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20. An Erwin Rohde.

Naumburg und Leipzig, Anfang Januar 1868.

Mein lieber Freund,

bevor ich heute auf alle unsre gemeinsamen Herzensdinge kommen kann, will Bileams Eselein »Bileams Eselein«, bezieht sich auf den erwähnten Aufsatz Rohdes über Lukians Λούϰιος ἢ ὄνοςeinige Worte verlauten lassen. Selbiges Getier wunderte sich nämlich sehr über jenen nach Hamburg geschickten Druckbogen; jetzt aber ist es durch den Obersten der Drugulinschen Druckerei aufgeklärt und denkt fürderhin wie ein aufgeklärter Setzer. Die erste Korrektur nämlich habe ich besorgt: da es aber Träumerei ist, durch einen einzigen Angriff dem Setzer seine Liebhabereien für verrückte Worte und barbarisches Griechisch zu verleiden, so wurde Dir – dem als Autor natürlich eine ganz andere Autorität zur Seite steht (um mit R. Wagner zu reden) – die zweite Korrektur übertragen und mir nun hinwiederum die dritte: welche auch bereits besorgt ist. Hoffen wir denn also, daß das neu gebackne Geschöpfchen bald munter und guter Dinge umherspringe, Γλαυϰίδιον in Backfischrollen vergleichbar. Der Himmel schenke Dir und mir immer so gute Hebammen wie den Dr. Engelmann: dem Du vielleicht schon ein paar Zeilen geschrieben hast, zumal er den Wunsch hat, Dich kennen zu lernen. – Und damit verstummt das Eselein, und die Menschen dürfen wieder reden.

Ach lieber Freund, was für einen schönen Weihnachtsgruß hast Du mir nach Naumburg geschickt. Am ersten Festmorgen war es, und Festglocken läuteten. Die ganze Welt ist an diesem Morgen beschenkt und deshalb ein wenig besser als im ganzen andern Jahr. Ich selbst zog mit geblähter Nase die warme Temperatur der Heimat ein: siehe, da kam der Briefträger und machte meine Freude voll. NB. Wer sich als Einsiedler zu fühlen gewöhnt hat, wer mit kalten Blicken durch alle die gesellschaftlichen und kameradschaftlichen Verbindungen hindurchsieht und die winzigen und zwirnfädigen Bändchen merkt, die Menschen an Menschen knüpfen, Bändchen so fest, daß ein Windhäuchchen sie zerbläst: wer dazu die Einsicht hat, daß nicht die Flamme des Genies ihn zum Einsiedler macht, jene Flamme, aus deren Lichtkreis alles flieht, weil es, von ihr beleuchtet, so totentanzmäßig, so narrenhaft, spindeldürr und eitel erscheint: nein, wer einsam ist vermöge einer Naturmarotte, vermöge einer seltsam gebrauten Mischung von Wünschen, Talenten und Willensstrebungen, der weiß, welch »ein unbegreiflich hohes Wunder« ein Freund ist; und wenn er ein Götzendiener ist, so muß er vor allem »dem unbekannten Gotte, der den Freund schuf« einen Altar errichten. Ich habe hier Gelegenheit mir die Ingredienzen eines glücklichen Familienlebens in der Nähe anzusehn: hier ist kein Vergleich in der Höhe, mit der Singularität der Freundschaft. Das Gefühl im Hausrock, das Alltäglichste und Trivialste überschimmert von diesem behaglich sich dehnenden Gefühl – das ist Familienglück, das viel zu häufig ist, um viel wert sein zu können. Aber Freundschaften? – es gibt Menschen, die an ihrer Existenz zweifeln. Ja, es ist eine ausgesuchte Gourmandise, die nur wenigen zuteil wird, jenen ermatteten Wanderern, »denen der Lebensweg ein Weg durch die Wüste ist«: sie tröstet ein freundlicher Dämon, wenn sie im Sande liegen, ihnen netzt er die verdorrten Lippen mit dem Götternektar der Freundschaft. Diese wenigen aber singen in den Klüften und Höhlen, wo sie ungestört vom Weltlärm ihren Göttern opfern, schöne Hymnen auf die Freundschaft, und der alte Oberpriester Schopenhauer schwenkt dazu den Weihkessel seiner Philosophie.

An der mit NB. bezeichneten Stelle kam eine Nachricht, »Kam eine Nachricht«, betrifft die Berufung Nietzsches als Universitätsprofessor nach Basel, die in der Tat für Ostern 1869 erfolgte. die mich in die Stadt rief, sobald der Bogen vollgeschrieben war: jetzt zurückgekommen, zittre ich in allen Gliedern und kann mich nicht einmal dadurch befreien, daß ich Dir mein Herz ausschütte. Absit diabolus! Adsit amicissimus Erwinus!


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