Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Der Zigeunerbube im Norden.

        Fern im Süd das schöne Spanien,
Spanien ist mein Heimatland,
Wo die schattigen Kastanien
Rauschen an des Ebro Strand,
Wo die Mandeln rötlich blühen,
Wo die heiße Traube winkt,
Und die Rosen schöner glühen
Und das Mondlicht goldner blinkt.

Und nun wandr' ich mit der Laute
Traurig hier von Haus zu Haus,
Doch kein helles Auge schaute
Freundlich noch nach mir heraus.
Spärlich reicht man mir die Gaben,
Mürrisch heißet man mich gehn;
Ach, den armen braunen Knaben
Will kein einziger verstehn.

Dieser Nebel drückt mich nieder,
Der die Sonne mir entfernt,
Und die alten lust'gen Lieder
Hab' ich alle fast verlernt.
Immer in die Melodien
Schleicht der eine Klang sich ein:
In die Heimat möcht' ich ziehen,
In das Land voll Sonnenschein!

Als beim letzten Erntefeste
Man den großen Reigen hielt,
Hab' ich jüngst das allerbeste
Meiner Lieder aufgespielt.
Doch wie sich die Paare schwangen
In der Abendsonne Gold,
Sind auf meine dunkeln Wangen
Heiße Tränen hingerollt.

Ach, ich dachte bei dem Tanze
An des Vaterlandes Lust,
Wo im duft'gen Mondenglanze
Freier atmet jede Brust,
Wo sich bei der Zither Tönen
Jeder Fuß beflügelt schwingt
Und der Knabe mit der Schönen
Glühend den Fandango schlingt.

Nein! Des Herzens sehnend Schlagen,
Länger halt' ich's nicht zurück;
Will ja jeder Lust entsagen,
Laßt mir nur der Heimat Glück!
Fort zum Süden! Fort nach Spanien!
In das Land voll Sonnenschein!
Unterm Schatten der Kastanien
Muß ich einst begraben sein.

 


 


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