Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Auf Felix Mendelssohn-Bartholdys Tod.

        Auf jeden Tag, und schwing' in sprühnder Pracht
Er noch so stolz die Fackel, folgt die Nacht;
Steigen und sinken lautet das Gebot,
Das uns beherrscht, und König ist der Tod.
Wir wissen's wohl, und tausendförmig sehn
Wir täglich ihn an uns vorübergehn,
Und schaudern nicht; wir sehn es, wie dem Greis
Die Locke sich bereifet silberweiß,
Wie ebbend sich der Seele holdes Licht
Verzehrt und dann erlischt, und schaudern nicht.
Denn ihren Kreis hat die Natur beschlossen,
Zur Neige ist die Sanduhr ausgeflossen,
Und in die Lücke tritt ein neu Geschlecht
Mit frischerm Mut und jüngerm Lebensrecht.

Doch wenn der Tod urplötzlich vor der Zeit
Hereintritt, wo noch alles grünt und mai't,
Wenn er den Mann an neuen Lebens Schwellen
Zerbricht in seiner Tatkraft vollstem Drang,
Dem Bogen gleich, der mit gediegnem Klang
Noch tausend goldne Pfeile sollte schnellen,
Wenn mit dem einen Opfer eine Welt
Von Hoffnung und ein Lenz von Blüten fällt:
Da stehn wir starr und schaun, zum Trost zu schwach,
Den Abgrund nur, das Grab. Mit bleichem Munde
Scheu durch die Gassen irrt die Trauerkunde,
Und unermeßlich hallt die Klage nach.

So ist's mit dir. Fast noch in Jugendtagen,
In deines Schaffens reichstem Sommerflor
Standst du, der Zukunft Weisen schon im Ohr,
Da wurdest du vom jähen Blitz erschlagen.
Die zarte Hülle, drin des Werks beflissen
Rastlos gewühlt der schöpferische Geist,
Zersprang, und deine Melodien zerrissen,
So wie ein goldenes Geweb zerreißt,
Du fielst, ein Baum, der Frucht und Blume wies,
Der Großes gab und Großes uns verhieß.

O du warst reich! Du trugst in deiner Brust
Für jeden Schmerz den Klang, für jede Lust;
Du wußtest jenen dunklen Laut zu binden,
Der über dem Erschaffnen in den Winden
Gleichwie des Weltalls leises Atmen schwimmt
Und nun mit Jubel, nun mit tiefer Klage
Als Grundton stets zu unsres Herzens Schlage
Geheimnisvoll in unser Fühlen stimmt.
Du wußtest, welch ein ringend Lichtverlangen
Von Blatt zu Blatt im Frühlingswalde klingt,
Was aus der Flut mit wundersamem Bangen
Der Geist der Nacht an Meeresgrotten singt.
An deine Seele klang des Herbsttags Trauer,
Wenn leise rieselnd in der Dämmrung Schauer
Vom abgestorbnen Baum das rote Laub
Gleich blut'gen Tränen hinfließt in den Staub;
In der zerrißnen Weise, die die Schwinge
Des Sturmes aus der Äolsharfe wühlt,
Hast du das ganze Klagelied der Dinge,
Die ganze Sehnsucht der Natur gefühlt.
Und doch erbaute dann dein kühnes Herz
Auf solchem Grund sich eine Welt von Scherz,
Wie Prospero schwangst du den Zauberstab,
Und ließest keck den lust'gen Elfenreigen
Aus Nebeln quellen und im Mondlicht steigen,
Bis schalkhaft dich der holde Spuk umgab.

Ja, Magus warst du. Fügsam beugten sich
Dir Raum und Zeit; kein Wunder schreckte dich.
Gefeit von jener Kunst, die dich gebar,
Stiegst du wie Faust hinunter zu den MütternFaust, zweiter Teil, erster Akt: »Finstere Galerie«.,
Die Pforten sprangen vor dir auf mit Schüttern,
Wo alles webt, was sein wird, ist und war.
Von dort entführtest du in ihrem Weh
Die andre Helena: Antigone.
Wie Riesenschatten zwangst du die Gestalten
Der Griechenwelt zurück vor unsern Blick;
Von Laios' Haus das düstre Fluchgeschick,
Der Eumenide Gang, der Götter Walten
Im heil'gen Rhythmus wieder riefst du's wach,
Daß es, im Klang versöhnt, wie zu den Alten
Zu uns in schauervoller Größe sprach.

Und doch, wie marmorschön sie mochte prangen
Im strengem Reiz und hoher Heldenzier:
Die große Vorwelt nahm dich nicht gefangen;
Dein war sie worden, aber du nicht ihr.
Durch ihre Götterfülle sahst du scheinen
Wie durch ein bunt Gewölk den Glanz des einen,
Zu dem dein ringend Herz so oft, so tief
In brünst'ger Andacht Feiertönen rief.
Da schwebte wie auf weißen Taubenschwingen
Mit des Apostels Worten dein Gesang,
Und des Propheten himmlisch Feuer klang,
Dein Schwanenlied – wie Schwanenlieder klingen.
Ich klage nicht um dich; du hast gelebt;
An Jahren jung, an Werken wie ein Greis,
Als Knabe Meister, hast das Lorbeerreis
Im ungebleichte Locken du verwebt.
Kurz war dein Pfad, doch trug er Blum' an Blume,
Und wie Achill sankst du in deinem Ruhme.

Ich klag' um uns – denn unser ist das Leid –
Um deine Kunst, die du als Heil'ge ehrtest,
Um deine Jünger, die du treu sein lehrtest,
Und die du Waisen läßt in dieser Zeit,
In dieser Zeit, wo alles fieberhaft
Den Taumelkelch begehrt, der nur erschlafft,
Wo die Begeistrung sich, des Künstlers Minne,
Mit hast'ger Schwelgerei zu Tode hetzt,
Und blinder Rausch die losgelaßnen Sinne
Im Purpur auf den Stuhl des Königs setzt.
Wer soll von den umlagerten Altären
Fortan, ein Priester, die Gemeinheit wehren?
Wer soll in ernster Meisterschaft hinfort
Als Leuchtturm, dessen Feuer ruhig steigen,
Dem irrverworrnen Schwarm die Richtung zeigen
Durch Klipp' und Brandung zum geweihten Port?
Wer soll, wenn frecher stets mit eitlem Meinen
Die Afterkunst sich bläht, in heil'gem Zorn
Die wüste Spreu ausworfeln aus dem Korn? –
Ach, seit du hingingst, weiß ich keinen – keinen.

Leidvoll Geschick! Die schwarze Lücke klafft,
Sie kann kein Kranz mit Grün und Blumen decken;
Kein brünstig Sehnen kann mit heil'ger Kraft
Den Wohllaut deiner goldnen Harfe wecken.
In den verwaisten Saiten irrt der Wind
Wehklagend hin, und unsre Träne rinnt. –
Ja, nur die Trauer bleibt uns unverwehrt,
Die fromm gebeugt an deines Grabes Schatten
Das Opfer ausgießt, das der Dank beschert –
Wir hatten dich und haben dich geehrt,
Und das sei unser Trost, daß wir dich hatten.

Doch nein! Empor den kummerschweren Sinn!
Nur das Bedeutungslose fährt dahin.
Was einmal tieflebendig lebt' und war,
Das hat auch Kraft, zu sein für immerdar.
Dem Element gehört die Handvoll Staub,
Und weiter nichts – der lichte Gottesfunken
Ist nicht zugleich, auch nicht für uns versunken,
Und glüht nur reiner durch der Erde Raub.
Das ist des Genius Recht, daß ungekränkt
Vom Hauch des Todes überm Grab im Blauen
Er atmend fortspielt, und mit geist'gem Tauen
Göttlich befruchtend tausend Seelen tränkt,
Und licht dem flüss'gen Äther zugesellt,
Unsterblich zeugend flutet durch die Welt.
So bleibst du uns, so webst auch heute du
In unserm Kreis, da wir dich liebend preisen,
Du wandelst unter uns in deinen Weisen,
Und wehst uns Trost in deinem Liede zu;
So strahlst du uns am düstern Firmament,
Ein Leitstern, der in ew'gem Feuer brennt;
So wirst du einst kraft jenes Geistes Wehn,
Der, weil er lebte, Leben muß entzünden,
In neuen Meistern siegreich auferstehn,
Und neu der reinen Kunst den Tempel gründen.

 


 


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