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145. An Peter Gast.

Nizza, 13. Februar 1888.

Lieber Freund,

ich hätte Ihnen unter allen Umständen heute geschrieben und will mich am wenigsten dadurch abhalten lassen, daß eben, als schönster Morgengruß, Ihr Brief bei mir eingetreten ist. Das, was Sie mir zuerst erzählen, von einer Art Gemütsrekonvaleszenz, korrespondiert angenehmerweise mit einem eigenen inzwischen bewerkstelligten Fortschritte zur »Vernunft«: und sogar in betreff der Art des Mittels ist unser Instinkt auf derselben Fährte gewesen. – Lieber Freund, ich sage mir jetzt in jedem gesunden Augenblick (– und dabei denke ich wenigstens so sehr an Sie als an mich): »es ist sehr viel erreicht! Es ist trotz alledem sehr viel erreicht! Man soll bei sich den Mut zu diesem allerberechtigtsten Stolze aufrechterhalten!« ... In Wahrheit kommen Sie sogar, bei einer solchen Nachrechnung, was eigentlich erreicht ist, viel besser weg als ich. Ich selber bin über Versuche und Wagnisse, über Vorspiele und Versprechungen aller Art nicht hinausgekommen: aber so etwas aus der Welt des Vollkommenen und Glücklichen, wie es Ihre ganze Oper ist, liegt ruhig in seinem eignen Lichte und winkt nicht, wie alles bei mir, über sich hinweg –. Und was die »Idealität« in der Musik betrifft, so habe ich noch von meinem letzten Venediger Besuche einen unauslöschlichen Geschmack von etwas auf der Zunge zurückbehalten, für das ich gar keinen andern Namen habe als »Idealität«. Damals sagte ich mir, »es steht so gut als es stehen kann mit dem Freunde Gast – er erfindet sich seine eignen Heilmittel und reinigt sich mit bains intérieurs von allem Unverdaulichen, das sein Leben in ihn geworfen hat (– Verzeihung für das allzu klinisch geratene Gleichnis: eine der züchtigsten Damen Frankreichs, Madame Valmore, bediente sich des Ausdrucks bains int. in gewissen Fällen).

– Ich fand bei Plutarch, »Ich fand bei Plutarch«, vgl. Werke VIII S. 139. mit welchen Mitteln sich Cäsar gegen Kränklichkeit und Kopfschmerz verteidigte: ungeheure Märsche, einfache Lebensweise, ununterbrochner Aufenthalt im Freien, Strapazen ...

– Mein Einwand gegen Venedig liegt vor allem darin, daß es zu sehr einschließt: ich sollte glauben, man müsse eine Kur von Zeit zu Zeit gegen Venedigs Einfluß nötig haben ... Dann geht oder ginge es vielleicht.

– Ein Sprung in die Venediger Alpen? – Es ist erstaunlich, was die variatio sanat. Für fruchtbare und weibsartig periodische Wesen (wie es alle Künstler sind) scheint mir das brüske Einlegen von Zwischenakten, Kontrasten beinahe unerläßlich. Vielleicht erwägen Sie, liebster Freund, alsbald das Problem Ihres nächsten Sommers – oder schon Frühjahrs? Die Luft in der Heimat Tizians vielleicht? Eine Fußreise dorthin? – Zuletzt wird Ihnen nichts übrigbleiben, als sich ganz auf venezianischem Fuß einzurichten: aber dazu gehört, wie mir scheint, die Flucht vor Venedig, Land, Berg, Wald, die ganze in Venedig vergessene Welt.

Schließlich möchte ich eine Anfrage nicht unterlassen. Von welchem Orte (oder Menschen) aus glauben Sie jetzt am ersten noch, daß etwas zugunsten Ihres Bekanntwerdens getan werden könnte? Ist irgendein Musikfest in Aussicht? (– ein Stuttgarter, erste Hälfte Juni, mit Brahms, d'Albert, Joachim usw. ist das einzige, von dem ich weiß.) Haben Sie an Riedel vielleicht geschrieben? – Eben fällt mir Bologna ein: großes Fest im Mai. Ist es nicht möglich, Ihrerseits dazu etwas einzuschicken? zur Konzertaufführung? –

Fritzsch schweigt. »Fritzsch schweigt« über den Auftrag, Nietzsches Werke an Georg Brandes zu schicken. – Mein Druck bei Naumann hat ca. 200 Taler gekostet. – Ich habe die erste Niederschrift meines »Versuchs einer Umwertung« fertig: es war, alles in allem, eine Tortur, auch habe ich durchaus noch nicht den Mut dazu. Zehn Jahre später will ichs besser machen. – Schreiben Sie mir, bitte, etwas Genaues darüber, was und wieviel jetzt fertig geworden ist und woran Sie noch arbeiten.

Von Herzen Ihr Freund Nietzsche.


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