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155. An Georg Brandes.

Torino, via Carlo Alberto 6, III,
den 20. November 1888.

Verehrter Herr, Vergebung, daß ich auf der Stelle antworte. Es gibt jetzt in meinem Leben curiosa von Sinn im Zufall, die nicht ihresgleichen haben. Vorgestern erst; jetzt wieder. – Ach, wenn Sie wüßten, was ich eben geschrieben hatte, als Ihr Brief mir seinen Besuch machte. –

Ich habe jetzt mit einem Zynismus, der welthistorisch werden wird, mich selbst erzählt. Das Buch heißt » Ecce homo« und ist ein Attentat ohne die geringste Rücksicht auf den Gekreuzigten; es endet in Donnern und Wetterschlägen gegen alles, was christlich oder christlich-infekt ist, bei denen einem Sehen und Hören vergeht. Ich bin zuletzt der erste Psychologe des Christentums und kann, als alter Artillerist, der ich bin, schweres Geschütz vorfahren, von dem kein Gegner des Christentums auch nur die Existenz vermutet hat. – Das ganze ist das Vorspiel der »Umwertung aller Werte«, des Werks, das fertig vor mir liegt: ich schwöre Ihnen zu, daß wir in zwei Jahren die ganze Erde in Konvulsionen haben werden. Ich bin ein Verhängnis. –

Erraten Sie, wer in » Ecce homo« am schlimmsten wegkommt? Die Herren Deutschen! Ich habe ihnen furchtbare Dinge gesagt ... Die Deutschen haben es zum Beispiel auf dem Gewissen, die letzte große Zeit der Geschichte, die Renaissance, um ihren Sinn gebracht zu haben – in einem Augenblick, wo die christlichen Werte, die décadence-Werte, unterlagen, wo sie in den Instinkten der höchsten Geistlichkeit selbst überwunden durch die Gegeninstinkte waren, die Lebensinstinkte. Die Kirche anzugreifen – das hieß ja das Christentum wiederherstellen. – ( Cesare Borgia als Papst – das wäre der Sinn der Renaissance, ihr eigentliches Symbol.)

– Auch dürfen Sie darüber nicht böse sein, daß Sie selber an einer entscheidenden Stelle des Buchs auftreten – ich schrieb sie eben – in diesem Zusammenhange, daß ich das Verhalten meiner deutschen Freunde gegen mich stigmatisiere, das absolute In-Stich-gelassen-sein mit Ehre wie mit Philosophie. – Sie kommen, eingehüllt in eine artige Wolke von Glorie, auf einmal zum Vorschein ...

Ihren Worten über Dostojewski glaube ich unbedingt; ich schätze ihn andererseits als das wertvollste psychologische Material, das ich kenne – ich bin ihm auf eine merkwürdige Weise dankbar, wie sehr er auch immer meinen untersten Instinkten zuwider geht. Ungefähr mein Verhältnis zu Pascal, den ich beinahe liebe, weil er mich unendlich belehrt hat; der einzige logische Christ.

– Vorgestern las ich, entzückt und wie bei mir zu Hause » Les mariés« von Herrn August Strindberg. Meine aufrichtigste Bewunderung, der nichts Eintrag tut als das Gefühl, mich dabei ein wenig mitzubewundern. Turin bleibt meine Residenz.

Ihr Nietzsche, jetzt Untier.

Wohin darf ich Ihnen die »Götzen-Dämmerung« senden? Im Fall, daß Sie noch 14 Tage in Kopenhagen sind, ist keine Antwort nötig.


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