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48. An Erwin Rohde.

Basel, 8. Juni 1872.

Siehst Du, mein lieber, lieber Freund, wie anstößig wir sind! »Siehst du« usw., der Brief bezieht sich auf die Broschüre von Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf: Zukunftsphilologie! Eine Erwiderung auf Friedrich Nietzsches ord. Professors der klassischen Philologie zu Basel »Geburt der Tragödie«. Berlin 1872. Wir werden auch bald erfahren, wie einsam wir sind. Nun müssen wir ehrsam auf unserem Posten stehenbleiben. Wenn Du mir gerade jetzt zur Seite trittst, als kräftigster speerschwingender Waffengefährte, so erinnere ich Dich förmlich daran, daß ϰελαινοῦ ϰύματος πιϰρὸν μένος ϰελαινοῦ ϰύματος πιϰρὸν μένος aus Aeschylus Eumen. 832 f.
πὶ δὲ τϖ τεϑυμένῷ ... Aeschylus Eumen. 329f.
sich schnell auch gegen Dich wenden wird. Doch darüber müssen wir uns gemeinsam trösten. Alles, was Du tun willst, sei von meiner Liebe gesegnet! Wir wollen treulich miteinander aushalten, lieber Freund, in ernsteren Kalamitäten als der gegenwärtigen. Denn dies ist nur ein unverschämtes Vorspiel, von ungeübter, knabenhafter Hand gespielt: – wir ahnen erst die »Weise«, die uns aus dem Kreise der »Höheren« einmal entgegenklingen wird – ὶ δὲ τῷ τεϑυμένϣ, τόδε μέλος παραϰοπὰ παραφορά. –

Gersdorff benachrichtigte mich über den ungefähren Inhalt jenes Pamphlets: so nur halb belehrt und über die Form unsicher, war auch ich etwas nervös erregt; seit gestern habe ich die Schrift in den Händen und bin ganz ruhig. Ich bin weder so unwissend, wie mich der Verfasser darstellt, noch so bar der Wahrheitsliebe: die ärmliche Gelehrsamkeit, die er prunkend aufzeigt, muß man freilich etwas an den Schuhen abgelaufen haben, ehe man über solche Probleme mitreden darf. Nur durch die frechsten Interpretationen erreicht er, was er will. Dabei hat er mich schlecht gelesen, denn er versteht mich weder im ganzen noch im einzelnen. Er muß noch sehr unreif sein – offenbar hat man ihn benutzt, stimuliert, aufgehetzt – alles atmet Berlin. Denke Dir, daß er mich im vorigen Herbst besuchte, in Naumburg, in der Form der Verehrung, und daß ich selbst ihm geraten habe, meine demnächst erscheinende Schrift ernst zu nehmen. Das hat er, in seiner Art, getan.

Es hilft nichts, man muß ihn schlachten, obwohl das Bürschchen gewiß nur verführt ist. Aber es ist wegen des bösen Beispiels und wegen des voraussichtlich enormen Einflusses einer solchen Lug- und Trugbroschüre nötig. Zum Dank dafür, daß Du ihn schlachtest, wird er dann irgendwo eine Professur bekommen und glücklich sein.

Vor allem aber, lieber Freund, wollen wir die Sache hoch und ernst nehmen, in unserer Weise; und den kritischen Gesellen auch nur als einen Typus in Betracht ziehn: in diesem Sinne bin ich herzlich erfreut, daß Du den Gedanken eines Sendschreibens an Wagner festgehalten hast. Daß Du hierin zu mir stehst, das wird allerdings ein unerhörtes Aufsehn unter dem philologischen Bienenstock machen; ich danke Dir von Herzen für diese Absicht. Fritzsch muß seine Sache schnell und schön machen, des bin ich überzeugt.

Nun leb wohl, mein lieber, treuer Freund! Wir dürfen mutig und erhaben sein! Wir dürfen es!

Adieu! Geliebter Zukunftsphilolog!

Dein F. N.


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