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59. An Erwin Rohde.

Basel, 15. Februar 1874.

Einen schönen Sonntagsgruß zuvor, liebster Freund! Lebst Du im grauen Norden? Wir haben so reine, warme Tage und viel Sonnenschein, ja sogar schon tieffarbige Sonnenuntergänge. Der ganze Winter hat uns einen einzigen Schneetag gegeben. Seit Neujahr habe ich auch vernünftiger und sorgfältiger gelebt, so daß ich mein Befinden heute loben kann. Nur die Augen! Ein Schreiber tut mir not! Zwar ist mir hier, seit einem halben Jahr, ein äußerst sympathischer talentvoller Schüler erwachsen, der bereits recht zu uns allen gehört: Baumgartner mit Namen, ein Elsasser, Sohn eines Mülhausener Fabrikanten. Der kommt jeden Mittwoch nachmittag und bleibt den Abend; da wird diktiert, vorgelesen, Briefe geschrieben. Kurz, das ist ein rechter Gewinn für mich und, wie ich verspreche, einstmals für uns alle. Ostern will ich wieder nach Naumburg, um dort noch einmal recht systematisch der Ruhe und der Gesundheit zu leben: so werde ichs denn auf die Dauer schon aushalten. Seit Weihnachten habe ich vielerlei durchgedacht und mußte in so entfernten Gegenden schweifen, daß ich, beim Eintreffen der Korrekturbogen, »Korrekturbogen«, es handelt sich hier wie im Folgenden um die Unzeitgemäße Betrachtung »Vom Nutzen und Nachteil der Historie«.öfters zweifelte, wann ich dies Zeug eigentlich geschrieben habe, ja ob das alles von mir sei. Ich löcke jetzt sehr stark wider den Stachel der politischen und Bürgertugendpflichten und bin gelegentlich selbst über das »Nationale« hinausgeschwiffen – Gott bessere es und mich!

Du hast, bei aller Deiner Not, nun auch noch die Korrekturnot gehabt, guter treuer Freund. Jedes Winkchen ist dankbarlich benutzt (»ausgelitzt«) »ausgelitzt« kommt mehrfach in Nietzsches Briefen vor; »litzen« ist ein alemannisches Wort = falten, auch schneiden, vgl. Grimms Wörterbuch s. v. worden, und mancher Flecken ist durch Deine Hand abgestreift worden. Eine Anzahl Sonderlichkeiten gingen übrigens nicht auf mich, sondern auf die Abschrift meines schwer leserlichen Manuskriptes zurück. Leider habe ich gerade für den letzten Bogen Deine Hilfe nicht mehr benutzen können. Ich glaubte, aus mehreren Gründen, man habe vergessen, Dir den letzten Bogen zuzusenden, und die Sache hatte Eile. Glücklicherweise habe ich den ärgsten Anstoß selbst gehoben, auch durch Streichen von zirka einer Seite Text die Schlußpartien etwas erleichtert. Eine gewisse Allgemeinheit war übrigens geboten, weil ich Rücksichten auf speziellere Ausführungen in späteren Unzeitgemäßheiten zu nehmen hatte. So mag denn das Untier laufen – wem wirds Freude machen? Wer wirds auch nur lesen! Ich glaube, man wird auf eine ungeheure Dummheit bei mir schließen – und man wird wirklich recht haben! Nur halte ich es wirklich in der Gescheitheit nicht mehr aus und ziehe mich auf mich selbst zurück. Ich kann wirklich nicht anders; aber nicht wahr, Du wirst mich deshalb nicht gleich verachten? Denn ich denke eigentlich, daß Du mich in diesen Dingen übersiehest – und ein Recht dazu hast, liebster Freund! An meine Mit-Philologen denkend, fühle ich mitunter selbst so etwas wie Scham. Doch glaube ich nicht, daß man mich leicht aus der Bahn bringt, – und erst will ich mich einmal ganz aussprechen: es gibt doch keine größere Wohltat, die man sich erweisen kann! Wenn Du Dein Exemplar hast (hoffentlich vor zwei Wochen), bitte ich Dich noch um eins: sage mir doch mit Härte und Kürze Fehler, Manieren und Gefahren meiner Darstellung, – denn darin genüge ich mir nicht und erstrebe etwas ganz anderes. Also hilf mir mit kurzen Winken, ich werde sehr dankbar sein.

Über Bayreuth gibt es etwas Neues und wenn nur Wahres! Eine ganz ausdrückliche Notiz des Mannheimer Journals (dem Organon Heckels) bringt aus bester Quelle (d. h. Frau Wagner), daß die Aufführungen jetzt endgültig gesichert sind. So wäre denn das Wunder geschehen! Hoffen wir! Es war ein trostloser Zustand, seit Neujahr, vor dem ich mich endlich nur auf die wunderlichste Weise retten konnte: ich begann mit der größten Kälte der Betrachtung zu untersuchen, weshalb das Unternehmen mißlungen sei: dabei habe ich viel gelernt und glaube jetzt Wagner viel besser zu verstehen als früher. Ist das »Wunder« wahr, so wirft es das Resultat meiner Betrachtungen nicht um. Aber glücklich wollen wir sein und ein Fest feiern, wenn es wahr ist!

Hat man Dich denn nicht nach Greifswald berufen, an des SchoelliiStelle? Aber irgendwas muß doch geschehen. Wie ich höre, geht Köchly nach Berlin, als Nachfolger von Haupt, – wenigstens schwätzen die Zeitungen davon. Nun, vielleicht die Heidelberger Professur! Das wäre etwas, nachdem Freiburg mißglückt ist! – Und wie steht es mit Deinem »Roman«?

Das weißt Du noch nicht, daß wir Heinze als Philosophen bekommen haben; Romundt ist nicht akzeptiert, die Angst vor Schopenhauer trat naiv auf ( nicht bei Vischer, aber er ist nicht allmächtig).

Man hat mich zu einer italienischen Revue eingeladen, die in Buchform erscheinen wird; ich habe abgesagt, ebenso Jakob Burckhardt.

Frl. v. Meysenbug ist wieder krank und in San Remo bei Nizza angelangt, von wo sie mir rührend schrieb. Olga Monod hat einen Knaben. Gersdorff, der göttliche Landedelmann, ist meiner Phantasie jetzt das Vorbild: wir sollten uns alle Landgüter erwerben und dann still und tapfer bis zu Ende leben. Aber so wie so: immer vorwärts mit strengem Fechten! »vorwärts mit strengem Fechten«, Devise eines brandenburgischen Markgrafen aus der Reformationszeit.

Adieu, geliebter Freund!
Dein
Friedrich N.

Basel, Mitte Februar.


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