Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Böse Träume.

1850.

        Ich ließ mein Rößlein grasen
Im Wald an Baches Rand,
Und lag auf kühlem Rasen
Und dacht' ans Vaterland.
Und bei des Baches Rinnen
Entschlief ich unterm Baum;
Da wob vor meinen Sinnen
Ein dreifach Bild der Traum.

Ich sah ein Volk von Immen,
Das ohne Weisel fuhr,
Und mit verworrnen Stimmen
Hinschwärmte durch die Flur.
Nach allen Winden zogen
Sie ziellos kreuz und quer,
Und hatten sich bald verflogen
Und fanden sich nimmermehr.

Ich sah ein Bündel Pfeile
In blöder Knaben Hand,
Die trieben kurze Weile
Und lösten Ring und Band.
Sie spielten mit den Rohren
Uneins und ungeschickt;
Die Hälfte ging verloren,
Die Hälfte ward zerknickt.

Ich sah, wie ein Karfunkel
Verschmäht am Kreuzweg lag;
Von Staube war er dunkel,
Zerspellt von Stoß und Schlag.
Die Krone der Welt zu schmücken
Geschaffen deucht' er mir;
Nun haschte nach den Stücken
Der fremden Raben Gier.

Da wacht' ich auf beklommen
Und stieg zu Roß in Hast;
Die Sonne war verglommen,
Das Spätrot war verblaßt,
Im kühlen Abendschauer
Von dannen ritt ich stumm.
Mein Herz verging in Trauer
Und wußte wohl, warum.

 


 


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