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149. An Professor Karl Knortz in Evansville (Indiana).

Sils-Maria, Oberengadin, den 21. Juni 1888.
(Schweiz.)

Hochgeehrter Herr!

Das Eintreffen von zwei Werken Ihrer Feder, das mich Ihnen zu Dank verpflichtet, scheint mir zu verbürgen, daß inzwischen meine Literatur in Ihren Besitz übergegangen ist. Die Aufgabe, ein Bild von mir, sei es vom Denker, sei es vom Schriftsteller und Dichter zu geben, scheint mir außerordentlich schwer. Der erste größere Versuch der Art ist letzten Winter von dem ausgezeichneten Dänen Dr. Georg Brandes gemacht worden, der Ihnen als Literarhistoriker bekannt sein wird. Derselbe hat unter dem Titel »Der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche« einen längeren Zyklus von Vorlesungen an der Kopenhagener Universität über mich veranstaltet, deren Erfolg, nach allem, was mir von dort gemeldet worden ist, ein glänzender gewesen sein muß. Er hat eine Zuhörerschaft von 300 Personen für die Kühnheit meiner Problemstellungen lebhaft interessiert und, wie er selbst sagt, meinen Namen im ganzen Norden populär gemacht. Sonst habe ich eine mehr verborgene Hörer- und Verehrerschaft, zu der auch einige Franzosen, wie Mr. Taine, gehören. Meine innerste Überzeugung ist, daß diese meine Probleme, diese ganze Position eines »Immoralisten« für heute noch viel zu früh, noch viel zu unvorbereitet ist. Mir selbst liegt der Gedanke an Propaganda vollkommen fern; ich habe noch nicht einen Finger dafür gerührt.

Von meinem »Zarathustra« glaube ich ungefähr, daß es das tiefste Werk ist, das in deutscher Sprache existiert, auch das sprachlich vollkommenste. Aber das nachzufühlen, dazu bedarf es ganzer Geschlechter, die erst die inneren Erlebnisse nachholen, auf Grund deren jenes Werk entstehen konnte. Fast möchte ich raten, mit den letzten Werken anzufangen, die die weitgreifendsten und wichtigsten sind (»Jenseits von Gut und Böse« und »Genealogie der Moral«). Mir selbst sind am sympathischsten meine mittleren Bücher, »Morgenröte« und »Die fröhliche Wissenschaft« (es sind die persönlichsten).

Die »unzeitgemäßen Betrachtungen«, Jugendschriften in gewissem Sinne, verdienen die höchste Beachtung für meine Entwicklung. In »Völker, Zeiten und Menschen«, von Karl Hillebrand, stehen ein paar sehr gute Aufsätze über die ersten »Unzeitgemäßen«. Die Schrift gegen Strauß erregte einen großen Sturm; die Schrift über Schopenhauer, deren Lektüre ich besonders empfehle, zeigt, wie ein energischer und instinktiv jasagender Geist auch von einem Pessimisten die wohltätigsten Impulse zu nehmen versteht. Mit Richard Wagner und Frau Cosima Wagner war ich einige Jahre, die zu den wertvollsten meines Lebens gehören, in tiefem Vertrauen und innerstem Einvernehmen verbunden. Wenn ich jetzt zu den Gegnern der Wagnerschen Bewegung gehöre, so liegen, wie es sich von selbst versteht, dahinter keine mesquinen Motive. In den gesammelten Werken Wagners Band IX (wenn ich mich recht erinnere) steht ein Brief an mich, der von unserm Verhältnis Zeugnis ablegt.

Ich bilde mir ein, daß meine Bücher durch Reichtum psychologischer Erfahrungen, durch Unerschrockenheit vor dem Gefährlichsten, durch eine erhabene Freimütigkeit ersten Ranges sind. Ich scheue auch, hinsichtlich der Kunst der Darstellung und der artistischen Ansprüche, keine Vergleichung. Mit der deutschen Sprache verbindet mich eine lange Liebe, eine heimliche Vertrautheit, eine tiefe Ehrfurcht! Grund genug, um fast keine Bücher mehr zu lesen, die in dieser Sprache geschrieben werden.

Empfangen Sie, hochgeehrter Herr, die ergebensten Grüße Ihres

Professor Dr. Nietzsche.


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