich noch nicht gesehen habe, – »An meinem Horizonte sind Gedanken aufgestiegen, dergleichen ich noch nicht gesehen habe«, der Gedanke der Ewigen Wiederkunft und die Riesengestalt Zarathustras als des Verkünders der Lehre vom Übermenschen. davon will ich nichts verlauten lassen und mich selber in einer unerschütterlichen Ruhe erhalten. Ich werde wohl einige Jahre noch leben müssen! Ach, Freund, mitunter läuft mir die Ahnung durch den Kopf, daß ich eigentlich ein höchst gefährliches Leben lebe, denn ich gehöre zu den Maschinen, welche zerspringen können! Die Intensitäten meines Gefühls machen mich schaudern und lachen – schon ein paarmal konnte ich das Zimmer nicht verlassen, aus dem lächerlichen Grunde, daß meine Augen entzündet waren – wodurch? Ich hatte jedesmal den Tag vorher auf meinen Wanderungen zuviel geweint, und zwar nicht sentimentale Tränen, sondern Tränen des Jauchzens; wobei ich sang und Unsinn redete, erfüllt von einem neuen Blick, den ich vor allen Menschen voraus habe.

Zuletzt – wenn ich nicht meine Kraft aus mir selber nehmen könnte, wenn ich auf Zurufe, Ermutigungen, Tröstungen von außen warten müßte, wo wäre ich! was wäre ich! Es gab wahrhaftig Augenblicke und ganze Zeiten meines Lebens (z. B. das Jahr 1878), wo ich einen kräftigenden Zuspruch, einen zustimmenden Händedruck wie das Labsal aller Labsale empfunden hätte – und gerade da ließen mich alle im Stich, auf welche ich glaubte mich verlassen zu können und die mir jene Wohltat hätten erzeigen können. Jetzt erwarte ichs nicht mehr und empfinde nur ein gewisses trübes Erstaunen, wenn ich z. B. an die Briefe denke, die ich jetzt bekomme, – alles ist so unbedeutend, keiner hat etwas durch mich erlebt, keiner sich einen Gedanken über mich gemacht, – es ist achtbar und wohlwollend, was man mir sagt, aber ferne, ferne, ferne. Auch unser lieber Jakob Burckhardt schrieb so ein kleinlautes verzagtes Brieflein. »Burckhardt schrieb so ein kleinlautes verzagtes Brieflein«, als Dank für die »Morgenröte«.

Dagegen nehme ich es als Belohnung auf, daß dies Jahr mir zweierlei zeigte, das zu mir gehört und mir innig nahe ist: das ist Ihre Musik und diese Landschaft. Das ist keine Schweiz, kein Recoaro, etwas ganz anderes, jedenfalls etwas viel Südlicheres, – ich müßte schon nach den Hochebenen von Mexiko »Das Hochland von Mexiko« schwebte Nietzsche immer als das Land seiner Klimawünsche vor. Vgl. S. 241. am Stillen Ozeane gehen, um etwas Ähnliches zu finden (z. B. Oaxaca) und da allerdings mit tropischer Vegetation. Nun, dies Sils-Maria will ich mir zu erhalten suchen. Und ebenso empfinde ich für Ihre Musik, aber weiß gar nicht, wie ihrer habhaft werden! Notenlesen und Klavierspielen habe ich aus meinen Beschäftigungen ein- für allemal streichen müssen. Die Anschaffung einer Schreibmaschine geht mir im Kopf herum, ich bin in Verbindung mit ihrem Erfinder, einem Dänen aus Kopenhagen.

Was machen Sie im nächsten Winter? Ich nehme an, daß Sie in Wien sein werden. Aber für den darauffolgenden Winter wollen wir uns eine Zusammenkunft ausdenken, wenn auch nur eine kurze, – denn ich weiß jetzt wohl, daß ich nicht zu Ihrem Umgang tauge und daß es Ihnen freier und fruchtbarer zumute ist, wenn ich wieder fortgeflogen bin. Mir liegt andererseits an der immer größeren Befreiung Ihres Gefühls und an dem Erwerbe eines innigen und stolzen Zuhauseseins, in summa an Ihrem glücklichen, allerglücklichsten Schaffen und Reifwerden so unbeschreiblich viel, daß ich mich in jede Lage leicht finden werde, welche aus den Bedingungen Ihrer Natur erwächst. Ich habe nie gegen Sie irgendwelche häßlichen Gefühle, vertrauen Sie darauf, lieber Freund! –

Sagen Sie mir noch beiläufig, wie man jetzt deutsches Papiergeld in Italien verkauft (für italienisches Papier), ich meine, was der Kurs ist.

Die Adresse von Fräulein von Meysenbug habe ich auch nicht im Kopfe; jetzt wird sie wohl mit Monods irgendwo zusammen sitzen; ich meine, Hr. Schmeitzner mag das Exemplar nach Paris schicken. – Mit Hrn. Schmeitzner ist alles aufs schonendste ausgeglichen; ich habe mir vorgenommen, ihn nicht dafür leiden zu lassen, daß ich auf voreilige Schlüsse hin manches von ihm erwartete, was nicht zu seiner Natur gehört.

In herzlicher Freundschaft und Dankbarkeit

Ihr F. N.

(Ich bin viel krank gewesen.)


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