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2. An die Schwester.

Bonn, November 1864.

Meine liebe Lisbeth,

gar gerne möchte ich als Motto meines Briefes darüber schreiben »interessant und geistreich«, ich gehe nämlich von der Ansicht aus, daß ein Brief immer so ist, wie er aufgenommen wird, und vielleicht darf ich in dieser Beziehung die besten Hoffnungen haben.

Das war ein Posaunenstoß zur Einleitung. Jetzt kommt Schilderung der Situation.

Ich schreibe jetzt, morgens, eben des Bettes mich entwunden habend, zur direkten Widerlegung der Ansicht, daß ich Kater hätte. Du wirst diese geschwänzten Tiere nicht kennen. Gestern war großer Kommersabend »Gestern war großer Kommersabend.« Nietzsche war in Bonn in die Burschenschaft Frankonia eingetreten. mit dem feierlichen Landesvater und unendlichen Bowlenströmen; Gäste aus Heidelberg und Göttingen; mehrere Professoren, darunter Schaarschmidt, waren eingeladen und haben sehr nette Reden geredet. Deussen hielt eine famose Fuchsrede; unendliche Telegramms von allen Weltenden und Burschenschaften, von Wien, Königsberg, Berlin usw. Wir waren über 40 Mann zusammen, die Kneipe war prächtig geschmückt. Ich habe eine sehr angenehme Bekanntschaft gemacht, die des Doktors Deiters, der fabelhafter Schumannfreund ist; wir haben uns unsere gegenseitigen Besuche versprochen; nun habe ich doch endlich einen tüchtigen Musikkenner gefunden. Die gestrige Gemütlichkeit war eine herrliche, erhebende. Weißt Du, an solchen Kommersabenden herrscht ein allgemeiner Seelenschwung, da gibt es keine Biergemütlichkeit. Heute mittag ist großer Auszug durch die Hauptstraßen mit Paradeanzügen und fabelhafter Renommage. Dann fahren wir mit Schiff nach Rolandseck, dort ist großes Diner im Hotel Croyen, und was weiter folgt, das steht im subjektiven Belieben. – Vorgestern abend fing der Kommers an, wir tranken bis gegen 2 nachts, sammelten uns gestern um 11 morgens zu einem Frühschoppen, machten dann einen Markttrottoirbummel, aßen zu Mittag und tranken bei Kley gemeinsam Kaffee. Du siehst, die Tätigkeit und die Anstrengung ist groß – und ich habe recht, mit erhobenem Bewußtsein sagen zu können: ich habe keinen Kater.

Dies Schilderung der Situation. Jetzt kommt der literarische Briefkasten.

Viele von den Büchern, die Du beschreibst, sind mir nicht ganz unbekannt, die »Lebensrätsel« habe ich wohl auch einmal gelesen. Ich dachte, mehr noch als die Altejungferstube müßte Dir der junge Professor, der gegen Schluß antritt, gefallen haben. – Im Daheim lies doch »Marie und Maria«. »Hausse und Baisse«, das Du mir vielleicht nicht zu übersetzen brauchst, scheint mir vom philosophischen Katheder herabgeschrieben. »Durch Kreuz zur Krone« und »Gott ist mein Heil«, wie Morgen und Abend gegen das Vorhergehende verschieden, wird von der Kreuzzeitung gelobt. Die »Problematischen Naturen« habe ich auch noch nicht ausgelesen. Wie ich überhaupt in diesem Semester noch keinen Roman gelesen habe ...

Heute morgen setze ich den Brief fort und Du bekommst auf diese Weise eine vollständige Schilderung unseres Kommerses. Wir haben ein wunderschönes Wetter gehabt, der Auszug mit schöner Husarenmusik machte großes Aufsehen, der Rhein hatte die schönste blaue Farbe, wir hatten Wein mit auf das Dampfschiff genommen. Wie wir nach Rolandseck kamen, wurden Böller zu unserem Empfang gelöst. Wir tafelten nachher bis gegen 6 Uhr, waren ausnehmend vergnügt und sangen viele selbstverfaßte und sinnreiche Lieder. Draußen war es Dämmerung geworden, der Mondschein lag auf dem Rhein und beleuchtete die Gipfel des Siebengebirges, die aus dem bläulichen Nebel hervortraten. Nach Tische saß ich mit Gaßmann, vielleicht dem interessantesten Menschen der Frankonia und Bierzeitungsredakteur und Kneipwart, zusammen; wir blieben bei einem edlen Rheinwein, während die anderen Champagnerbowlen tranken. Die Gegend ist dort wirklich dreier Ausrufezeichen wert, besonders die reizende Insel Nonnenwörth, auf der ein Mädchenpensionat ist; darüber ragt der Drachenfels, diese mächtig steile Felswand. Der Ort macht den Eindruck der tiefsten Ruhe.

Nachher bin ich mit wenigen nach Bonn zurückgefahren, während die andern die Nacht dort geblieben sind und wahrscheinlich heute morgen eine Spritze in das Siebengebirge machen.

Heute morgen bin ich denn sehr froh und munter aufgestanden, denke zuerst an Dich und beendige den Brief, damit er noch zeitig genug eintrifft.

So hast Du denn ein Bild meiner letzten Tage, wunderschöner Tage, die Du Dir mit aller Phantasie ausmalen darfst. Allerdings habe ich bei dieser Überfülle des Stoffs Dir nur einiges Tatsächliche mitgeteilt und keine Gelegenheit gehabt, schöne und feine Bemerkungen zu machen.

Lebe nun recht wohl und grüße die liebe Tante Rosalie, sowie alle, die sich meiner gern erinnern. Adieu, liebe Lisbeth.

Dein Fritz.


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