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101. An Malwida von Meysenbug.

Genua, Februar 1882.

Mein hochverehrtes Fräulein, eigentlich haben wir voneinander schon einen letzten Abschied genommen – »eigentlich haben wir voneinander schon einen letzten Abschied genommen«, vgl. Brief an Malwida von Meysenbug vom 14. Januar 1880, S. 223 ff. und es war meine Ehrfurcht vor solchen letzten Worten, welche mich für so lange Zeit vor Ihnen stumm gemacht hat. Inzwischen ist Lebenskraft und jede Art von Kraft in mir tätig gewesen: und so lebe ich denn ein zweites Dasein und höre mit Entzücken, daß Sie den Glauben an ein solches zweites Dasein bei mir niemals ganz verloren haben. Ich bitte Sie heute, recht lange, lange noch zu leben: so sollen Sie auch an mir noch Freude erleben. Aber ich darf nichts beschleunigen – der Bogen, in dem meine Bahn läuft, ist groß, und ich muß an jeder Stelle desselben gleich gründlich und energisch gelebt und gedacht haben: ich muß noch lange, lange jung sein, ob ich mich gleich schon den Vierzigern nähere. – Daß jetzt alle Welt mich allein läßt, darüber beklage ich mich nicht, – ich finde es vielmehr erstens nützlich und zweitens natürlich. So ist es und war es immer die Regel. Auch Wagners Verhalten zu mir gehört unter diese Trivialität der Regel. Überdies ist er der Mann seiner Partei; und der Zufall seines Lebens hat ihm eine so zufällige und unvollständige Bildung gegeben, daß er weder die Schwere noch die Notwendigkeit meiner Art von Leidenschaft begreifen kann. Die Vorstellung, daß Wagner einmal geglaubt haben kann, ich teilte seine Meinungen, macht mich jetzt erröten. Zuletzt, wenn ich mich über meine Zukunft nicht ganz täusche, wird in meiner Wirkung der beste Teil der Wagnerschen Wirkung fortleben – und das ist beinahe das Lustige an der Sache. – – –

Senden Sie mir, ich bitte Sie, Ihren Aufsatz über Pieve di Cadore: : »Ausschweifung ins Cadore«, Pieve di Cadore, die Heimat Tizians, vgl. S. 325. ich wandle gern Ihren Spuren nach. Vor zwei Jahren habe ich gerade diesen Ort sehnsüchtig ins Auge gefaßt. – Glauben Sie dem nicht, was Freund Rée von mir sagt – er hat eine zu gute Meinung von mir – oder vielmehr: ich bin das Opfer seines idealistischen Triebes. –

Von Herzen Ihnen ergeben und immer der Alte noch, wenn auch der Neue

Friedrich Nietzsche.


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