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118. An Malwida von Meysenbug.

Nizza, Februar 1884.

Meine verehrte Freundin,

aus tiefer Arbeit heraus ein Wort! Und damit ist im Grunde auch alles schon gesagt: meine Entschuldigung für Nicht-Schreiben, Nicht-Kommen und was ich sonst noch für »Schuld« gegen Sie auf dem Herzen haben mag.–

Nizza ist, in der auffälligsten Weise, der erste Ort, der meinem Kopf (und sogar meinen Augen!) wohltut; und ich ärgere mich, so spät zu dieser Einsicht gekommen zu sein. Was ich brauche, erstens, zweitens und drittens: das ist Heiterkeit des Himmels und Sonnenschein ohne jegliches Wölkchen, gar nicht zu reden vom Scirocco, meinem Todfeinde. Nizza hat im Jahre durchschnittlich 220 solcher Tage, wie ich sie brauche: unter diesem Himmel will ich schon das Werk meines Lebens vorwärts bringen, das härteste und entsagungsreichste Werk, das sich ein Sterblicher auflegen kann. – Ich habe niemanden, der darum weiß: niemanden, den ich stark genug wüßte, mir zu helfen. Es ist die Form meiner Menschlichkeit, über meine letzten Absichten hübsch schweigsam zu leben; und außerdem auch die Sache der Klugheit und Selbsterhaltung. Wer liefe nicht von mir davon! – wenn er dahinter käme, was für Pflichten aus meiner Denkweise wachsen. Auch Sie! Auch Sie, meine hochverehrte Freundin! – Diesen würde ich zerbrechen und jenen verderben: lassen Sie mich nur in meiner Einsamkeit!!!

[– –] Es war zuletzt eine Eselei von mir, mich »unter die Menschen« zu begeben: ich mußte es ja voraus wissen, was mir da begegnen werde.

Die Hauptsache aber ist die: ich habe Dinge auf meiner Seele, die hundertmal schwerer zu tragen sind als la bêtise humaine. Es ist möglich, daß ich für alle kommenden Menschen ein Verhängnis, das Verhängnis bin, – und es ist folglich sehr möglich, daß ich eines Tages stumm werde, aus Menschenliebe!!!

Ich blätterte dieser Tage einmal in Schopenhauer – ah, diese bêtise allemande – was ich das satt habe! Die verdirbt alle großen Dinge! Auch den »Pessimismus«! –

Haben Sie davon gehört, daß mein »Zarathustra« fertig ist? (in 3 Teilen – Sie kennen den ersten davon). Eine Vorhalle zu meiner Philosophie – für mich gebaut, mir Mut zu machen. Schweigen wir davon. –

Ah, was ich jetzt Musik nötig hätte! Was ich es bedaure, daß die Gräfin Dönhoff nicht hier ist! Ob schon je ein Mensch solchen Durst nach Musik gehabt hat? –

Bleiben wir tapfer und guter Dinge, ein jeder auf seinen zwei Beinen! –

Das Herzlichste und Beste für Sie und das geliebte edle Wesen, »Das geliebte edle Wesen«, die Pflegetochter von Malwida von Meysenbug, Frau Olga Monod. das zu meiner Freude jetzt bei Ihnen ist!

Ihr Freund
Nietzsche.


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