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119. An Erwin Rohde.

Nizza, 22. Februar 1884.

Mein alter lieber Freund,

ich weiß nicht, wie es zuging: aber als ich Deinen letzten Brief las und namentlich als ich das liebliche Kinderbild sah, da war mirs, als ob Du mir die Hand drücktest und mich dabei schwermütig ansähest: schwermütig, als ob Du sagen wolltest: »Wie ist es nur möglich, daß wir so wenig noch gemein haben und wie in verschiedenen Welten leben! Und einstmals – –«

Und so, Freund, geht es mir mit allen Menschen, die mir lieb sind: alles ist vorbei, Vergangenheit, Schonung; man sieht sich noch, man redet, um nicht zu schweigen –, man schreibt sich Briefe noch, um nicht zu schweigen. Die Wahrheit aber spricht der Blick aus: und der sagt mir (ich höre es gut genug!): »Freund Nietzsche, Du bist nun ganz allein

So weit habe ichs nun wirklich gebracht. –

Inzwischen gehe ich meinen Gang weiter, eigentlich ists eine Fahrt, eine Meerfahrt – und ich habe nicht umsonst jahrelang in der Stadt des Kolumbus gelebt. – –

Mein »Zarathustra« ist fertig geworden, in seinen drei Akten: den ersten hast Du, die beiden andern hoffe ich in 4-6 Wochen Dir senden zu können. Es ist eine Art Abgrund der Zukunft, etwas Schauerliches, namentlich in seiner Glückseligkeit. Es ist alles drin mein eigen, ohne Vorbild, Vergleich, Vorgänger; wer einmal darin gelebt hat, der kommt mit einem andern Gesichte wieder zur Welt zurück.

Aber davon soll man nicht reden. Für Dich aber, als einen homo litteratus, will ich ein Bekenntnis nicht zurückhalten: – ich bilde mir ein, mit diesem »Zarathustra« die deutsche Sprache zu ihrer Vollendung gebracht zu haben. Es war, nach Luther und Goethe, noch ein dritter Schritt zu tun –; sieh zu, alter Herzenskamerad, ob Kraft, Geschmeidigkeit und Wohllaut je schon in unsrer Sprache so beieinander gewesen sind. Lies Goethe nach einer Seite meines Buchs – und Du wirst fühlen, daß jenes »Undulatorische«, das Goethen als Zeichner anhaftete, auch dem Sprachbildner nicht fremd blieb. Ich habe die strengere, männlichere Linie vor ihm voraus, ohne doch, mit Luther, unter die Rüpel zu geraten. Mein Stil ist ein Tanz; ein Spiel der Symmetrien aller Art und ein Überspringen und Verspotten dieser Symmetrien. Das geht bis in die Wahl der Vokale. –

Verzeihung! Ich werde mich hüten, dies Bekenntnis einem andern zu machen, aber Du hast einmal, ich glaube als der einzige, mir eine Freude an meiner Sprache ausgedrückt. –

Übrigens bin ich Dichter bis zu jeder Grenze dieses Begriffs geblieben, ob ich mich schon tüchtig mit dem Gegenteil aller Dichterei tyrannisiert habe.

Ach, Freund, was für ein tolles, verschwiegenes Leben lebe ich! So allein, allein! So ohne »Kinder«!

Bleibe mir gut, ich bins Dir wahrhaftig.

Dein F. N.


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