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73. An Dr. Heinrich Romundt in Oldenburg.

Basel, Ostersonnabend, 13. April 1876.

Endlich, mein lieber Freund, sollst Du etwas von mir auf geradem Wege hören! Die Wellen gingen inzwischen über mein Haupt, und der Winter nahm einen wahrhaft unheimlichen und schrecklichen Charakter für mich an. Nun bin ich aber vier Wochen am Genfer See, in der Nähe des Schlosses Chillon, bei Schnee, Regen, Sturm und Sonnenschein herumgelaufen und habe mich selbst dabei wiedergefunden. Das heißt nämlich das Vertrauen auf meine Ziele, das Verpflichtetsein auf meine Aufgaben und den Mut der Gesundheit. Schwimmen wir also weiter gegen den Strom; mitunter wird die Seele matt, und da wirft wohl die Welle einen bei Seite, und der ganze Körper kracht. Ich weiß nie, wo ich eigentlich mehr krank bin, wenn ich einmal krank bin, ob als Maschine oder als Maschinist.

Zuletzt war ich eine Woche in Genf, entdeckte dort einen wahren Freund in der schweren Bedeutung des Wortes (Hugo von Senger, Generaldirektor des Genfer Orchesters) und machte bedeutende Erfahrungen. Ich fand zurückkehrend Dein Programm und ersah daraus den umfänglichen Charakter Deiner Tätigkeit und die angesehene Lehrerstellung, welche Du dort einnimmst. Dies ist Dein Chillon und Dein Genf, das sehe ich wohl ein; ich hoffe von Herzen, daß Du als höchsten Gewinn die Gesundheit der Seele davontragen mögest.

Ich verehre, sobald ich mir wiedergegeben bin, nur eins stündlich und täglich: die moralische Befreiung und Insubordination, und hasse alles Matt- und Skeptischwerden. Durch die tägliche Not sich und andere höher heben, mit der Idee der Reinheit vor den Augen, immer als ein excelsior »excelsior«, am 14. April 1876 schreibt Nietzsche an Rohde: »immer von neuem höre ich, daß hier und dort ein Kreis von Menschen sitzt, die auf mich hören und die erwarten, daß man noch höher steigt, freier wird, um selber dabei freier zu werden. Kennst du Longfellows Gedicht ›Excelsior‹?« Vgl. damit Aph. 285 der »Fröhlichen Wissenschaft«. so wünsche ich mein und meiner Freunde Leben.

In herzlicher Liebe der
Deine
F. Nietzsche.

Am Tag nach Charfreitag
1876.


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