Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Am Schillertage 1859.

              Wenn fromm den Kranz aus hundertjährigen Zweigen
Ein ganzes Volk für seinen Liebling flicht,
Wer nennt' ein ebenbürtig Wort sein eigen,
Zu künden, was aus allen Herzen bricht!
Drum nur mit Zaudern in des Festes Reigen
Voll scheuer Ehrfurcht wagt sich das Gedicht,
Daß es den Pfad des hohen Meisters heute,
Die Sterne, die ihn führten, nenn' und deute.

Ein armes Dach nur war's im Gau der Schwaben,
Zu dem der Genius segnend eingekehrt,
Der Sorge Wohnsitz, die den blonden Knaben
Früh lehrte, wie man duldet, kämpft, entbehrt.
Ach, vor der Zeit in starren Zwang begraben
Und vom verhohlnen Feuer angezehrt,
Mußt' er die Laufbahn nach des Ruhmes Zinnen,
Ein flüchtig Wild, auf steilstem Pfad beginnen.

Doch hielt die Mus' ihn aufrecht, wie er klimmend
Aus Jugendbrunst und Not zum Licht sich rang
Und kühn des Denkens lautern Strom durchschwimmend
Hinwegwusch, was ihn noch zum Staube zwang,
Bis sich, voll Wohllaut ineinander stimmend,
Gedank' und Leben, Sinn und Form durchdrang,
Und siegreich überm niedern Horizonte
Sein Geist im Ätherreich der Kunst sich sonnte.

Und nun aus Kampf und Flammen neu geboren,
Entfaltet' er die Schwingen hoch und rein;
Doch bleibt, wie klar der Most sich ausgegoren,
Des Rebstocks Art erkennbar stets im Wein;
So ging auch ihm das eine nie verloren:
Er war ein Sohn des Volks, und wollt' es sein,
Und wo er dichtend Welt und Zeit gemessen,
Der Freiheit hat er nimmermehr vergessen.

Wie liebt' er sie! Doch nicht die trunkne Dirne,
Die zu Paris sich wälzt' in Blut und Kot,
Nein, jene keusche, die mit klarer Stirne
Dem Inquisitor Trutz und Kampf entbot,
Die segnend von kristallner Gletscherfirne
Aufs Werk des Rütli schaut im Morgenrot,
Sie, die allein mit unlösbarem Bande
Dem Ganzen uns verknüpft, dem Vaterlande.

Und wie er so in läuterndem Gedichte
Die Sehnsucht ausgoß seiner ganzen Zeit,
Ward ein lebendig Buch ihm die Geschichte,
Und Zukunft lehrt' ihn die Vergangenheit;
Er sah des Gottes wandelnde Gerichte
Im Kampf der Völker, in der Geister Streit,
Und, aus der Leidenschaften Schuld und Sühne
Das Schicksal deutend, meistert' er die Bühne.

Hier war sein Reich. Genährt vom Wein der Alten
Wie strebt' er kühn mit Adlersflug hinaus!
Doch gnügt' ihm nicht der strenge Wurf der Falten,
Die scharfumrißne Form des Gliederbaus;
Selbst ewig lodernd, füllt' er die Gestalten
Mit seiner Brust erhabnem Pulsschlag aus;
Des eignen Denkens Tiefsinn lieh er ihnen,
Daß sie uns nah, und doch wie hoch erschienen!

Und weil des deutschen Lebens tiefster Bronnen
Geheimnisreich ihm in der Seele floß
Und weil in jedes Werk, das er begonnen,
Er diese Seele voll und flutend goß,
So war ihm bald des Volkes Herz gewonnen,
Das stolz in ihm sein bestes Selbst genoß,
Und, ob es andre fromm bewundern mochte,
Für keinen wie für ihn in Liebe pochte.

Er aber schritt, den Blick gewandt nach oben,
Den Pfad des Ruhms mit nur beschwingterm Gang;
In Bildern reich und reicher stets verwoben
Enthüllt' er uns der Weltgeschicke Drang,
Und wie von Schwanenfittichen gehoben
Zur Leier schwebte rauschend sein Gesang;
Rastlos geschürt, ach nur zu rastlos, glühte
Ihm der Begeistrung Feuer im Gemüte.

Ach, wie der Baum, den Blüten stets umkleiden,
Am eignen Reichtum hinstirbt vor der Zeit,
Zu früh erlag er dem verborgnen Leiden,
Ein Opfer, das sich achtlos selbst geweiht;
Doch sein erlöschend Auge sah im Scheiden
Den Sonnenaufgang der Unsterblichkeit;
Er ging nur hin, um aus des Todes Wehen
In Millionen Herzen zu erstehen.

Er ist erstanden! Seine Worte schweben
Wie reine Flammen fort von Mund zu Mund,
Begeistert lehrt sein Lied den Jüngling streben
Und tut dem Greis erhabne Weisheit kund,
Und wo sich deutsche Männer kühn erheben
Zu hoher Tat, da segnet er den Bund.
So lebt er glorreich, ewig unvergessen,
Heil ihm! Heil unserm Volk, das ihn besessen!

 


 


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