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10. An Mutter und Schwester.

Leipzig, 31. Oktober 1866.

Liebe Mama und Lisbeth,

endlich kommt mein Brief, und zwar ziemlich inhaltsarm; wenigstens gibt er Euch Gewißheit über mein Leben, wenn ich gleich hoffe, daß Ihr Euch darüber keine Zweifel gemacht habt. Sonst enthält er nichts, als was meine Arbeiten betrifft, dergleichen Dinge Ihr zwar nebenbei mit in den Kauf nehmt, aber ungern genug.

Unser Kösener Leben, sowie überhaupt dieses letzte in Eurer Nähe zugebrachte Vierteljahr ist mir in seiner naiven Harmlosigkeit eine angenehme Erinnerung, vornehmlich deshalb, weil ich gemächlich arbeiten konnte und nicht zu oft mit den unvermeidlichen Vergnügungen der Städter belästigt wurde; als welche in zu engem oder gar gepumptem Fracke einherzugehen pflegen. Hier in Leipzig bin ich wieder in meine alte Ordnung eingetreten oder vielmehr in eine ordentlichere Ordnung als z. B. in diesem Sommersemester, das durch seine kriegerischen Aufregungen auch den Frieden der Studierstube recht unliebsam unterbrach und verwirrte. Besonders bin ich befriedigt darüber, eher hier eingetroffen zu sein, als die ganze Schar der »Musensöhne« und die alltäglichen Kollegien sich wieder beieinander eingefunden haben. Einige meiner näheren Bekannten, wie Windisch, Röscher, Romundt, sind auch schon hier, und so vermisse ich auch den Umgang mit Freunden nicht.

Dindorf habe ich einen, Ritschl zwei Besuche gemacht und bin von beiden mit sehr viel Freundlichkeit aufgenommen worden. Ich hoffe, daß die Äschylusangelegenheit »Äschylusangelegenheit«, Nietzsche wollte es übernehmen, im Auftrag Prof. Dindorfs einen neuen index zu Äschylus anzufertigen; der Plan kam indessen nicht zur Ausführung, vgl. Biogr. I S. 237f. einen guten Gang nimmt, und zwar so, daß ich mir nichts Übermäßiges aufbürde und nicht zuviel Verantwortung trage, dabei aber anständig honoriert werde. Wenn Du Dich erinnerst, liebe M., was ich nach Dr. Simons Vorstellung und nach der allgemeinen Sitte von einem Verleger bei dem ersten Werk fordern kann – nämlich gar nichts –, so wird Dir die Summe von c. 500 Tlr. ziemlich beträchtlich vorkommen; diese will mir Dindorf bei Teubner durch seinen Einfluß auswirken. Also ungefähr ist der Bogen mit 10 Tlr. bezahlt. Dabei ist die Arbeit eine viel leichtere, als ich mir vorgestellt hatte, und, wie gesagt, auch die Verantwortung ist eine geringere. Einige andre kleinere Arbeiten, wo ich aber mehr mit dem Kopfe leisten muß als in der Äschylusarbeit mit der Hand, zeigen sich auch wieder – dank Ritschl – in der Ferne. Durch die Empfehlung des genannten Mannes habe ich auch jetzt Zutritt zu der Ratsbibliothek Leipzigs und zu ihren zahlreichen handschriftlichen Schätzen. Dort bin ich oft in den Nachmittagsstunden und vergleiche eben einen Codex des 11. Jahrhunderts.

Auch die Universitätsbibliothek muß mir täglich Bücher ausspeien, und doch fehlt mir immer so viel. Dindorf verlangt, daß ich eine leidliche Bibliothek besitze, d. h. er hält es ebenso für notwendig wie ich selbst. Von Simon habe ich nun Nachricht aus Berlin, werde aber doch nicht auf seine Propositionen eingehen. Nämlich: außer den besorgten 60 Tlr. jährlich sind immer noch die Zinsen der übrigbleibenden Summe nachzuzahlen, so daß ich zwar 500 Tlr. Bücher sogleich bekomme, diese aber in 12 Jahren mit 720 Tlr. c. bezahle: was mir doch zu unpraktisch vorkommt, wie ihm übrigens selbst. Dagegen wirst Du, sowie der Vormund nichts dagegen haben, wenn ich mir in Hinblick auf die zu erwartenden 500 Tlr. etwa für 60 Tlr. die nötigsten Bücher zulege. Worüber ich nächstens an ihn schreiben werde.

Aus Pforte habe ich noch keine Nachricht: Du wirst mir einen Gefallen tun und einmal an Schenk schreiben: »er möge zu dem Hausverwalter gehen, ihm sagen, daß mir kein Schreiben aus Pforte zugekommen wäre, daß ich zu wissen wünschte, was ich ihm zu schicken hätte, wenn ich das betreffende Stipendium bekommen sollte«.

Zuletzt bitte ich Euch, in betreff meiner Angelegenheiten gegen jedermann stumm zu sein; auch gegen solche, die zum Teil etwas davon wissen. Ich studiere in Leipzig, und es geht mir leidlich: dies beides ist kein Geheimnis, und Ihr dürft es sagen. Ebenso daß der grünweiße Patriotismus in Sachsen blüht, daß grünweiße und schwarzrotgoldne Fahnen an den Häusern flattern und neulich die ersten sächsischen Truppenzüge von vielen Tausenden auf dem Bahnhofe empfangen wurden [– –].

Euer
Friedrich Nietzsche, als Sohn
und Bruder.

31. Oktober 1866.


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