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132. An Peter Gast.

Cannobio, 19. April 1887.
Villa Badia, Dienstag.

Wirklich, lieber Freund, meine Karte war ohne alle Hintergedanken, ein reiner Ausdruck der Dankbarkeit gegen Sie und Venedig (Vergebung, wenn das in mir durcheinandergewachsen ist: Frühling, Venedig und Ihre Musik weiß ich nicht mehr auseinanderzuhalten – wozu auch! ich Habs zusammen erlebt!) Nun aber, nach Ihrer Karte, nach Ihrem verführerischen Bilde, mit dem auch größere Asketen zu verlocken wären als ich bin, nun kommen die Hintergedanken: oder vielmehr, ich bin bereits entschlossen, am 1. Mai meine Frühlingspilgerschaft zu Ihrer Stadt anzutreten. Vielleicht aber reden Sie es mir noch aus? Vielleicht ist die Stadt überfüllt? Wohnung nur zu extremen Preisen zu haben? (Beiläufig: hat die alte Östreicherin am Canal grande vermietet?) Dann aber – es ist kein Zweifel, daß mir jetzt eine Erholung, eine Abziehung von mir im höchsten Grade not tut: ich hatte an eine Kaltwasserkur in der Schweiz gedacht, fürchte mich aber vor den Schweizern noch mehr als vor der Einsamkeit. Ich würde viel darum geben, mit Ihnen einige aesthetica zu reden, Prinzipielles, wozu mich Ihre eigne Musik immer wieder treibt. (»Wir« entbehren eigentlich aller musikalischen Ästhetik und wissen unsre Werte, wie wir sie stark genug empfinden, nicht recht mehr zu begründen: bei mir ein wahrer Notstand!) Die ganze Stellung der Kunst ist mir zum Problem geworden: und, psychologisch geredet, was ging eigentlich in Ihnen vor, als Sie den Mut zu Ihrem jetzigen Geschmack gewannen? und was in mir, als ich mich Wagnern entfremdete (und vor W. schon der Schumannschen Musik)? Ich will dahinterkommen, warum Ihre »Löwenmusik« mir in dem Maße erquicklich, heilkräftig, innig, heiter, verklärt erscheint, wie – nun zum Beispiel wie Goethes Löwennovelle »Goethes Löwennovelle«, vgl. Biogr. I S. 78. (Sie kennen sie doch? es ist der frühste und stärkste Eindruck, den ich von Goethe habe) oder wie Stifters »Nachsommer«. In dieser Richtung liegt noch eine ganze Welt der Schönheit: und es gäbe kaum ein größeres Leidwesen für mich als zu denken, daß die traurigen Kruditäten der letzten Jahre Sie, lieber Freund, von dieser einmal entdeckten Welt abspenstig machen sollten. Ich segne Venedig, das alte und das neue, weil es nun einmal Ihre Muschel ist: und ich ehre Ihre Konchylienabgeschlossenheit zu hoch in meiner Seele, als daß mir nicht immer einiges Mißtrauen kommt, wenn ich eine Reise nach Venedig ins Auge fasse.

Ihren Aufsatz »Ihren Aufsatz«, mit dem Titel »Delenda Venetia« in der »Süddeutschen Presse«, April 1887. habe ich mit ungeheurem Vergnügen gelesen: er ist, wenn mir das zu sagen erlaubt ist, in einem Stile geschrieben, der Nietzschischer gar nicht gedacht werden kann. Es gibt so viel Geheimnisse des Rhythmus, der Satzkadenzen, von denen meine Leser nichts wissen, meinen Leser ausgenommen!

Eben sendet Fritzsch den vorletzten Bogen des V. Buchs. Wollen wir das Fertigwerden der »Fröhlichen Wissenschaft«, im Grunde das Fertigwerden meiner ganzen bisherigen »Literatur« zusammen feiern? Ich fühle, daß es jetzt einen Abschnitt in meinem Leben gibt – und daß ich nun die ganze große Aufgabe vor mir habe! Vor mir und, noch mehr, auf mir!

Im übrigen würde ich in Venedig still und abseits, wie ein Englein leben, kein Fleisch essen, und alles vermeiden, was die Seele düster und gespannt macht. Kürzlich noch schrieb ich an Overbeck, daß ich nur einen einzigen Ort auf der Erde liebe, nämlich Venedig.

Bitte, alter Freund, sagen Sie, soll ich kommen? ...

Ihr Nietzsche.


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