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64. An Erwin Rohde.

Basel, 7. Oktober 1874.

Gestern abend, mein lieber Freund, kam ich aus den Bergen zurück, und heute morgen soll das nun bevorstehende Winterleben mit einem Geburtstagsbriefe an Dich begonnen und eingesegnet werden. Es fehlt mir nicht an Mut und gutem Vertrauen: das habe ich aus der Stille der Berge und Seen mitgebracht, wo ich recht bald bemerkte, woran es einem fehlte oder vielmehr woran man ein Übermaß hatte. Nämlich an Egoismus; und das kommt von dem ewigen Für-sich-Fortbrüten und -Fortleiden. Zuletzt fühlt man sich fortwährend, als ob man hundert Narben hätte und als ob jede Bewegung wehe täte. Aber wahrhaftig, nun werde ich nächstens dreißig Jahre, da muß es ein wenig anders werden, nämlich männlicher und gleichmäßiger und nicht mehr so verdammt auf und nieder. Sein Werk fortsetzen und dabei so wenig als möglich an sich denken – das muß es wohl sein, was not tut. Ich kam mir bei einiger Besinnung recht undankbar und albern vor, mit meiner quälerischen Verzagtheit: denn ich dachte daran, wie unvergleichlich ich eigentlich durch die letzten sieben Jahre hindurch beschenkt worden bin und wie ich nicht genug empfinden kann, was ich an meinen Freunden habe. Eigentlich lebe ich ja durch Euch, ich gehe vorwärts, indem ich mich auf Euch stütze; denn mit meinem Selbstgefühle steht es schwach und erbärmlich, und Ihr müßt mir immer wieder mich mir selber gewährleisten. Dazu seid Ihr mir die besten Vorbilder; denn sowohl Du als Overbeck, Ihr tragt das Lebenslos würdiger und mit weniger Klagen, obschon Du es in manchem Sinne schlechter und beschwerlicher hast als ich. Und am meisten empfinde ich es, wie Ihr mich weit gerade durch liebevolle Gesinnung übertrefft und an Euch weniger denkt. Darüber habe ich viel in der letzten Zeit nachgesonnen; dies darf ich Dir bei Gelegenheit eines Geburtstagsbriefes schon sagen.

Ich war mit Romundt und Baumgartner ein paar Tage auf dem Rigi, dann eine gute Woche allein in Luzern. Meine Tischnachbarn waren der Bischof Reinkens und Professor Knoodt. Heute abend ist die Taufe von Immermanns Jüngstem; wir drei assistieren dabei. Ich war mehreremal in Tribschen und vermißte viel, viel; mit der Gräfin Bassenheim in Luzern schüttete ich das Herz aus: auch sie fühlte sich durch Wagners Fortgang ganz und gar »enterbt« und hatte offenbar eine große Freude, etwas Neueres und Genaueres über Bayreuth zu hören. Gersdorff kommt erst gegen den 12. Oktober, – Du siehst, wie unsere Herbstzusammenkunft ganz in Stücke zerfällt, denn er kommt wieder in eine Arbeitszeit hinein, da meine Stunden mit dem zehnten beginnen. Overbeck ist noch im Korrigieren drin; ich bin damit fertig und erwarte stündlich das Eintreffen der fertigen Exemplare, damit sogleich eins derselben an Dich abgehen könne. Inzwischen ist mir der Inhalt der Nr. 4 ungefähr aufgegangen: was mich sehr erfreut hat, da ich es wie ein Geschenk hinnehme. Romundt hat literarische Absichten; privatim gründet er den Staat und die Religion. Fuchs hat durch Übersendung von Grüßen und Konzertzettel ausgedrückt, daß es noch nicht aus ist; und Overbeck hat ihm einen guten ehrlichen Brief über alle unsere Beschwernisse geschrieben. Baumgartner hat mir ein großes Bild von sich hinterlassen, das ganz ausgezeichnet gelungen ist. Krug und Pinder reisen mit ihren Ehegattinnen herum und treffen miteinander in Heidelberg zusammen; ich habe leider Krugen verfehlt, ebenfalls Deussen, der auch durch Basel reiste und mich sprechen wollte.

Geld und Schlüssel ist angekommen, ich danke schönstens. Gersdorff soll in das gleiche Logis; wir wollen zusammen recht viel Deiner denken. Wenn Dein Roman fertig ist, so telegraphiere, ich bitte Dich, damit wir ein kleines Fest a tempo feiern können. Wenn ich nur wüßte, wie Du Dir etwas Musik schaffen könntest, Musik unserer Art!

Draußen ist der sonnigste Herbst, und ich habe so schöne Trauben auf dem Tische, daß ich nur wünschte, Du könntest sie essen und wir säßen beisammen, ich spielte Dir etwas vor; auch famose Zigaretten habe ich aus Luzern mitgebracht. Das ist nun alles wieder vorüber.

Leb wohl, mein lieber, teurer Freund, und bleibe mir so zugetan wie bisher – dann wollen wirs schon noch eine Weile auf Erden aushalten.

Dein
getreuer
Friedrich Nietzsche.

Basel, den 7. Oktober 1874.

Da fällt mir ein, daß ich ja ein fertiges Exemplar der Nr. 3 besitze, freilich nur in Aushängebogen. Immerhin es kommt zur rechten Zeit, wenn es gerade zum 9. kommt.


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