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46. An Erwin Rohde.

Basel, etwa 12. April 1872.

Liebster Freund, um Deine Stimmung durch das Zauberspiel der Hoffnung etwas aufzuheitern, erzähle ich Dir, als Antwort auf Deinen Brief, zuerst, in welche Kombination ich neuerdings, allerdings erst in Gedanken, Dich und Deinen Beruf, alias Lebensunterhalt gebracht habe. Ich denke nämlich darüber nach, wie Du um Michaeli in alle Ehren und Emolumente meiner Basler Professur, als mein vollständiger Nachfolger, eintreten kannst. Ich selbst nämlich will den nächsten Winter herumziehn im deutschen Vaterland, d. h. eingeladen von den Wagnervereinen der größeren Städte, um Vorträge über die Nibelungen-Bühnenfestspiele »Vorträge über die Nibelungenfestspiele«, dieser Plan kam nicht zur Ausführung. zu halten: – es muß eben jeder tun, was seine Pflicht ist, und, im Kollisionsfalle, was seine Pflicht mehr ist. Habe ich aber auf diese Art einen Winter mich von der Universität getrennt, so benutze ich gewiß das einmal eingetretene Vakuum, um zwei Jahre lang nach dem Süden zu gehen. Zum Zwecke dieses Unternehmens lege ich meine Stellung hier nieder, so daß Du dann in jeder Beziehung mein Nachfolger wirst; wenn die Universität mir aber wohlwill, so denke ich, wird sie mir den Titel und die Würde eines ordentlichen Professors unbeschadet der davon gänzlich unabhängigen, Dir zugedachten Professur belassen, natürlich nicht den Gehalt. Bist Du geneigt, Dich mit dieser Kombination vertraut zu machen? – Wie gesagt, betrachte es als einen Entwurf, über den wir uns verständigen wollen. Ich selbst denke mit dem letzten Reste meines Vermögens, vielleicht 2000 Taler, noch 2½ Jahr existieren zu können – und was nachher wird, das weiß Gott, geht mich auch zunächst nichts an. Himmlisches Wohlgefühl, nicht als Stipendiat nach dem Süden zu wandern, die Augen rückwärts gedreht nach einem kaiserlichen Ministerium! Aber vor allem muß ich wissen, ob Du nötigenfalls bereit bist. Die Entscheidung müßte Ende Mai getroffen werden. –

Herzliche und große Freude hast Du mir gemacht, als Du an Wagner den Brief abschicktest. Wir haben nun einmal für das Beste und Edelste, was wir wollen, keinen andern Patronus: weshalb ihm von Rechts wegen alles als Opfergabe zukommt, was auf unserem eignen Ackerlande wächst. Wenn ich etwas schwer vermisse, so ist es gerade deshalb Deine Nähe: wir sollten immer zusammen uns an ihm erbauen und in der Erkenntnis seiner Werke fortschreiten. Das Nibelungenwerk taucht immer mehr vor meinen erstaunten Blicken auf – als etwas Unglaublich-Gigantisches und Vollendetes, und ohnegleichen. Aber es ist schwer, solchen Werken sich zu nähern: weshalb der, der viel davon empfunden und verstanden zu haben glaubt, davon auch reden muß – daher mein Winterplan.

Zu Deinem Sendschreiben an Wagner wünsche ich Dir frohes und glückliches Gelingen. Denke, ich bitte Dich, daran, in welcher Zeit Du Wagner das erweist: später kann ich Dir einmal deutlich machen, inwiefern es einer der kompliziertesten und aufregendsten Momente war, in dem jedes wahre Zeichen von Verständnis und Teilnahme lindernder Balsam ist.

Ich lege eine Anzahl von Briefen bei, von Romundt, von v. Baligand (Kammerherrn des Königs von Bayern), von Franz Liszt, von Gustav Krug, von Professor Hagen in Bern, von Schuré in Florenz, von der Gräfin Krokow, von Frl. Mathilde Maier. Dann könnte ich noch erzählen von einem sehr liebenswürdigen Briefe der Ministerin von Schleinitz aus Berlin, von Frl. von Meysenbug in Florenz usw. Hans von Bülow, den ich noch gar nicht kannte, hat mich hier besucht und bei mir angefragt, ob er mir seine Übersetzung von Leopardi (das Resultat seiner italienischen Mußestunden) widmen dürfe. Der ist so begeistert von meinem Buche, daß er mit zahlreichen Exemplaren davon herumreist, um sie zu verschenken. Es gibt bald eine zweite Auflage. Übrigens gibt es noch keine öffentliche Anzeige, nicht einmal eine Buchhändleranzeige – es ist ein Erfolg im Schoß der Familie. Dohm, der Redakteur des Kladderadatsch, ist auch ein »Begeisterter« und wird darüber schreiben – vielleicht als der erste: was sich rührend und ridikül ausnehmen würde. – Nur unsere verrückten Philologen schweigen. – [– –]

Windisch hat sich in Leipzig mit Roschers Tochter verlobt. [– –]

Gersdorff ist treu, tätig und gut wie immer und ist jetzt in der nützlichsten und anhaltenden Korrespondenz mit Tribschen. – Übrigens, mein lieber, guter Freund, ist Bayreuth am 22. Mai für uns nicht zu umgehen, nach Schicksalsschluß! Und im Herbst wirst Du ja, wenn meine Kombination gelingt, Pfründner! Also komme, vorher aber schreibe mir. Zu allem, was Du unternimmst, nimm den Segen Deines Freundes, der Dich liebt und Dir herzlich zugetan ist.

Donnerstag. Friedr. Nietzsche.


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