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152. An die Schwester.

Sils, d. 14. Sept. 1888.

Mein liebes Lama.

Sehr anders, als es mein Wunsch war, komme ich erst am Schluß meines Engadiner Sommers (– ? –) dazu, Dir zu schreiben. Es ging dies Jahr in allen Stücken sehr außergewöhnlich zu: man konnte nichts versprechen, nichts beschließen. Dabei kam meine Gesundheit recht in die Brüche; und als es wieder besser ging, habe ich den großen Zeitverlust für meine Aufgabe durch eine um so angespanntere Arbeit auszugleichen gesucht. Nun ist wirklich etwas erreicht: und ich kann zu menschenfreundlicheren Arbeiten und selbst zu Briefen mir wieder Zeit nehmen. Wie lange schon lag es mir auf dem Herzen, Dir meine große Freude über das Definitivum der Übersiedelung und die festliche Art und Weise, in der sie vollzogen wurde, auszudrücken! Auch daß Deine Gesundheit der Menge neuer Pflichten und Sorgen so tapfer standhält, ist keine kleine Beruhigung. Wir haben es beide, auf eine etwas verschiedene Weise, schwer – wir haben es beide andrerseits auch wieder gut. Wir lassen uns nicht so leicht fallen – uns nicht und auch die Sachen nicht, die uns angehen. Das eigentliche malheur in der Welt ist alles bloß Schwäche ...

Von mir wäre zu erzählen, daß zu den bewiesenen Orten Nizza und Sils noch ein dritter als Zwischenakt hinzugekommen ist: Turin. Klimatisch und menschlich der mir sympathischste Ort, den ich bisher gefunden habe. Großstadt, aber ruhig, vornehm, aristokratisch, Universität, gute Bibliotheken, sehr viel Entgegenkommen für mich, ausgezeichnete Theaterverhältnisse – und sehr billige Preise. Kost und Luft, Wasser und Spaziergänge – alles vollkommen nach meinem Geschmack. Die größeren Buchhandlungen dreisprachig (französisch, deutsch, italienisch, so daß ich für neue wissenschaftliche Literatur dort bei weitem besser daran bin, als in Leipzig selbst). Der Ring von Hochgebirge, der auf 3 Seiten Turin einschließt, hält dieselbe trockne und dünne Luft aufrecht, wie sie, aus gleichen Gründen, Sils und Nizza haben. Da ich mitten in der entscheidenden Arbeit meines Lebens bin, so ist mir eine vollkommne Regel für eine Anzahl Jahre die erste Bedingung. Winter Nizza, Frühling Turin, Sommer Sils, zwei Herbstmonate Turin – dies ist der Plan. Entsprechend ist auch meine Diät normal gemacht, d. h. absolut persönlich, und den eigensten Bedürfnissen gemäß eingerichtet. Dazu gehört natürlich die Emanzipation von jedem Essen in Gesellschaft. Der Erfolg des allmählich von mir ausprobierten optimum von Existenz zeigt sich in einer enormen Steigerung der Arbeitskraft. Die drei Abhandlungen vom vorigen Sommer, »die drei Abhandlungen vom vorigen Sommer«, die »Genealogie der Moral«. denen Ihr die Ehre Eurer Anteilnahme geschenkt habt, sind in weniger als 25 Tagen beschlossen, ausgeführt und druckfertig fortgeschickt worden. Dasselbe habe ich diesen Sommer, bei dem ersten Umschwung zum Bessern, noch einmal geleistet. »Dasselbe habe ich diesen Sommer ... noch einmal geleistet«, bezieht sich auf die »Götzendämmerung«. In Turin ist, mit spielender Leichtigkeit, ein entscheidendes Stück Musikerpsychologie zustande gekommen, das Euch diesen Herbst zugehen wird. Auch von der » Umwertung aller Werte« gibt es, beinahe wenigstens, das erste Buch. »Das erste Buch« (der Umwertung), der »Antichrist«. – Diese Nachrichten sind nicht schlecht, nicht wahr? mein liebes Lama? – Der Haken liegt darin, daß ich meine Schriften selbst drucken muß – und daß die Zeit für immer vorbei ist, wo es zwischen mir und der Gegenwart irgend noch ein anderes Verhältnis gäbe als Krieg aufs Messer! – Mit diesem etwas indianerhaft geratenen Schluß grüßt und umarmt Dich, mein liebes Lama, Dein Bruder Fritz. – Das Herzlichste an Deinen Bernhard. –


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