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23. An Freiherrn von Gersdorff.

Hotel Pilatus-Klimsenhorn, 4. August 1869.

Du glaubst gar nicht, mein lieber Freund, wie sehr mich Dein letzter Brief gerührt hat und wie deutlich ich das Gefühl unseres Zusammengehörens empfand. Mitten heraus aus jener peinlichen Vorbereitung zum Examen, aus dem Gewühl der Weltstadt erklang mir Deine Stimme als die eines tiefernsten, dem Besten und Würdigsten nachstrebenden Menschen, der, fernab wandelnd von den Bahnen seiner Alters- und Berufsgenossen, im engsten Kreise weniger Auserwählter und in der Betrachtung wichtigster Fragen sich wohl und heimisch fühlt. Glaube aber nur, daß auch mir diese Geisteswelt, in der Du lebst, ewig die nächste bleibt, daß ich mich keineswegs durch meinen philologischen Beruf von ihr entfremden lasse, sondern an den Brücken baue, um zwischen innerem Wunsch und äußerem »Muß« eine Verbindung herzustellen. So werde ich schon im nächsten Halbjahr eine »Geschichte der vorplatonischen Philosophen« lesen, in die allerhand hineingearbeitet werden soll, was als kräftige Kost meinen Zuhörern dient und sie unmerkbar den ernstesten und würdigsten Denkern zuführen soll. Dazu habe ich einen Menschen gefunden, der wie kein anderer das Bild dessen, was Schopenhauer »das Genie« nennt, mir offenbart und der ganz durchdrungen ist von jener wundersam innigen Philosophie. Dies ist kein anderer als Richard Wagner, über den Du kein Urteil glauben darfst, das sich in der Presse, in den Schriften der Musikgelehrten usw. findet. Niemand kennt ihn und kann ihn beurteilen, weil alle Welt auf einem andern Fundamente steht und in seiner Atmosphäre nicht heimisch ist. In ihm herrscht eine so unbedingte Idealität, eine solch tiefe und rührende Menschlichkeit, ein solch erhabner Lebensernst, daß ich mich in seiner Nähe wie in der Nähe des Göttlichen fühle. Wie manche Tage habe ich nun schon in dem reizenden Landgute am Vierwaldstätter See verlebt, und immer neu und unerschöpflich ist diese wunderbare Natur. So las ich noch gestern ein Manuskript, das er mir übergeben hatte, »über Staat und Religion«; ein größerer tiefsinniger Aufsatz, dazu bestimmt, seinen »jungen Freund«, den kleinen Bayernkönig, über seine innere Stellung zu Staat und Religion aufzuklären. Nie ist in würdigerer und philosophischerer Weise zu einem König geredet worden; ich war ganz erhoben und erschüttert von dieser Idealität, die durchaus dem Geiste Schopenhauers entsprungen schien. Der König kann wie kein anderer Sterblicher die Tragik des Lebens verstehen, darum ziemt ihm die Gnade usw.

Erfreue mich doch recht bald mit neuen Nachrichten über Deine Wirksamkeit in partibus infidelium »in partibus infidelium«, geht auf Gersdorffs Wirksamkeit für Schopenhauer unter solchen, die nicht sehr empfänglich dafür waren. und sei herzlich und warm gegrüßt

von Deinem treuen
Fritz Nietzsche.

Ein wichtiges Buch für Dich ist Hartmanns »Philosophie des Unbewußten«, trotz der Unredlichkeit des Verfassers. Dann schaffe Dir doch ja an: »Deutsche Kunst und Politik« von Richard Wagner, und desselben »Oper und Drama«.

Grüße Textor und Krüger recht angelegentlich. – Von morgen an bin ich wieder in Basel.


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