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7. An Mutter und Schwester.

Leipzig, Mai 1866.

Liebe Mama und Lisbeth,

mein erster Brief aus meiner neuen Wohnung. Der Mittwoch war ein mühseliger Tag; ich fand bei Rohn gegen 20 Adressen und begann sogleich herumzulaufen, lange Zeit ohne eine Spur von Erfolg. Dazu war es warm, ja heiß und sehr staubig. Endlich nach der Mittagsstunde fand ich ein Logis, das mir geeignet schien. Es war aber erst Donnerstag abend zu beziehen, weil neue Möbel hineinkommen sollten. Dies nahm ich dann, es liegt »rue de Lama« oder deutsch Elisenstraße Nr. 7 parterre, und zeichnet sich mehrfach aus. Allerdings bloß eine Stube, aber eine sehr hohe, kühl und ruhig – soweit ich ermessen kann –, schöner Teppich, großer Spiegel, großes Ölgemälde in Goldrahmen, einen alten Mann darstellend, als welches das Zimmer sehr ziert. Außerdem Sekretär, Waschtisch, Tisch, Ofen, Bett, Bücherbrett und zwei Stühle. Der Besitzer ist ein Maschinenfabrikant, Leute, die sehr elegant wohnen und offenbar wohlhabend sind. Das Haus selbst ist schön und durchaus nicht alt. Ich denke, daß Ihr mich einmal besuchen werdet. Ich zahle monatlich mit Bedienung 4½ Taler, was nicht zu viel ist. Morgens trinke ich Milch, 2 Glas mit 2 Brödchen, die vorzüglich ist und gar nicht der Vorstellung entspricht, die ich mir gemacht hatte. Die Wirtsfamilie trinkt nämlich ebenfalls Milch, und so werde ich es wohl gut getroffen haben. Etwas, was mir noch fehlt, ist eine Decke über das Bett. Ich werde recht oft überziehen lassen, denn sonst ist aus dem Zimmer der Bettgeruch gar nicht zu vertreiben.

Der erste Brief, den ich in der Wohnung bekam, war von einem total fremden Menschen, der mich Du anredet und mir anzeigt, daß er in den Ferien gebummelt und geraucht hätte, große Neuigkeiten, als welche ich durchaus nicht zu schätzen verstehe. [– –]

Meine Freunde und Bekannte habe ich hier glücklich angetroffen. Wir gehen oft zusammen durch die Meßbuden und waren bei Renz, sowie in einem vortrefflichen Konzert im Hotel de Pologne. Um an die Ausarbeitung meines Büchleins zu gehen, muß erst die Messe vorüber sein, die allzusehr die Ruhe des Denkens stört. Zudem erhole ich mich etwas, besonders durch weitere Spaziergänge. Kaum genießbar sind jetzt die Speisen, die man in den Restaurationen bekommt. Dazu wimmelt alles von abscheulichen geistlosen Affen und anderen Kaufleuten. So daß ich mich herzlich nach Beseitigung dieses Intermezzos sehne. Endlich habe ich mit Gersdorff eine Kneipe gefunden, wo man nicht Schmelzbutter und Judenfratzen zu genießen hat, sondern wo wir regelmäßig die einzigen Gäste sind. Das ist die Postrestauration, die mir schon vom alten Mushacke bestens empfohlen war.

Ich bekomme wieder Massen von der Bibliothek. Der Transport meiner Habseligkeiten war mehr als bequem, 2 Dienstleute, für 15 Gr. zusammen, haben alles eingepackt und sehr gut transportiert, die Bücher in einem großen Bücherkorb.

Deussen ist noch nicht erschienen, dagegen ein anderer, eine Art Vorläufer von ihm, ein gewisser Eyffert, der in mein altes Logis zu Rohn gezogen ist. (Das übrigens neu tapeziert ist und neu gestrichen, so daß daran Hoffnungen anzuknüpfen sind.)

Mushacke hat mir von Berlin geschrieben, gestern habe ich auch den Diltheybrief bekommen, ich will mich bei Ritschl nach der Adresse erkundigen. Jedenfalls ist die Verzögerung ärgerlich, ðáððÜî! Ich bin aber froh, daß in meinem Briefe keine militärisch kriegerischen, sondern nur philologisch friedliche Auseinandersetzungen standen. Denn ein Kriegsrat ist ein greuliches Tier.

Fünf Wochen sind also vorübergejagt.

Damit lebt heute wohl und denkt meiner freundiglich.

Grüßt alle die Bekannten
Mit einem Gruß von mir
Und sagt den alten Tanten,
Ich käm einmal abhanden
Als preußischer Grenadier.

Einer der kriegsbereit ist.
Fr. W. N.

Sonntag früh. Datum ist mir nicht bekannt.

Leipzig, Elisenstraße Nr. 7 parterre,
(nämlich erhöhtes Parterre).


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