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131. An die Schwester.

Nizza, Mittwoch, d. 23. März 1887.

Mein liebes Lama,

es ist mir jetzt schlecht zu helfen: wenn man sich mit aller Mühe ein halbes Leben lang fast unbedingte Unabhängigkeit erkämpft hat, wie ich es nötig fand, so muß man auch die Nachteile einer solchen Situation mit in den Kauf nehmen – man hat das eine nicht ohne das andere. Zu diesen Nachteilen gehört, daß von außen her niemand leicht errät, was einem abgeht. Ich wünschte etwas mehr Geld zu haben, so daß ich zum Beispiel bloß im Interesse meiner schwankenden Gesundheit und um die unzähligen Diätfehler zu vermeiden, denen ich in Restaurants und Hotels ausgesetzt bin, eine eigene Küche haben könnte. Es ist auch eine Sache des Stolzes: ich möchte ein Leben führen, das wirklich mir gemäß ist und nicht derartig schablonenmäßig erscheint wie das Leben »eines Gelehrten auf Reisen«. – Aber selbst die fünf Bedingungen, die mir das Leben erträglich machen könnten und wirklich nicht unbescheiden sind, scheinen nicht erfüllbar. Ich brauche 1) jemanden, der meinen Magen überwacht, 2) jemanden, der mit mir lachen kann und einen heiteren Sinn hat, 3) jemanden, der stolz auf meine Gesellschaft ist und die »anderen« im richtigen Respekt mir gegenüber erhält, 4) jemanden, der mir vorliest, ohne ein Buch zu verdummen. Es gäbe schon noch ein Fünftes, aber davon will ich gar nicht reden.

Mich zu verheiraten, wäre jetzt vielleicht eine einfache Dummheit, bei der mir meine blutig erworbene Unabhängigkeit sofort wieder flöten ginge. Ich hätte dabei ja wieder nötig, in irgendeinem Staate Europas mich zum Bürger zu machen, mitzuwählen, ich würde Rücksicht auf Weib, Kind, Familie des Weibes, den Ort, wo ich lebte, die Menschen, mit denen wir verkehrten, zu nehmen haben: aber mir dergestalt die Zunge zu binden, wäre mein Untergang. Lieber elend, krank, gefürchtet, in irgendeinem Winkel leben als »arrangiert« und eingereiht in die moderne Mittelmäßigkeit! Es fehlt mir weder an Mut noch an guter Laune. Beides ist mir geblieben, weil ich keine Feigheiten und falschen Kompromisse auf dem Gewissen habe. Beiläufig gesagt, ein weibliches Wesen, das sich zum Verkehr mit mir eignete, dessen Nähe mich nicht langweilte und nervös machte, habe ich bis jetzt noch nicht wieder gefunden. (Das Lama war ein guter Hausgenosse, dafür finde ich keinen Ersatz, aber es wollte seine Energie austoben und sich aufopfern. Für wen? für eine jämmerliche fremde Menschheit, von welcher es niemals Dank erfährt – und nicht für mich. Und ich wäre ein so dankbares Tier und immer bereit zu einem fröhlichen Gelächter. Kannst Du denn überhaupt noch lachen? Ich fürchte, bei diesen verbitterten Menschen da drüben wirst Du es ganz verlernen –). Übrigens, ich kenne halb Europa in Hinsicht auf Weiblichkeit, und überall, wo ich die Einwirkung der Frauen auf ihre Männer beobachten konnte, bemerkte ich eine Art langsamen Herunterkommens als Resultat, z. B. bei dem armen ***. Wenig ermutigend, nicht wahr?

Anfang nächsten Monats verlasse ich Nizza, um eine stille Zurückgezogenheit am Lago Maggiore zu suchen, wo es Wald und Schatten gibt und nicht diese blendend weiße und beständige Sonne des Nizzaer Frühlings! Die Adresse ist: Villa Badia, Cannobio (Lago Maggiore); aber ehe Dich dieser Brief erreicht, wer weiß, wo ich dann schon wieder bin.

In Liebe
Dein F.


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