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134. An die Schwester.

Chur, 21. Mai 1887.

Meine geliebte Schwester.

Dein guter Brief ist gestern bei mir angelangt, bei Deinem einsiedlerischen Bruder, dem von außen her selten etwas Gutes kommt und der im allgemeinen eine kleine Furcht vor der Post hat. Um so mehr freut er sich, wenn etwas kommt, was so viel Güte des Herzens verrät. Sonderbar: aber es scheint mir, daß in den letzten Jahren mein Mißtrauen dergestalt überhand genommen hat, daß es wie eine Krankheit ist. Auch wird mir Jahr für Jahr schwerer; und die schlimmsten und schmerzhaftesten Zeiten meiner Gesundheit erschienen mir nicht so drückend und hoffnungsarm wie meine jetzige Gegenwart. Was ist denn geschehen? Nichts als was notwendig war, – meine Differenz mit allen Menschen, von denen ich bis dahin Vertrauen empfangen hatte, ist ans Licht gekommen: man merkt gegenseitig, daß man sich eigentlich verrechnet hat. Der eine schwenkt hierhin ab, der andere dorthin, jeder findet seine kleine Herde und Gemeinschaft, nur gerade der Unabhängigste nicht, der allein übrigbleibt und vielleicht, wie in meinem Fall, gerade schlecht zu dieser radikalen Vereinsamung taugt, – hier in Chur habe ich noch keinen guten Tag gehabt, das Wetter hat seinen Anteil daran, aber leider nicht den wesentlichsten. So oft gedachte ich der frohen Tage, die wir damals hier verlebten – der Kontrast mit jetzt ist ungeheuer: Himmel! was bin ich jetzt einsam! Ich habe niemand mehr, mit dem ich lachen kann, der mit mir Tee trinkt und mich liebreich tröstet. – Ich denke mit Mißtrauen an den Sommer im Engadin, in Erinnerung der langen Strapaze und Selbstüberwindung, welche bisher jeder dieser Aufenthalte gewesen ist. Wäre ich wenigstens bei dem trefflichen Gast! Aber der sitzt auch trübselig und enttäuscht in seinem Venedig; ich gestehe, ich selbst würde mich erleichtert fühlen, wenn von ihm sich Gutes hören ließe. Zuletzt bin ich etwas an seinem Schicksal schuld, nämlich an seinem Geschmack und der Selbständigkeit, mit der er sich aufrechterhalten hat.

Auch Du, mein Lama, bist mir mit diesen exzentrischen Unternehmungen da drüben ganz fremd geworden, – es liegt ja auf der Hand, daß man mehr Mittel nötig hat, einen solchen Landbesitz rentieren zu machen, mindestens das Doppelte, als was der Ankauf gekostet hat. Vor allem Arbeitskräfte: wieviel Menschen sind eigentlich nötig, um diese Quadratmeilen Waldland ertragsfähig zu machen?? – Wenn mein Herr Schwager 300 Bauernfamilien zur sichern Disposition hätte, so wäre das der einzig sichre Fond, auf dem man bauen könnte, besser als große Kapitalien. – –

Gestern ist auch die erste Andeutung des Ostermeßberichts von einem meiner Leipziger Verleger gekommen, er lautet sehr ungünstig. Es herrscht eben gegen meine Literatur eine solche Fremdheit, daß sie nicht einmal Abneigung ist, sondern einfach Gleichgültigkeit, absolute »Wurschtigkeit«, mit Bismarck zu reden. Das Erträgnis übrigens geht darauf und kommt gar nicht in meine Hände, insofern ich Herrn E.W. Fritzsch viel Druckerei zu bezahlen habe, die die teilweise Umarbeitung und Umgestaltung meiner alten Literatur nötig gemacht hat. Hoffentlich decken sich die beiden Summen! so daß ich wenigstens nicht noch Geld neu aufnehmen muß. –

Den Frühling in Naumburg zu verleben, will ich nach den vorjährigen Erfahrungen nicht wieder versuchen, obgleich es ein wahres Vergnügen ist, unsre liebe Mutter so guter Dinge in ihrem behaglichen Nest zu sehen. Laß ihr nur den Spaß mit der Vermieterei! Was soll sie denn sonst, allein wie sie ist, mit dem Hause anfangen?

Nach Naumburg komme ich also so bald nicht wieder – überhaupt nicht nach Deutschland oder zu den »Freunden«! ... Wieviel Gram, Frost und Verwunderung gab es bei jedem Wiedersehen! Mit Schaudern denke ich an meinen letzten längeren Aufenthalt in Basel. Wieviel heimliche Bitterkeit muß ein Mensch der Tiefe herunterschlucken, bis er die Kunst und den guten Willen hinzulernt, seine nächsten Freunde nun auch nicht mehr zu »enttäuschen«: das heißt, bis man sich entschließt, seine Not und sein Glück immer erst in die Oberfläche, in die Maske zu übersetzen, um ihnen verständlich zu werden, um etwas von sich überhaupt noch mitteilen zu können. Auch in Leipzig erfuhr ich, einige Lichtblicke ausgenommen, nichts als Demütigungen. Naumburg ist leider meine Abneigung par excellence. Die kleine Stadt und gedrückte Seelen! Du und ich sind nicht Naumburgisch geraten: viel zu unabhängig und vielleicht auch zu leicht zufrieden und in uns zufrieden: was diesen Rats- und Staatsmenschen nicht so leicht begegnet.

Es ist so schlimm, daß ich gar keine Menschen mehr habe, die es verstünden, mich zu erholen – so gut wie Du und Gersdorff hat es niemand wieder verstanden. Ja, die guten alten Zeiten! Wie wohl täte es mir, im Grunde nichts wohler, als mich von meinem guten Lama pflegen zu lassen. [...]

Du sagst, Neu-Germania habe nichts mit dem Antisemitismus zu tun, aber ich weiß es ganz sicher, daß das Kolonisationsprojekt wesentlich antisemitischen Charakter hat, aus jenem »Korrespondenzblatt«, das nur im geheimen verschickt wird und nur an die zuverlässigsten Mitglieder der Partei. (Hoffentlich gibt es Dir mein Herr Schwager nicht zu lesen! es wird immer unangenehmer.) Es scheint mir aber sehr möglich, ja wahrscheinlich, daß die Partei zwar darüber redet, aber nichts tut ...

Ach mein gutes Lama, wie bist Du nur dazu gekommen, Dich in solche Abenteuer zu stürzen? Wenn es nur gut endet! Immer wenn ich bedrückt bin, quälen mich allerhand Besorgnisse; denn wie ich meine liebe Schwester kenne, so wird sie lieber sterben als ihre Sache im Stich lassen. Aber das ist Nietzschisch!

Dein Fritz.

Dazu scheinst Du Dich durchaus zum »freiwilligen Opfertier« auszubilden und alle Unannehmlichkeiten auf Dich zu nehmen. Und mein Herr Schwager läßt sich diesen Blitzableiter gefallen? (Siehe Menschliches, Allzumenschliches! – Beian gesagt, warum hat Frau Wagner gerade diesen Aphorismus »gerade diesen Aphorismus«, vgl. »Menschliches, Allzumenschliches« I S. 318, Aph. 430. damals so übel genommen? Wagners wegen? Oder ihretwegen? Das war mir immer ein Rätsel.)


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