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76. An Frau Marie Baumgartner.

Rosenlauibad, 30. August 1877.

Hier, meine liebe und verehrte Frau, ein Briefchen als Vorreiter meiner Ankunft in Basel – nicht als Antwort auf Ihren guten wie immer seelenreichen Brief. Wenn es mir mannichmal graute, an die Dämmerung meiner Baseler Existenz in diesem kommenden Winter zu denken, so fiel mir auch immer Ihre trauliche Stube und Ihr herzliches Empfinden ein. »Entbehren sollst du, mußt entbehren« heißt es ja überall, in jedem Menschenleben: da müssen die guten Freunde schön aneinanderhalten, damit es doch ein warmes Plätzchen in der Welt gibt, wohin die Öde des Entbehrens nicht hinein darf.

Mir ist jetzt immer deutlicher geworden, daß es eigentlich der übergroße Zwang war, den ich mir selbst in Basel antun mußte, an dem ich zuletzt krank geworden bin; die Widerstandskraft war endlich gebrochen. Ich weiß es, fühle es, daß es eine höhere Bestimmung für mich gibt, als sie sich in meiner Baseler so achtbaren Stellung ausspricht; auch bin ich mehr als ein Philologe, so sehr ich für meine höhere Aufgabe auch die Philologie selbst gebrauchen kann. »Ich lechze nach mir« – das war eigentlich das fortwährende Thema meiner letzten zehn Jahre. Jetzt, wo durch ein Jahr Zusammensein mit mir selbst alles ganz deutlich und übersichtlich geworden ist (– ich kann nicht aussprechen, wie reich, wie schaffensfreudig, trotz allen Schmerzen, ich mich fühle, sobald man mich allein läßt –), jetzt sage ich Ihnen auch mit Bewußtsein, daß ich nicht nach Basel zurückkehre, um dort zu bleiben. Wie es sich gestalten wird, ich weiß es nicht; aber meine Freiheit (– ach, die äußeren Bedingungen dazu sollen so bescheiden wie möglich sein –), diese Freiheit werde ich mir erobern.

Nun helfen und sinnen Sie mit, aus gutem freundschaftlichem Herzen, wie ich es zunächst wieder ertrage.

Ihr lieber Sohn geht nach Jena! Das hat mich sehr erfreut, ich wüßte ihm auch nichts Besseres zu raten. Rohde ist der begabteste und tüchtigste der jungen Philologen. – Aber ich sehe ihn noch im September? so schreibt mir meine Schwester, die arme, die jetzt wieder das Haus in Stand zu bringen hat.

Also auf Wiedersehen in Kürze.

Treulich der Ihre
Friedrich Nietzsche.

30. August.


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