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148. An Peter Gast.

Turin, Donnerstag. 31. Mai 1888.

Wenn ich Ihnen sofort wieder antworte, so wird es Ihnen nicht zweifelhaft sein, woran es mir fehlt, – daß Sie mir fehlen, lieber Freund! Wie sehr auch der Frühling mir geraten ist, er bringt mir gerade das beste nicht, das, was auch die schlimmsten Frühlinge mir brachten – Ihre Musik! Dieselbe ist mit meinem Begriff »Frühling« zusammengewachsen – seit Recoaro! – ungefähr so, wie das sanfte Glockenläuten über der Lagunenstadt mit dem Begriff »Ostern«. Sooft mir eine Ihrer Melodien einfällt, bleibe ich mit einer langen Dankbarkeit an diesen Erinnerungen hängen: ich habe durch nichts so viel Wiedergeburt, Erhebung und Erleichterung erfahren wie durch Ihre Musik. Sie ist meine gute Musik par excellence, für die ich innewendig mir immer ein reinlicheres Kleid anziehe als zu aller anderen.

Ich erlaubte mir, vorgestern Theaterberichte des Dr. Fuchs an Sie abzusenden. Es ist viel Feines und Erlebtes darin. Die Vorlesungen des Dr. Brandes sind auf eine schöne Weise zu Ende gegangen, – mit einer großen Ovation, von der aber Brandes behauptet, daß sie nicht ihm gegolten habe. Er versichert mich, daß mein Name jetzt in allen intelligenten Kreisen Kopenhagens populär und in ganz Skandinavien bekannt sei. Es scheint, daß meine Probleme diese Nordländer sehr interessiert haben; im einzelnen waren sie besser vorbereitet, z. B. für meine Theorie einer »Herren-Moral« durch die allgemeine genaue Kenntnis der isländischen Sagas, die das reichste Material dafür abgeben. Es freut mich, zu hören, daß die dänischen Philologen meine Ableitung von bonus »meine Ableitung von bonus«, vgl. Werke VII S. 309. gutheißen und akzeptieren: an sich ist es ein starkes Stück, den Begriff »gut« auf den Begriff »Krieger« zurückzuführen. Ohne meine Voraussetzungen würde nie ein Philologe auf einen solchen Einfall geraten können. –

Es ist wirklich schade, daß Sie nicht eine Ausschweifung ins Cadore gemacht haben statt ins Papierschwärzerische. Mein schlechtes Beispiel verdirbt ersichtlich Ihre an sich sehr viel besseren Sitten. Das Wetter war sehr geeignet zu einer solchen Gebirgsentdeckung: ich selbst zwar habe auch keinen Gebrauch davon gemacht und bin in ähnlicher Weise darüber mit mir unzufrieden.

Eine wesentliche Belehrung verdanke ich diesen letzten Wochen: ich fand das Gesetzbuch des Manu in einer französischen Übersetzung, die in Indien, unter genauer Kontrolle der hochgestellten Priester und Gelehrten daselbst, gemacht worden ist. Dies absolut arische Erzeugnis, ein Priesterkodex der Moral auf Grundlage der Veden, der Kastenvorstellung und uralten Herkommens – nicht pessimistisch, wie sehr auch immer priesterhaft – ergänzt meine Vorstellungen über Religion in der merkwürdigsten Weise. Ich bekenne den Eindruck, daß mir alles andere, was wir von großen Moralgesetzgebungen haben, als Nachahmung und selbst Karikatur davon erscheint: voran der Ägyptizismus; aber selbst Plato scheint mir in allen Hauptpunkten einfach bloß gut belehrt durch einen Brahmanen. Die Juden erscheinen dabei wie eine Tschandala-Rasse, welche von ihren Herren die Prinzipien lernt, auf die hin eine Priesterschaft Herr wird und ein Volk organisiert ... Auch die Chinesen scheinen unter dem Eindruck dieses klassischen uralten Gesetzbuchs ihren Konfuzius und Laotse hervorgebracht zu haben. Die mittelalterliche Organisation sieht wie ein wunderliches Tasten aus, alle die Vorstellungen wiederzugewinnen, auf denen die uralte indisch-arische Gesellschaft ruhte – doch mit pessimistischen Werten, die ihre Herkunft aus dem Boden der Rassen- décadence haben. – Die Juden scheinen auch hier bloß »Vermittler«, – sie erfinden nichts.

So viel, mein lieber Freund, zum Zeichen, wie gern ich mich mit Ihnen unterhielte –. Dienstag Abreise. –

Von Herzen Ihr Nietzsche.


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