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130. An die Schwester.

Nizza, 26. Januar 1887.

Meine liebe Schwester,

Donnerstag nachmittag, als ich im Spazierengehn gerade an das fremdherrliche Lama dachte und ihm einen Brief zu schreiben beschloß, trat ein unbekannter Herr zu mir und sagte: »Madame Gazzola a des lettres pour Monsieur.« Sofort ging Monsieur zu Madame Gazzola – ah eine gazza ladra schlimmen Angedenkens vom letzten Winter her – und siehe da, es gab einen Brief mit der unverkennbaren Handschrift eines südamerikanischen Lamas. Allerschönsten Dank! Er kam sehr erwünscht, denn die Choleranachrichten der Zeitungen hatten mich recht auf ein Lebenszeichen von Dir warten machen. Das Beste aber an Deinem guten Briefe ist die in ihm über vier Jahre weg gespannte Hoffnung und Regenbogenbrücke eines Wiedersehens, und zwar hier in Nizza: – was, beiläufig gesagt, selbst auf verwöhnte Südamerikaner nicht ohne Anziehungskraft zu sein scheint, denn wir haben immer Gäste von dort, diesen Winter zum Beispiel die erste Militär-Personnage von Montevideo, eine Zeit lang auch den Präsidenten von Argentinien. Diesmal gerade, wo Europa sich in einen Schneeberg und Eisbär verwandelt hat, verdient unser Streifen Riviera dreifache Sterne der Auszeichnung: bisher noch kein Stäubchen Schnee; und wenn auch die ferneren Berge um Nizza herum sich weiß gepudert haben, so möchte dies mehr unter die Toilettenkünste dieser südländischen Schönheit und Zauberin gehören als unter ihre Bösartigkeiten (an denen sie übrigens reich ist, comme beauté et comme femme. Wie gut, daß ich nicht in München bin! Seydlitz meldete mir kürzlich von dort eine bis dahin noch gar nicht dagewesene Verdummung bei sich (man hat ihn zum Präsidenten des Wagner-Vereins gemacht –): sicherlich die Konsequenz der ewigen betrübten, eisigen, feuchten Sonnenlosigkeit des deutschen Winters. Rothpletzens sind allesamt nach Teneriffa entschlüpft; Herr Gast, nach einer langen resultatlosen Tierquälerei daselbst, die mir große Besorgnisse gab, hat sich wieder in die Venediger Einsiedelei davongemacht. Aus Rom meldet man (nämlich Malwida ebenso als General Simon) die große allgemeine Schmutzerei in den Gassen – man beneidet mich um das reinliche Nizza. Kurz, jenes philosophische Murmeltier, welches seine Sommer im Engadin verpfeift – – denn das Murmeltier pfeift, es hat nichts Besseres von der Musik gelernt –, macht diesmal wieder seinen Winterschlaf in Nizza ab: und es ist Vernunft darin, quod erat demonstrandum. Übrigens sagt man mir, daß ich noch nie so gesund ausgesehn hätte als diesen Winter. Tatsächlich fehlt noch viel an der wirklichen Gesundheit; ich erinnere mich aber eines ganzen Nachmittags, wo ich mir gesund vorkam, und es ist kein Zweifel, daß ich jeden Winter seit 7 Jahren einen Hops in der Richtung hin gemacht habe, wo die vollkommene Gesundheit wohnt. Hoffen wir, daß ich sie bei einem längeren Leben schließlich doch noch erwische, sei es auch nur im Greisenalter, als wackeliger alter Weisheitsgreis. Was nämlich meine bisherige »Weisheit« betrifft, so habe ich sie satt. Inzwischen wurde meine ganze bisherige Literatur mit Vorreden und neuen Manschetten versehen: vielleicht daß sie dadurch anziehender für andere geworden ist – für mich ist es damit aus. Wenn es Euch, meine verehrten Hinterwäldler, darnach gelüsten sollte, so wird einmal das Ganze meiner Literatur, l'œuvre de Frédéric Nietzsche, wie man sich in Frankreich ausdrücken würde, seine Reise über den Ozean machen ( in summa 4 starke Bände). Aber wer weiß, wann endlich die sächsische Verleger- und Druckerbummelei mit dem œuvre fertig wird! Das Letzte, was zustande kam, ist die »Morgenröte«; die größte Veränderung aber begibt sich mit der »Fröhlichen Wissenschaft«, welche zuletzt in lauter Lieder und Liederlichkeit ausläuft, unter dem Titel »Lieder des Prinzen Vogelfrei«. – Anbei, nämlich indem ich gezwungen war, meine ganze Büchermenschvergangenheit still für mich wiederzukäuen, habe ich konstatiert:

1. daß die lieben Deutschen es in fünfzehn Jahren noch nicht zu einer einzigen auch nur mittelmäßig gründlichen und ernsthaften Rezension irgendeines meiner 12 Bücher gebracht haben;

2. daß ich selber dies Faktum erst jetzt bemerke, also wahrscheinlich innewendig nicht sehr um die Aufmerksamkeit der lieben Deutschen bemüht gewesen bin – kurz, daß ichs »verdient« habe –;

3. daß ich keinen Menschen weiß, der von dem Hintergrunde dieser ganzen Literatur, von meinem sehr merkwürdigen eigentlichen Schicksale, etwas »wüßte« oder es mir zu verstehen gegeben hätte, daß er etwas wüßte; ich bin folglich in der Ironie und Menschenverspottung ziemlich avanciert, jetzt bereits so weit, daß ich auf »verehrende Briefe«, wie sie nicht ganz selten eintreffen, nicht mehr antworte, – ich rieche die Verwechslung immer fünfhundert Schritt weit.

Genug. Aber ich sage dies, um auch meinerseits das Bedürfnis auszudrücken, einige Wochen nichts zu tun, als zu lachen. Also: in vier Jahren, meine liebe Schwester, wird gelacht, dabei bleibt es, ich danke von ganzem Herzen für dies Versprechen.

Inzwischen die treulichsten Wünsche für Eure mutigen Unternehmungen, die fortfahren, mich in Erstaunen zu setzen.

In Liebe
F.


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