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129. An Peter Gast.

21. Januar 1887.

Nice (France), rue des Ponchettes 29 au premier.

Lieber Freund,

es ist mir eine wahre Erleichterung, Sie wieder in Venedig zu wissen. Ihr Brief – o was er mir wohltat! Es war mir wie ein Versprechen darin, daß es auch bei mir nun wieder besser gehen solle – besser, das heißt heller, heiterer, südlicher, unbekümmerter, hoffentlich auch »unliterarischer«: denn diese ganze Inszenesetzung meiner alten Literatur hat mich greulich malträtiert und »persönlich« gemacht. Ich tauge nicht fürs »Wiederkäuen« des Lebens. Jetzt ergötze und erhole ich mich an der kältesten Vernunftkritik, bei der man unwillkürlich blaue Finger bekommt (und folglich die Lust verliert, zu schreiben –). Ein Generalangriff auf den gesamten »Kausalismus« »Generalangriff auf den Kausalismus«, jetzt veröffentlicht im Nachlaß, Taschenausgabe IX S. 405-414. der bisherigen Philosophie kommt dabei heraus, auch einiges Schlimmere noch. –

Hätten Sie doch ein Stück Ihrer Oper zur Aufführung gebracht! Man muß, wenn man sich produzieren will, das am meisten Charakteristische, also Fremdeste produzieren. Daß Sie dem Levi Ihr Septett vorführten, ist, nach meinem Gefühle, mehr Höflichkeit als etwas anderes (etwas »Sachse« – Vergebung, alter Freund!). Das beste an der Geschichte ist, daß Ihr Septett so aufgenommen wurde, wie Sie schreiben; hätte es gefallen, so hätte ich an eine Verwechslung geglaubt. –

Levi hat mir vom Frühling her den besten Eindruck hinterlassen. Auch was mir von anderer Seite inzwischen aus München gemeldet wurde, bestätigt, daß er eine Art Zusammenhang mit mir (er nennts Dankbarkeit) weder verloren hat, noch verlieren will: was übrigens von allen Wagnerianern gilt (ob ich es schon mir nicht recht zu erklären weiß). Man hat mich letzten Herbst in München erwartet »mit fieberhafter Spannung«, wie Seydlitz (jetzt Präsident des Wagnervereins) meldete. Im Engadin, beiläufig gesagt, hatte ich als Tischnachbarin die Schwester des Barbiers von Bagdad: S. 287: »Schwester des Barbiers von Bagdad«, die Tochter des Prof. Cornelius. Sie verstehen diese abgekürzte Redeweise?

Zuletzt – neulich hörte ich zum ersten Male die Einleitung zum »Parsifal« (nämlich in Monte-Carlo!). Wenn ich Sie wiedersehe, will ich Ihnen genau sagen, was ich da verstand. Abgesehn übrigens von allen unzugehörigen Fragen (wozu solche Musik dienen kann oder etwa dienen soll?), sondern rein ästhetisch gefragt: hat Wagner je etwas besser gemacht? Die allerhöchste psychologische Bewußtheit und Bestimmtheit in bezug auf das, was hier gesagt, ausgedrückt, mitgeteilt werden soll, die kürzeste und direkteste Form dafür, jede Nuance des Gefühls bis aufs Epigrammatische gebracht; eine Deutlichkeit der Musik als deskriptiver Kunst, bei der man an einen Schild mit erhabener Arbeit denkt; und, zuletzt, ein sublimes und außerordentliches Gefühl, Erlebnis, Ereignis der Seele im Grunde der Musik, das Wagnern die höchste Ehre macht, eine Synthesis von Zuständen, die vielen Menschen, auch »höheren Menschen« als unvereinbar gelten werden, von richtender Strenge, von »Höhe« im erschreckenden Sinne des Wortes, von einem Mitwissen und Durchschauen, das eine Seele wie mit Messern durchschneidet – und von Mitleiden mit dem, was da geschaut und gerichtet wird. Dergleichen gibt es bei Dante, sonst nicht. Ob je ein Maler einen so schwermütigen Blick der Liebe gemalt hat, als W. mit den letzten Akzenten seines Vorspiels? –

Treulich Ihr Freund Nietzsche.


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