Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Barbarossas Erwachen.

                    Jüngling. Durch den Wald, durch den Wald,
    Den Felsenspalt
    Klimm' ich hinunter,
    Alter Kaiser, zu dir,
    Und rufe dich munter.
    O nimm von mir
    Die Last, den Kummer!

Kaiser. Was störst du mich aus hundertjähr'gem Schlummer?
    Rede, Geselle!

Jüngling. Draußen toset die Brandung der Zeit.
    Sie warf mich wie die sterbende Welle
    Hier aus in deine Einsamkeit.
    O, eh' ich mich wieder hinunterwage,
    Sag, wie ich's trage!
    Gib Rat, gib Weisheit!

Kaiser. Was fandest du?

Jüngling. Nirgends Ruh'!
    Überall ein Stürmen, ein Drängen
    In den Herzen, in den Gesängen.
    Nirgends mehr ein sicheres Bildnis,
    Alle Farben fließend verwischt,
    Und in sündlicher Wildnis
    Nacht und Klarheit,
    Lüg' und Wahrheit,
    Recht und Frevel zusammengemischt.

Kaiser. Und im Volke die Alten?

Jüngling. Die stützen und halten,
    Halten das Gute, halten das Schlimme.
    Sie hören nicht die Gottesstimme,
    Die nächtlich durch das Land sich schwingt,
    Und leise lockend, leise
    Wie eine Frühlingsweise
    Von einer reichen Zukunft singt.
    Der Lenz ist ihnen zu grün,
    Zu hell die Sonne,
    Der Jugend schwellende Wonne
    Zu stolz, zu kühn.
    Sie zertrümmern feindlich die Flasche
    Voll feurig gärenden Weins,
    Und wissen nur eins:
    Die Flamm' ist gefährlicher als die Asche.

Kaiser. Aber die Jungen?

Jüngling. Die schelten und meistern mit kecken Zungen;
    Nichts ist ihnen recht,
    Alles soll anders werden
    Im Himmel und auf Erden,
    Und wer nicht mitschreit, heißt ein Knecht.
    Sie möchten das Höchste zu unterst kehren,
    Um selbst zu herrschen nach eignem Begehren;
    Der Glaub' ist ihnen ein Fastnachtsscherz,
    Eine Torheit das Herz.
    Ach, und so viele
    Treiben's zum Spiele!
    Nach Freiheit rufen sie männiglich,
    Und sind der eigenen Lüste Knechte;
'    Sie reden vom ewigen Menschenrechte
    Und meinen doch nur ihr kleines Ich.
    Sie wollen der Wahrheit Schlachten schlagen,
    Und die Lüg' ist ihr Schwert,
    Wollen die Welt auf den Schultern tragen
    Und ordnen kaum den eignen Herd.

Kaiser. Toren! Sie schießen nach den Sternen,
    Doch sie werden das Treffen nicht lernen.
    Die Welten wandeln ihren Gang
    Ruhig entlang,
    Und lächeln auf die Knaben herunter.

Jüngling. Aber es sind auch andre drunter,
    Ein welfisch ehrenwert Geschlecht;
    Sie klagen um zertretnes Recht.
    Sie haben geredet, gerufen,
    Vor den Hallen, an den Stufen,
    Sie haben geläutet unverdrossen
    Im Trauergewand, in der Flehenden Kleid,
    Aber es blieb vor ihnen verschlossen
    Die Pforte der Gerechtigkeit.
    Gilt es nicht da, das Schwert zu schleifen?

Kaiser. Laß reifen! laß reifen!
    Tändle nicht mit tödlichen Waffen!
    Im alles verwettenden Spiele
    Was magst du schaffen?
    Denn wenn der Würfel nun anders fiele,
    Als du gedacht?
    Wenn unter des Fremdlings Sichelschneide
    Die junge Saat hinsänke mit Leide,
    Kaum zur grünen Hoffnung erwacht?
    Harre, doch sei nicht angstbeklommen!
    Der Lenz wird kommen
    Plötzlich geboren über Nacht.

Jüngling. Wie lange wird er noch verziehn!
    Oft will die Last mich niederpressen –

Kaiser. Wirf deine Sorgen all auf ihn,
    Der droben auf ewigem Stuhl ist gesessen!
    Er hat auch euer nicht vergessen,
    Die Stunde kennt er, die Wege.
    Du aber pflege
    Der Gabe, die er dir gnädig beschied,
    In Tat und Lied.
    Schaue fest auf das Ziel deiner Reise!
    Der ist der Weise,
    Der es nimmer vergaß;
    Wirke treu im befriedeten Kreise,
    Und halte Maß!

 


 


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