Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Clotar.

(Fragment) 1838.

              Es liegt am Strand der Spree im Preußenland
Die Stadt Berlin, die jede Zeitung nennt,
Berühmt durch ihren Fritz und ihren Sand
Und tausend Dichter, welche niemand kennt;
Dort lebte noch vor kurzem unbekannt,
Doch wert, daß ihr ihn kennet, ein Student,
Und weil mir eben andre Helden fehlen,
Will ich von meinem Freund Clotar erzählen.

Er war ein seltner Kauz, halb Mann, halb Kind,
Ein Mensch, als hätt' ihn der April geboren:
Bald heldenkühn und rasch zur Tat gesinnt,
Bald träumerisch in Schwärmerei verloren;
Trübsinnig heute, wetterlaunisch, blind,
Und morgen jedem Kummer abgeschworen;
Jetzt wehmutweich, jetzt trotzig, nimmer stet –
Mit einem Wort: er war ein Stück Poet.

In der Gesellschaft, wo am blanken Teetisch
Das Wasser brodelt und der Blaustrumpf glänzt,
Und wo prosaisch bald und bald poetisch
Des Geists Rakete durch die Luft sich schwänzt,
Langweilt' er sich; er liebt' es nicht, den Fetisch
Mit anzubeten, den man just bekränzt;
Er schwieg darum, und tat er auch den Mund auf,
So war's zu gähnen nur von Herzensgrund auf.

Auch haßt' er Zeremonien und Visiten,
Manschetten, Binde, Frack, den Hut im Arm,
Den Mund voll Phrasen und das Herz voll Nieten,
Und fader Püppchen aufgestutzten Schwarm;
Ja, hätte manche Dame zu gebieten,
So würde längst ihm in der Hölle warm,
Damit er qualvoll dort es lernen müsse,
Wie man die schönberingte Hand ihr küsse.

Dagegen liebt' er alte Folianten,
Woraus der Geist vergangner Größe sprach;
Wenn bleicher schon des Himmels Sterne brannten,
Saß einsam er noch oft bei ihnen wach.
Er spürt' in ihrem Schacht den Diamanten
Der Schönheit und dem Gold der Weisheit nach,
Und hörte drin mit andachtsvollem Lauschen
Des Lebens tiefverborgne Quellen rauschen.

Ernsthaft ans Werk, zum Frohsinn aufgeräumt,
Das war sein Wort und das war seine Weise.
Seht hin! Die Zither klingt, der Becher schäumt,
Er rastet beim Gelag im Freundeskreise;
Da glänzt die Stirn, die eben noch geträumt,
Die blasse Wange färbt mit Rot sich leise,
Die Wimpern zucken rasch, die Augen blitzen,
Und seine Lippe sprüht von hundert Witzen.

Und fand er Mädchen sinnig, lieb und schlicht,
Mit offner Stirn und feingewölbten Brauen,
So weilt' er gern. Ihr lächelndes Gesicht
Voll ros'gen Friedens scheucht' ihm jedes Grauen;
Ihm war's, als säh' er durch des Auges Licht
Der Seele tiefen Himmel glänzend blauen;
Im Herzen klang ihm leise Melodie,
Und Liebe fühlt' er nicht, doch ahnt' er sie.

Wir werden lieben! – Schöne Dämmerzeit!
Die Luft ist still, nur schauert's in den Bäumen,
Errötend dehnt der Himmel sich so weit,
Die Vögel schlafen noch, die Blumen träumen
Und duften aus dem Traume, weit und breit
Zieht leichter Nebel an den Bergessäumen;
Doch alles kündet schon, daß strahlenvoll
Der Sonne Gruß die Welt entzünden soll. –

Es war April. Der Schnee im Tal zerschmolz,
Die Ströme tanzten siegreich durch die Flur,
Die ersten Schwäne wiegten flügelstolz
Den Leib im tiefen sonnigen Azur,
Von harz'gen Knospen schwoll das dürre Holz,
Durch dessen Kronen lau der Westhauch fuhr,
Und schüchtern aus dem lockern Boden trat,
Vom Licht geweckt, die erste grüne Saat.

O kennt ihr jene Sehnsucht, die so mild
Zu dieser Zeit die Menschenbrust durchzieht,
Die sanft mit jedem Frühlingshauche schwillt,
Mit jedem Veilchen voll und voller blüht,
Die, o so süß und doch so ungestillt,
Kaum weiß, wonach sie seufzt, wofür sie glüht,
Und endlich, wenn der Abendstern erscheint,
Der Hoffnung und Erinnrung Tränen weint?

Dieselbe Sehnsucht ist's, die in der Nacht
Die Nachtigall der Rose schmelzend klagt,
Dieselbe, die vom süßen Traum erwacht
Uns seufzen läßt, daß es schon wieder tagt,
Dieselbe, die im Mädchenherzen sacht
Sich regt und dennoch sich zu regen zagt,
Wenn sechzehnjährig es zum erstenmal
Entgegenknospt der Liebe jungem Strahl. –

Es war April. Am Fenster stand Clotar
Und sah hinaus zum weiten Himmelsbogen,
Wo aus dem Blau die Sonne licht und klar
Herniederschien und wo die Schwalben zogen,
Und auch in seiner Brust fing wunderbar
Der Wellenschlag der Sehnsucht an zu wogen,
Ihm war's, als rief's ihn aus dem dumpfen Haus
Mit tausend Stimmen in die Welt hinaus.

Und plötzlich fuhr er auf, wie aus dem Traum
Ein Kranker fährt, wenn er sich fühlt genesen –
Vom Auge reibt er sich des Schlummers Flaum,
Und nicht begreift er, was mit ihm gewesen;
Was hinten liegt, deucht ihm ein Leben kaum,
Der Zukunft farb'ge Blätter will er lesen,
Er ruft: Hinaus, um neue Kraft zu saugen!
Das frische Grün ist gut für trübe Augen.

Und von der Wand nahm er den Wanderstab,
Den Ariost und seine treue Laute;
Dann ging's die Friedrichstraße rasch hinab
Die schattenlos einförmig langgebaute;
Ihn kümmert's wenig, daß auf ihn herab
Aus manchem Fenster man verwundert schaute;
Zum Hall'schen Tor schritt er hinaus in Ruh,
Und wandert' ohne Umschaun rüstig zu.

Doch fürcht' ich wahrlich, mancher wird mich schelten,
Daß meinen Helden ich so ungerührt
Von dannen schicke, und ich laß es gelten,
Berlin hat vieles, dem ein Lob gebührt.
Schön ist's unstreitig abends an den Zelten,
Wenn man sein Liebchen dort spazieren führt;
Schön ist's im fischberühmten Stralan, Dank o
Neptunus dir, und schön ist's auch in Pankow.

Schön ist der Staub der wimmelnden Chausseen,
Schön ist der Fähndrichs feingeschnürtes Korps,
Schön sind die nachgeäfften Propyläen
Mit Treppen drauf, das Brandenburger Tor,
Schön des Balletts hochaufgeschürzte Feen,
Und schön des Kolosseums Damenflor,
Ja, schön sind Menschen, Wasser, Luft und Erde,
Vor allem die Charlottenburger Pferde – – –

 


 


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