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146. An Peter Gast.

Turin, 7. April 1888.
Sonnabend.

Lieber Freund,

wie hat mir das wohlgetan! Der erste Gruß, der mich hier empfing, war von Ihnen; und der letzte, der mich in Nizza erreichte, war auch von Ihnen. Und wie gute seltsame Dinge meldeten Sie! Daß Ihr Quartett in irgendwelcher kalligraphischen Vollkommenheit vor Ihnen liegt und daß Sie seinethalben nun auch diesen Winter segnen! Im Grunde wird man eine sehr anspruchsvolle Art Mensch, wenn man bei sich sein Leben durch Werke sanktioniert: namentlich verlernt man damit, den Menschen zu gefallen. Man ist zu ernst, sie spüren das: es ist ein teufelsmäßiger Ernst hinter einem Menschen, der vor seinem Werke Respekt haben will ...

Lieber Freund, ich benutze die erste Windstille einer sehr stürmischen Fahrt, um an Sie zu schreiben. Vielleicht gibt mir dies einige Ruhe und Haltung: denn ich war bisher außer Rand und Band und bin noch nie unter so ungünstigen Verhältnissen gereist. Ist es möglich, zwischen Montag und Samstag so viel absurde Dinge zu erleben! Es mißriet alles, von Anfang! ich lag zwei Tage krank, wo? – in Sampierdarena. Glauben Sie ja nicht, daß ich dahin habe reisen wollen. Nur mein Koffer hatte die ursprüngliche Intention nach Turin festgehalten; wir andern, nämlich mein Handgepäck und ich, gingen in verschiedenen Richtungen auseinander. Und wie teuer war die Reise! Wie bereicherte man sich an meiner Armut! Ich bin wirklich nicht gemacht mehr zum Alleinreisen: es regt mich zu sehr auf, so daß ich alles dumm anfange. Auch hier ging es zunächst drunter und drüber. Nachts schlaflos, erstaunt, nicht begreifend, was der Tag alles gebracht hatte. – Wenn ich Sie einmal wiedersehe, will ich Ihnen eine Szene in Savona beschreiben, die einfach in die »Fliegenden Blätter« gehört. Nur machte sie mich krank. – In Genua bin ich herumgegangen wie ein Schatten unter lauter Erinnerungen. Was ich einstmals dort liebte, fünf, sechs ausgesuchte Punkte, gefiel mir jetzt noch mehr: es schien mir von unvergleichlicher bleicher noblesse und hoch über allem, was die Riviera bietet. Ich danke meinem Schicksal, daß es mich in diese harte und düstere Stadt in den Jahren der décadence verurteilt hatte: geht man aus ihr heraus, so ist man auch jedesmal aus sich herausgegangen, – der Wille weitet sich wieder, man hat nicht den Mut mehr, feige zu sein. Ich war nie dankbarer als bei dieser Pelerinage bei Genua. –

Aber Turin! Lieber Freund, seien Sie beglückwünscht! Sie raten mir nach dem Herzen! Das ist wirklich die Stadt, die ich jetzt brauchen kann! Dies ist handgreiflich für mich und war es fast vom ersten Augenblick an: wie schauderhaft auch die Umstände meiner ersten Tage waren. Vor allem miserables Regenwetter, eisig, unbeständig, auf die Nerven drückend, mit schwülen halben Stunden dazwischen. Aber was für eine würdige und ernste Stadt! Gar nicht Großstadt, gar nicht modern, wie ich gefürchtet hatte: sondern eine Residenz des 17. Jahrhunderts, welche nur einen kommandierenden Geschmack in allem hatte, den Hof und die noblesse. Es ist die aristokratische Ruhe in allem festgehalten: es gibt keine mesquinen Vorstädte; eine Einheit des Geschmacks, die bis auf die Farbe geht (die ganze Stadt ist gelb oder rotbraun). Und für die Füße wie für die Augen ein klassischer Ort! Was für Sicherheit, was für Pflaster, gar nicht zu reden von den Omnibus und Trams, deren Einrichtung hier bis ins Wunderbare gesteigert ist! Man lebt, scheint es, billiger hier als in den andern großen Städten Italiens, die ich kenne; auch hat mich noch niemand betrogen. Man hält mich für einen ufficiale tedesco (während ich diesen Winter im offiziellen Fremdenverzeichnis Nizzas comme Polonais figurierte). Nein, was für ernste und feierliche Plätze! Und der Palaststil ohne Prätension; die Straßen sauber und ernst – und alles viel würdiger, als ich es erwartet hatte! Die schönsten Cafés, die ich sah. Diese Arkaden haben bei einem solchen Wechselklima etwas Notwendiges: nur sind sie großräumig, sie drücken nicht. Abends auf der Po-Brücke: herrlich! Jenseits von Gut und Böse!! Das Problem bleibt das Wetter Turins. Ich habe außerordentlich bisher unter ihm gelitten: ich erkannte mich kaum wieder. – Es grüßt Sie in dankbarer Ergebenheit

Ihr Freund Nietzsche.


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