Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Rückerinnerung.

        Oft wenn die Sommernacht auf lauen Flügeln
Von Gärten, Blütenwäldern, Rebenhügeln
Des Südens Düfte zu mir trägt,
Wenn durch das Bogenwerk am Säulengange
Der Mondstrahl spielt, und fern mit süßem Klange
Die Nachtigall am Brunnen schlägt:

Wenn mit Geplauder dann, mit Scherz und Singen
Die muntern Freunde lachend mich umringen,
Die Laut' im Arm, das Glas zur Hand:
Da werd' ich plötzlich stumm, und die Gedanken
Schweifen, Zugvögeln gleich, mit irrem Schwanken
Sehnsüchtig heim ins Vaterland.

Mir ist es dann, als sei ich doch im Grunde
Ein Schiffer nur, geführt von böser Stunde
Zu eines Zaubereilands Pracht,
Als müßt' ich dieses Mondlichts süßes Weben
Und diese Blütendüfte freudig geben
Für eine deutsche Nebelnacht.

Da denk' ich, wie ich bei des Herbstes Stürmen
Oftmals entlang den Kirchhof an den Türmen
Des gotischen Doms vorüberschritt;
Die Glocken schlugen an, gleich roten Sternen
Schwankten im Zug der Gassen die Laternen,
Und über Gräbern scholl mein Tritt.

Laut auf die Dächer prasselte der Regen;
Am Bogentor schlug mir der Wind entgegen
Und schüttelt' heftig mit Gebraus
Die alten Ulmen, die dort finster ragen;
Doch ich, den Mantel fester umgeschlagen,
Eilte zum hohen Giebelhaus.

O Freude, wenn ich dann vom Regen tropfend,
Das Herz in ungestümer Sehnsucht klopfend,
Empor die breiten Treppen flog,
Und von den dunklen Galerien droben
Sich mir, vom Schein der Lampe mild umwoben,
Ein Lockenhaupt entgegenbog!

 


 


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