Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Ada.

Tagebuchblätter.

                Noch webt der Kindheit Dämmrung ihr ums Haupt
Und läßt sie träumen kaum von künft'ger Blüte;
Dein Wahn nur ist's, der mehr zu spüren glaubt;
Drum still, mein Herz, und dein Geheimnis hüte!

Doch einst, ach, wird sie einst die Deine sein?
Wirst du noch alternd ihrer Jugend taugen? –
Mein gläubig Herz spricht: Ja, mein Kopf spricht: Nein,
Und heiß vom Herzen schießt mir's in die Augen.

So schwank' ich Stund' um Stunde. Nacht wird Tag
Und Tag wird Nacht im langen, bangen Warten.
Wann kommst du, Mai? Wann blüht die Ros' im Garten,
Daß ich mein Schicksal wissen mag!


       

Schlage nicht die feuchten Augen
Bang erglühend niederwärts;
Weine nur, wenn ich dich küsse,
Weine nur, geliebtes Herz!

Junges süßes Leben schauert
In dem tiefen Seelenlaut;
Wein' und küsse nur! Die Rosen
Sind am schönsten, wenn es taut.


       

Laß andre nur im Reigen
Mit lautem Gruß mir nahn,
Du bist mein lieblich Schweigen,
Und siehst mich freundlich an.

Dein Auge tief und minnig,
Es sagt mir Tag für Tag,
Was nimmer so herzinnig
Die Lippe künden mag.

So hat die Frühlingssonne
Auch Schall und Rede nicht,
Und doch mit stiller Wonne
Durchschauert uns ihr Licht.

Mir gab den Wohllaut eigen,
Der dir den Blick beschied;
Sei du mein lieblich Schweigen
Und ich will sein dein Lied.


       

Als ich vertieft heut lag am Waldesrand,
Und bangt' um deine Liebe, fiel von selber
Mir ein vierblättrig Kleeblatt in die Hand.

Und als ich spät im Dunkeln dein gedacht,
Am offnen Fenster in den Garten lehnend,
Da schossen Stern' um Sterne durch die Nacht.

Was hilft's der Welt, daß sie mich von dir trieb?
Nun sind mir Erd' und Himmel Boten worden,
Und sagen grüßend mir, du hast mich lieb.


       

Des Mondes Silber rinnt
Im Wald von Zweig zu Zweigen,
Im Tal die Nebel steigen,
Entschlafen ist der Wind.

Und wie kein Halm sich regt,
Kein Läublein, keine Ranke,
Hat jeder Schmerzgedanke
Sich auch zur Ruh' gelegt.

Wie klar erscheinst du mir
In meiner Seele Grunde!
Mir ist zu dieser Stunde,
Ich redete mit dir.

Ich fühl's in sel'ger Ruh':
Eins sind wir, auch geschieden –
Gut' Nacht, und solchen Frieden,
Geliebte, hab' auch du!


       

Weil mein Mund den klugen Leuten
Oft nur halbe Antwort stammelt,
Heißen sie mich den Zerstreuten,
Doch ich bin in dir gesammelt.

Laß an Babels Turm sie bauen!
Aber mich soll eins nur freuen,
Fromm in innerlichem Schauen
Mir dein Bildnis zu erneuen.

Und so leb' ich Stund' um Stunde
Einsam mitten im Getriebe,
Still durchsonnt im Herzensgrunde
Vom Bewußtsein deiner Liebe.


       

So wundersüß hab' ich geträumt zur Nacht,
Und kann mich doch des Traums nicht mehr entsinnen;
Doch fühl' ich noch erwacht
Ein sanftes Feuer durch die Brust mir rinnen,
Das fröhlich mich zu jedem Werke macht.
Gewiß, das ist dein lieber Wille,
Das ist dein Gruß, du hast aus deiner Stille
In roter Frühe zu mir hergedacht.


       

Mag auch heiß das Scheiden brennen,
Treuer Mut hat Trost und Licht;
Mag auch Hand von Hand sich trennen,
Liebe läßt von Liebe nicht.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein treu Gedenken.

Ist kein Wasser so ohn' Ende,
Noch so schmal ein Felsensteg,
Daß nicht rechte Sehnsucht fände
Drüberhin den sichern Weg.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein stark Gedenken.

Über Berg' und tiefe Tale,
Mit den Wolken, mit dem Wind,
Täglich, stündlich tausend Male
Grüß' ich dich, geliebtes Kind.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein frisch Gedenken.

Und die Wind' und Wolken tragen
Her zu mir die Liebe dein,
Die Gedanken, die da sagen:
Ich bin dein und du bist mein.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein lieb Gedenken.

Überall, wohin ich schreite,
Spür' ich, wie unsichtbarlich
Dein Gebet mir zieht zur Seite
Und die Flügel schlägt um mich.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein fromm Gedenken.

Und ich bin so froh und stille,
Muß ich noch so ferne gehn;
Jeder Schritt – ist's Gottes Wille –
Ist ein Schritt zum Wiedersehn.
Keine Ferne darf uns kränken,
Denn uns hält ein froh Gedenken.


       

Es war im tiefsten Waldrevier,
Im Moos zu Füßen ruht' ich dir;
Kein Lüftchen ging vom blauen Zelt,
So still der Ort, so fern die Welt!

Da sah auf deinem Angesicht
Ich blühn des Himmels reinstes Licht,
Es glänzt' in deinem Auge feucht
Der Liebe heiligstes Geleucht.

Und wie ich sog den Himmelsstrahl,
Zerging in mir der Erde Qual;
Getaucht in deiner Liebe Schein,
Da ward ich jung, da ward ich rein.

Ein Siegel lag auf meinem Mund,
Mir war's, du bist auf heil'gem Grund;
Was nur dem Menschen Höchstes ward,
Hier ist's dir selig offenbart.

Und durch die Brust mir frisch und kühl
Hinrann der Ewigkeit Gefühl,
Darin die Stunde Jahre wiegt,
Im Atemzug ein Leben liegt.

Wie lang wir blieben, weiß ich nicht;
Weiß nur: mein Wesen war voll Licht,
Wir waren unser, ich und du,
Und Gott der Herr sah segnend zu.


       

Der Wald wird dichter mit jedem Schritt;
Kein Pfad mehr, kein Steig!
Nur die Quelle rieselt mit
Durch Farrenkraut und Brombeergezweig;
Ach, und unter den Eichenbäumen
Das Gras wie hoch, wie weich das Moos!
Und die himmlische Tiefe wolkenlos
Wie blaut sie durch die Wipfel hier!
Hier will ich rasten und träumen,
Träumen von dir.


       

Nun hast du dich ergeben
Mir ganz mit Seel' und Leib,
O du mein süßes Leben,
Mein Lieb, mein Kind, mein Weib.

Nimm hin denn sonder Schranke,
Nimm hin auch du, was mein!
Mein innerster Gedanke,
Mein letzt Gefühl ist dein.

Gott schickt hinfort uns beiden
Ein Glück nur, eine Not;
Und nichts mehr kann uns scheiden,
Es scheid' uns denn der Tod.


       

O fühl's an meines Herzens Schlage,
Wenn du mich schweigend an dich drückst,
Wie du mit jedem neuen Tage,
Geliebte, höher mich beglückst.

Ach, seit in holdem Selbstvergessen
Der Lippe Zagheit dir zerrann,
Nun lern' ich selig erst ermessen,
Welch Kleinod ich an dir gewann.

Im deines Herzens lauterm Grunde
Erschließt sich mir die reichste Welt!
Hinunter lausch' ich Stund' um Stunde
Wie in ein wehend Lilienfeld.

Du willst nur lieben, glauben, ahnen;
Und doch, mit diesem stillen Sinn
Auf des Gedankens kühnsten Bahnen
Wie fest und sicher wallst du hin!

Oft staun' ich, wie dein klar Gemüte
Der Dinge tiefste Tiefen mißt –
Und bliebst doch ganz ein Kind voll Güte,
Und ahnst es nie, wie reich du bist.


       

Über die sonnigen Bergesgipfel
Kommt es geflossen wie Liebeshauch,
Schauerndes Leben durchflutet die Wipfel,
Hoch in Blumen entlodert der Strauch.

Alles Gealterte will sich verjüngen,
Alles Gebundene sanft sich befrein, –
Herz, wie jauchzest auch du in Sprüngen
In den klingenden Frühling hinein!

Ziehende Schwäne droben im Blauen,
Drunten die quellende Blütenlust –
Ach, und im Garten hinab zu den Auen
Wandelt mein Weib mit dem Kind an der Brust!


       

Nun komm, mein süßes Weib, und rasten wir,
Solang' es dämmert noch im Erker hier,
Und horchen, wie im Winde reingestimmt
Das Spätgeläut den See herüberschwimmt;
Ja, Feierabend ist, und selig müd
Geschlossen Auges lehn' ich in die Pfühle,
Und wie ich deine Wang' an meiner fühle,
Glänzt mir auch das noch leise durchs Gemüt,
Wie wunderlieb mich heut zur guten Nacht
Dein Kind aus blauen Augen angelacht.


       

Wachst du noch einmal auf zum Schmerz
Aus dumpfem Schlaf, zerdrücktes Herz?
Was schlägst du noch? O Gott, sie haben
Mein Weib und all mein Glück begraben. –


       

Nun hallt der Menge dumpf Gebraus
Allmählich auf den Gassen aus,
Und müde von des Werks Beschwerde
Kehrt jeder zum vertrauten Herde.

Beglückt, wer nach mühsel'gem Tag
In Liebesarmen ausruhn mag!
Ich bin allein; im Herzensgrunde
Bricht blutend auf die alte Wunde.

Am Fenster lehn' ich still und seh'
Dichtflockig niederwehn den Schnee,
Die Nacht bricht ein; die Glocken summen
Den Abendsegen und verstummen.

Der Schnee fällt draußen auf ein Grab!
Da schläft, die ich geliebet hab',
Die mich geliebt, wie keinen, keinen
Ein Weib geliebt – o könnt' ich weinen!


       

Wie die Stunden leise fluten,
Well' auf Well' im ew'gen Lauf,
Hört die Wunde sacht zu bluten,
Hört das Herz zu zucken auf.

Wie Gesang entfernter Schwäne
Lockt der Lenz mich wieder fort,
Und zur Wohltat wird die Träne,
Zur Erlösung wird das Wort.

Und den Schmerz, der mich zerrissen,
Da ich stumm vor ihm erlag,
Nimmer könnt' ich nun ihn missen,
Seit ich von ihm klagen mag.

Wie gereift von heil'gem Feuer,
Wächst mein Herz in ihm empor;
Ach, und himmlischer und treuer
Lieb' ich nur, was ich verlor.


       

Meiner Heimat Buchen grünen
Schöner dieses Jahr denn je,
Und herüber von den Dünen
Rollt der Wogenschlag der See.

Waldesrauschen, Meeresbrausen,
O wie wuchs mir wundersam
Sonst die Brust von süßem Grausen,
Wenn ich euern Gruß vernahm!

Durch der Wipfel dunkles Weben,
Aus der Tiefe mächt'gem Schoß
Fühlt' ich Gottes Odem schweben,
Und mein Herz ward fest und groß.

Meeresbranden, Waldesschauer,
O so übt auch heut getreu,
Übt an meiner tiefen Trauer
Eure stille Macht aufs neu'!

Singt dem Müden, Sehnsuchtskranken
Das verwaiste Herz in Ruh'!
Deckt mit Ewigkeitsgedanken
Der Geliebten Grab mir zu!

Ach, und wie mein irdisch Wesen
Euer Hauch mit Kraft durchquillt,
Laßt mich ahnen ein Genesen,
Das auch dieses Heimweh stillt!


       

Manchmal, als ob ich dich noch hätte,
Wenn mir der Tag verging in Schmerz,
Trittst du in Träumen an mein Bette
Und legst mir still die Hand aufs Herz.

Es webt um deine reinen Züge
Der stille Glanz der Ewigkeit;
Doch blickt dein Aug', als ob es früge:
»Was härmst du dich? Ich bin nicht weit.«

Und bist du plötzlich dann verschwunden,
Wohl wein' ich wieder, doch es fühlt
Mein Herz zugleich mit seinen Wunden
Den Himmelsbalsam, der sie kühlt.

Ein Hauch ist über mir geblieben,
Ein Trost, wie ihn das Pfingstfest bringt,
Das süße Wissen, daß dein Lieben
Auch durch den Tod noch zu mir dringt.

 


 


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