Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Judas Ischariot.

            Er ist es! Jede Stunde lehrt: er ist's!
Die Flut gehorcht ihm, und der Feigenbaum
Verdorrt auf sein Gebot. Kein Geist der Plage,
Des Siechtums ist, den er nicht bändigte;
Die Stummen reden und die Lahmen wandeln,
Aus ihren Gräbern stehn die Toten auf
Und gehn hervor im Schweißtuch. Das verbürgt
Ihn als Propheten. Aber hätt' er auch
Von diesen Wundern keins getan, und wäre
Das ganze Land nicht seiner Zeichen voll
Vom Toten Meere bis an Zions Burg:
Wenn er mich anblickt, und aus seinem Auge
Der stille Glanz der Ewigkeit mich trifft,
Wenn ich ihn reden höre, und sein Wort
Voll schlichter Klarheit, jedem Kind verständlich,
Und tief doch, wie des Himmels tiefster Abgrund,
Die Festen meines Wesens schüttern macht,
Fast wie Posaunenschall – das ist's, woran
Ich dennoch spüren müßte: Hier ist mehr
Denn Moses und Elias und der Täufer,
Hier ist der eine, der verheißen ward.

Er ist's. Und doch, schau' ich in mich hinein,
Wie starr und düster alles, und kein Ton,
Der auf die Freudenbotschaft Antwort gibt!
Warum denn stürmt nicht ohne Rückhalt ihm
Dies Herz entgegen, warum jauchzt es nicht
In lichten Psalmen auf und schmilzt nicht hin
Am Strahl des Heiles, wie ein eis'ger Born,
Der rauschend in lebend'ge Flut zergeht?
Warum auch jetzt noch, da mich seine Kraft
Für Augenblicke schauernd angerührt,
Dampft trüber Zweifel, wie ein Nebel, wieder
Im Geist empor mir, und wenn Zweifel nicht,
Doch stete Lust zu zweifeln? Was empört
In diesen Gliedern, die doch Judas Samen,
Sich trotzig wider seine Göttlichkeit,
Und bäumt zurück vor seinem Liebesjoch,
Gleich wie ein störrisch Roß, und sähe lieber
Das große Werk der Gnaden ungeschehn,
Als so geschehn? – Ich hab' es oft durchgrübelt,
Doch all mein Grübeln frommt und ändert nichts.

Als Knabe hatt' ich Stunden, ahnungsreich
Und wie voll Weissagung; dem Jüngling wurden
Sie Kern des Lebens bald. – Sah ich den Römer
Mit eh'rnem Fuße schreiten durch das Land,
Gebietrisch trotzend, wo das Heiligtum
Des Höchsten ragt und in geweihten Grüften
Der Staub der Väter schläft: da wandte sich
Von jachem Weh durchzuckt mein Eingeweid',
Und jeder Tropfen Bluts in mir ward Zorn.
Hinaus ins Felsgebirge trieb es mich,
Und unterm Sternenhimmel, beim Geseufz'
Des Nachtwinds in den dürren Disteln, flammte
Mein brünstig Beten Fluch auf Fluch herab
Auf der Bedrücker Haupt, und schrie empor
Um den Messias, daß er uns erlöste
Aus solcher Schmach. – Und wenn ich heimgekehrt,
Erschöpft vom Eifern, mich aufs Lager warf,
Da füllten seltne Bilder mir den Schlaf,
Und meiner Seele grimme Sehnsucht trat
In körperlosen Schatten vor mich hin:
Auf Bergeszinnen einsam fand ich mich,
Und eine Hand aus Wolken reichte mir
Ein schneidig Schwert, und da ich's umgegürtet,
Durchfloß mich eine Kraft wie Feuerwein.
Im Sturme trug des Traumes Geist mich dann,
Und hoch zu Roß durch Schlachten ging es hin
Durch blanke Speere, Leichen, Wagentrümmer,
Durch Blut und Staub – die Römeradler sanken
Wie scheue Tauben vor dem Wetterschlag;
Weit, weit ins Unermeßne stob die Flucht,
Und fern im Untergang stieg eine Röte
Von Flammen auf und ward zum Feuermeer
Von Pol zu Pol, und in der Glut verging
Die Stadt des Greuls und aller Heiden Trotz.

Und wieder dann im Purpur sah ich mich,
Das dunkle Scheitelhaar von Salböl triefend,
Auf goldnem Stuhle: Harfen hört' ich rauschen,
Und alle Gipfel überprangend stand
Jehovas Tempel, denn des Erdrunds Fürsten
Knieten umher und huldigten dem Herrn,
Der sie durch meinen Arm gebeugt – und mir.

So träumt' ich oft und dacht' an Josephs Traum,
Wenn ich erwacht'. Und all mein Leben ward
Ein durstig Harren, dem das Gegenwärt'ge
Nur Morgendämmrung großer Zukunft schien.
Die Schriften der Propheten wühlt' ich durch
Bei tiefer Nacht, und sog aus dunkeln Worten
Mir Wachstum jener Ahnung, die mein Mund
Nicht kundzugeben wagte, mit Gebeten
Den Himmel stürmend um Bestätigung.
Doch Wochen, Monde, Jahre rollten hin,
Eintön'gen Schwungs, und Heute war wie Gestern,
Und nichts geschah.
                                Da plötzlich an mein Ohr
Erging ein dumpf Gerücht, das schüchtern erst,
Wie Windesodem durch den Pappelwald,
Durchs Volk dahinlief, doch im Weiterwandeln
Anwuchs und tausendstimmig Brausen ward.
Der Heiland, hieß es, der Erwartete,
Der Leu vom Stamme Juda sei gekommen,
Und sühnen werd' er seines Volkes Schmach.
Und wundervolle Mären gingen um
Vom Stern, der über Bethlehem geleuchtet,
Da er geboren ward; ergraute Hirten
Entsannen sich, daß sie in jener Nacht
Auf dunkler Feldwacht Engelsgruß vernahmen,
Und daß sie dann mit fremden Königen
Vor einem Kind gekniet, von dessen Lächeln
Ihr trüber Sinn licht wie der Himmel ward.
Und wie die Greis' erzählten, glänzten ihnen
Die faltigen Stirnen, gleich als flösse drum
Der einst geschauten Glorie Widerschein,
Und ihre Reden tönten wie Musik.

Das alles traf den Geist mir, wie ein Blitz
Ins Wasser schlägt und seine Tiefen aufrührt,
Und was auf meines Wesens letztem Grund
Bedeckt von der Alltäglichkeit geruht,
Kam wild vermischt nach oben: brünst'ge Sehnsucht
Nach Heil für mich und für mein duldend Volk,
Ehrgeiz'ger Wunsch, getäuschten Stolzes Grimm,
Gedankenunrast, welche nur mit Qual
Den Zweifel trug und doch die Klarheit scheute;
Und halb voll Hoffnung, halb voll Furcht: er sei's,
Ging ich zum Jordan.
                                  Wunderbare Stunde,
Die noch in der Erinnrung mein Gemüt
Durchbebt mit Schauern, und den Felsenkern
Der Männerseele mir in weibisch Heimweh
Dahinzutauen droht – mir wär' es besser
Vielleicht, ich hätte nimmer dich gesehn,
Als daß du kamst und gingst, und all mein Leben
Seitdem zum ungelösten Zwiespalt ward.
Auf einen König hatt' ich mich bereitet,
Auf einen Helden, der wie Saul das Volk
Weit überragt' um eines Hauptes Länge,
Auf einen Hohenpriester und Propheten,
Des Wort, in flammend Feuer eingetaucht,
Die Seelen zündete zum heil'gen Krieg –
Und nun, wie anders war er! – Demut ganz,
Holdsel'ge Sanftmut – statt das Schwert zu zücken,
Die Arme breitend, gleich als wollt' er drin
Die Welt umfangen: all sein Feldgeschrei
Ein Wort von Lieb' und Frieden, sonder Zeichen
Der königlichen Hoffnung sein Gewand –
Und dennoch glänzt' auf seiner klaren Stirn
Göttlichen Ursprungs Stempel, dennoch lag
In seinem Aug' ein unergründlich Etwas,
Daß ich davor die Wimper niederschlug,
Als schaut' ich in die Sonn'.
                                          Und als ich nun
Verwirrt, betroffen, mit mir selbst im Streit,
Mich stehlen wollte durch des Volks Gewühl,
Wie ein verletzter Hirsch das Dickicht suchend:
Da wandt' er plötzlich auf mich her sein Antlitz,
Und Halt gebietend mir mit einem Blick,
Von dem ich spürte, daß mein Innerstes
Ihm wie Kristall war, sprach er freundlich: Komm!
Ich weiß, wonach dich lüstet. Folge mir!

Ich folgt' ihm. Und für Stunden war mir's nun,
Ich sei verwandelt. In mein rastlos Stürmen
Kam eine Stille, die, wie süßer Schlaf
Des Kranken Fieber, mein erhitzt Gemüt
Besänftigte; mein Wandel und Gebet
Ward anders denn zuvor; und Tränen weint' ich,
Wie ich als Kind sie weinte, sonder Zorn.
Und horcht' ich dann, gelagert bei den andern,
Dem Worte, das von seinen Lippen ging,
Da ward mir oft zu Sinn, als wandert' ich
In einem dunkeln unterird'schen Gang,
Und sähe fern am äußersten Gewölb
Den Strahl des Tages fließen, und mich faßte
Ein weich Verlangen nach dem Licht hinauf.

Doch Stunden waren's nur, und all ihr Glanz
Und Glück war Traum. Mein Geist, auf Augenblicke
In Bilder sanften Friedens eingelullt,
Fuhr auf aus müß'ger Schwachheit und verlangte
Nach Größerem. – An seiner Wunderkraft
Nicht konnt' ich zweifeln, doch was frommte sie,
Wenn er sie rosten ließ, wie in der Scheide
Die Klinge rostet? Taten wollt' ich sehn,
Zerbrochen Zions Joch, gerächt die Qual,
Die wir erduldet, wiederhergestellt
Der auserwählten Stämme Königreich,
Ihn selbst gekrönt, und ihm zur Seite mich.
Er aber zog durchs Land und predigte
Und heilte Kranke, statt mit Kriegsgeschwadern
Mit Fischern oder Zöllnern sich umgebend,
Vergab verbuhlten Dirnen, schwatzt' am Brunnen
Mit fremden Weibern, ja und hieß dem Kaiser
Den Zins uns geben, der des Kaisers sei,
Indes sein trotz'ger Liktor täglich doch
Für Judas Rücken frische Ruten band.
Und als ich endlich, in der düstern Brust
Den ungeduld'gen Groll nicht länger zügelnd,
Auf eines Berges Gipfel zu ihm trat,
Und an sein Amt ihn mahnt', und ihm das Land
Verheißend wies, das seines Fürsten harrte,
Wie's vor uns lag mit seinen Seen und Städten
Und Zedernhöhn in Abendglut getaucht,
Da fuhr's aus seinem Aug' in meine Seele
Wie zornig Wetterleuchten, und sein Ruf
Ging dräuend in mein Ohr: Hinweg, Versucher!
Kommst du noch einmal? Hebe dich hinweg!

Seit jenem Tag steht etwas zwischen uns,
Wie eine Mauer. Fremd ist mir sein Tun
Und unbegreiflich all sein Will' und Weg.
Wohl pocht bisweilen seine Rede noch,
Sein Blick ans Herz mir, daß die Angeln schüttern
Wie vormals, wenn er heischte: Laß mich ein!
Doch, machtlos, sprengt er nicht die Riegel mehr.
Und wenn mein Fuß ihm folgt, und wenn mein Leib
Ihm noch gehorsamt, ist's Gewohnheit nur;
Denn kaum, daß ich, was er gebot, vollführt,
So schnellt mein Geist, wie ein gekrümmter Bogen,
In seinen Stolz zurück, und eines nur
Empfind' ich noch: daß wir geschieden sind.

Nun hör' ich wundersame Stimmen oft,
Die aus dem Boden gehn, im Winde schwimmen,
Im Abendnebel flüstern an mein Ohr.
Und wie ich ihnen lausche, wächst in mir,
Gleich Winterzacken unterm Tropfenfall,
Ein tödliches Gefühl empor wie Haß;
Und ein Gedanke, den ich, seit er einmal
Sprang aus der Dämmrung und Gestalt gewann,
Nicht mehr ins Nichts zurückzubannen weiß,
Heißt durch ein unerhörtes Wagnis mich
Das angefangne Werk nach meinem Sinn
Ins Gleis zu rücken, oder – fügt sich's nicht –
Es zu zerbrechen und auf seinen Trümmern
Erhabnen Haupts den eignen Weg zu gehn.
Woher dies Trachten stammt, wohin's mich führt,
Kaum mag ich's fragen. Ist's ein ewig Schicksal,
Das mich dahinreißt? Ist's ein Teil des Fluchs,
Den Adam fallend seinem Stamm vererbt?
Ist es der Sinn, dadurch der Engel reinster
Von seiner Stirn das Diadem verlor,
Und Satan ward? – Ich weiß es nicht zu nennen,
Noch auch zu bänd'gen. Geh's denn seinen Gang!

 


 


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