Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Neue Sonette als Intermezzo

Zur Einleitung.
                In Blüten sah ich Tal und Hügel prangen
Und tief im Grün die Spur des Winters schwinden.
Da ist auch mir mein Denken und Empfinden,
Lust, Zorn und Lieb' in Liedern aufgegangen.

Oft ließ ich auch die Laut' am Aste hangen;
Da kam der Lenz und harfte mit den Winden
Ein Stück dazwischen, eins von seinen linden,
Die wundermild das Menschenohr besangen.

Die Lieder alle hab' ich hier gereiht:
Es ward ein Kranz – ich wand ihn leicht und lose –
Bunt wie mein Herz und bunt wie diese Zeit.

Die heiße Tulpe flammt bei dunklem Moose,
Beim Blütenschnee trägt die Zypresse Leid,
Und unter wilden Nesseln lauscht die Rose.

 
Mein Weg.
Ich hör' es wohl, es rufen die Partein:
»Komm her, und woll' uns endlich angehören!
Der rüst'ge Harfner sei zu unsern Chören,
Und schling' als Kranz dein Lied um unsern Wein.«

Mein ewig Echo bleibt ein ruhig: Nein!
Denn zu der Fahnen keiner kann ich schwören;
Den Gott im Busen darf kein Schlagwort stören,
Ich folge meinem Stern und geh' allein.

Dem Wandrer bin ich gleich am Felsenhang,
Dem schroff die Wand sich türmt zur rechten Seite,
Zur linken braust der See mit dumpfem Klang.

Doch rühr' ich fromm die Saiten, wie ich schreite,
Und oftmals will's mir dünken beim Gesang,
Daß mich wie Kaiser Marx ein Engel leite.

 
Erster Sonnenblick.
Nach so viel trüben, trüben Nebeltagen,
Du goldner Schein, der aus dem Blauen fließt
Und klar durch meine Seele sich ergießt,
O Schein des Trosts, laß meinen Gruß dir sagen!

Ich war mit Angst und Traurigkeit geschlagen,
Doch nun ist's gut, da sich der Strahl erschließt;
Und leise, leise, wie die Rose sprießt,
Darf Lust und Hoffnung aufzublühen wagen.

O scheltet nicht, daß ich, ein Sohn der Erde
Und tief im Wesen der Natur vereint,
Von ihrem Angesicht geleitet werde!

Ihr seht ja doch, daß, wenn die Mutter weint,
Das Kind verstummt mit trauriger Gebärde
Und wieder lächelt, wenn sie froh erscheint.

 
Nachts.
Dem Mondesaufgang wandl' ich gern entgegen,
Wenn alles schlummert, durch die stillen Gassen;
Des Marktes Brunnen rauschet noch verlassen,
Sonst tiefes Schweigen rings auf allen Wegen.

Da spricht die Nacht auch über mich den Segen,
In sanfte Wehmut schmilzt das trotz'ge Hassen,
Die Liebe naht, mich gläubig zu umfassen,
Und will das Haupt an meine Schulter legen.

Mir ist's, als käme mir die Jugend wieder,
Und wieder streben in sehnsücht'ger Weise
Aus dieser Brust zur Heimat meine Lieder.

So schwingt von Schwänen eine Schar sich leise
Aus dunklem See auf wallendem Gefieder,
Wenn sie beginnt nach Süden ihre Reise.

 
Unbekümmert.
Bist du als Künstler, als Poet gesendet,
O laß dich nicht vom Preis des Marktes leiten!
Denn sinnlos hat die Welt zu allen Zeiten
An Mittelmäß'ges ihre Gunst verschwendet.

Zeig ihr ein Bild, vom Genius vollendet,
Drauf alle Himmel stille Glorien breiten,
Und eins, wo grell und roh die Farben streiten:
Du wirst es sehn, wohin ihr Herz sich wendet.

Nein, ihrem Tadeln lächle, ihrem Loben;
Du hast genug der Wonnen eingetauscht,
Kam dir der sel'ge Schöpfungsdrang von oben.

Der Nachtigall sei gleich, die duftberauscht
Noch stets dem Lenz den Brautgesang erhoben,
Ob ihr auch niemand als die Nacht gelauscht.

 
Einer jungen Freundin.
Das Meer ist oben glatt und spiegeleben,
Doch bunte Gärten trägt's auf seinem Grunde;
Goldwälder, Purpurstauden stehn im Sunde,
Darinnen Perlen statt des Taues beben.

Das ist ein heimlich Glühn, ein farbig Leben,
Doch selten wird dem Schiffenden die Kunde;
Ein Sonntagskind nur sieht in guter Stunde
Die Wipfel dämmernd aus der Tiefe streben.

So blüht auch dir ein Garten im Gemüte;
Allein die Welt, getäuscht von deinen Scherzen,
Ist blind für seine wundersame Blüte.

Der Dichter nur, vertraut mit Lust und Schmerzen,
Las, was im Dunkel deines Auges glühte,
Und ahnt die Zauberwelt in deinem Herzen.

 
Einem Freunde.
Wenn kaum erwacht die lauen Lüfte gehen,
Da singt der Dichter schon von Maienwonnen;
Er glaubt beim ersten blassen Strahl der Sonnen
Die Welt im Glanz der Pfingsten schon zu sehen.

So spricht er auch von Liebeslust und -wehen,
Wenn kaum ein flüchtig Lächeln er gewonnen;
Die Blüte, die zu knospen nur begonnen,
Sieht er in Pracht als volle Rose stehen.

Darum, o Freund, verwundre dich mitnichten,
Daß oft ein freudig Lied ihm jetzt beschieden,
Wiewohl sich kaum der Zeit Gewitter lichten.

Mag er bei Tag noch rüstig Waffen schmieden:
Nachts winkt ihm fernste Zukunft in Gesichten,
Und was er schaut, ist Frieden, goldner Frieden.

 
Echte Weihe.
Kalt sind sie, kalt, und kalt ist ihr Gedicht;
Sie waren nie vom Hauch des Frühlings trunken,
Nie in des Gottes Melodie versunken,
Der durch die heil'ge Nacht vernehmbar spricht.

Auch fühlen sie's, was ihrem Lied gebricht,
Und lassen zum Ersatz der Lebensfunken
Mit Schmink' und Flittergold die Leiche prunken,
Mit eitlem Schimmer, der den Sinn besticht.

Doch wen der Geist beseelet, unerschrocken
Verschmähen mag er, was der Markt erhebt,
Und dennoch, singt er, bleibt kein Auge trocken.

Dem Gotte gleicht er, den der Aar umschwebt;
Er schüttelt leise nur die dunkeln Locken,
Und der Olymp und jedes Herz erbebt.

 
An —.
Weil ihren Witz dein hoher Sinn vernichtet
Und ihre Schmeichelei für dich verloren,
So heißt dich marmorn dies Geschlecht von Toren,
Das frostig jede große Seele richtet.

Doch willig hast du auf ein Lob verzichtet,
Das für den Kern die Schale stets erkoren;
Du gleichst dem Wein, der, äußerlich gefroren,
So Geist als Glut im Innersten verdichtet.

Heil aber jenem, der dich einst erkennt,
Und, in der Seele stillen Reiz versunken,
Nicht eher rastet, bis er sein dich nennt!

Bei diesem Kuß empfinden wird er trunken,
Um wie viel heißer heimlich Feuer brennt,
Als was für jeden sich versprüht in Funken.

 
O schöne Zeit.
O schöne Zeit, da mich noch jede Stunde
Zu einer frisch erschloßnen Blüte rief,
Da jeder Tag, ein goldner Freudenbrief,
Sich vor mir auftat mit beglückter Kunde;

Da, wie die Ros' in dunklem Alpengrunde,
Ihr liebes Bild mir blüht' im Herzen tief,
Und ich mit ihrem Namen sanft entschlief,
Als würd' er zum Gebet in meinem Munde!

Du bist dahin, und doch, du bist noch mein:
Es fließt das Lied von deinen Nachtigallen,
Ein Frühlingsgruß, in meinen Herbst herein.

Allabendlich, wenn Stadt und Flur verhallen,
Kehrt die Erinnrung tröstend bei mir ein,
Mit mir im Traume durch die Nacht zu wallen.

 
Pfingsten.
Das Fest der Pfingsten kommt im Hall der Glocken,
Da jauchzt in Frühlingsschauern die Natur;
Auf jedem Strauch des Waldes und der Flur
Schwebt eine Ros' als Flamme mit Frohlocken.

O Geist, der einst in goldnen Feuerflocken
Aufs Haupt der Jünger brausend niederfuhr,
Von deinem Reichtum einen Funken nur,
Hernieder send' ihn auf des Sängers Locken!

Ich weiß es wohl, nicht würdig bin ich dein;
Doch hast du nie die Tugend ja gemessen,
Der Glaube zieht, die Sehnsucht dich allein.

Der Armen hast du nimmermehr vergessen,
Du kehrtest in der Fischer Hütten ein,
Und an der Sünder Tisch bist du gesessen.

 
Im Frühjahr.
Wenn ich im Lenz durch Grün und Rosen walle,
Da wird mir oft zu Sinn, als müßt' ich klagen,
Daß ich geboren bin in solchen Tagen,
Die rauh erdröhnen von der Waffen Schalle.

Ich hätte gern ein freudig Lied für alle
Voll Gottesfrieden in der Brust getragen,
Ich hätte gern im Zauberwald der Sagen
Ein weißes Edelwild gebracht zu Falle.

Umsonst! Es ziemt uns nicht, im Kranz der Reben
Mit goldnen Märchen das Gelag zu würzen;
Denn diese Zeit ist wie die Sphinx von Theben.

Wer's heute wagt, als Dichter sich zu schürzen,
Ihr Rätsel wird sie ihm zu raten geben,
Und löst er's nicht, ihn in den Abgrund stürzen.

 
Den Aufgeregten.
Glaubt mir, dafern in Deutschlands Eingeweide
Das Schwert ihr kehrt und schürt des Kriegs Verderben:
Nicht Freiheit werden eure Kinder erben;
Zum Baume tragt ihr selbst des Beiles Schneide.

Es wird ein Kampf von unermeßnem Leide,
Darin die Besten auf der Walstatt sterben;
Der Slawe wird zuletzt das Reich erwerben,
Daß er auf Gräbern seine Rosse weide.

Schon hör' ich als der Knechtschaft Siegesreigen
Prophet'schen Ohrs den Klang von seinen Hufen –
Ihr aber glaubt es nicht, und ich muß schweigen.

So schwieg Kassandra auf des Tempels Stufen,
Da sie im Geist sah Trojas Flamme steigen,
Und niemand hört' es, daß sie Weh gerufen.

 
Gegen den Strom.
Die Freiheit hab' ich stets im Sinn getragen,
Doch hass' ich eins noch grimmer als Despoten:
Das ist der Pöbel, wenn er sich den roten
Zerfetzten Königsmantel umgeschlagen.

Die kleinen Seelen glühn in solchen Tagen,
Sich aufzuspreizen als des Himmels Boten,
Und frech verlästern sie die großen Toten,
Denn Sünde ward es, aus dem Schwarm zu ragen.

Ja, wem das Herz nur höher wagt zu pochen,
Aus wem der Geist, der heil'ge, gottgesandte,
Erhaben zürnt, sein Urteil ist gesprochen.

Hat doch der Pöbel einst, der wutentbrannte,
Ob Aristides' Haupt den Stab gebrochen,
Und ins Exil verstoßen einen Dante.

 
Bei einem Feste.
O zieht nur aus mit flatternden Standarten!
Ruft euren Übermut von allen Zinnen!
Haut, wie Sir John, mit prahlendem Beginnen
Die Klinge, die zum Spiel ihr führt, voll Scharten!

Kampflieder auch stimmt an von allen Arten,
Indes statt Blutes Ströme Weines rinnen!
Mir deucht es würd'ger, mit gefaßten Sinnen
Den großen Tag des Schicksals zu erwarten.

Er bleibt nicht aus. Doch seine Donner töten
Mit ihrem ersten Hall den Lärm der Schreier,
Und seine Blitze sind wie Morgenröten.

Dann will ich fragen euch, ihr Weltbefreier:
Habt ihr ein Schwert in eures Volkes Nöten?
Und für die Schlachten habt ihr eine Leier?

 
Den Verneinenden.
Ich will es immerhin euch gern erlauben,
Daß ihr mich rechnet als der Schwachen einen,
Doch sollt ihr meinem Auge nicht das Weinen
Noch meinem Mund der Freude Lächeln rauben.

Zu eurer Höhe kann ich mich nicht schrauben,
Wo statt der Sonne frost'ge Sterne scheinen;
Ich kann nicht hassen bloß und bloß verneinen;
Dies Herz bedarf's, zu lieben und zu glauben.

Daß ihr euch Heiden nennet, hör' ich sagen,
Doch jene sahn den Gott im Sturm der Meere,
Den Gott im Donner und im Sonnenwagen,

Ihr aber möchtet frech mit erznem Speere
In Trümmer jedes Götterbild zerschlagen –
So bleibt euch nichts denn, als die große Leere.

 
In schwerer Stunde.
Wenn nach des Tags Verbluten weit und breit
Die Finsternis sich schauervoll ergießet,
Daß Berg und Tal in wüstes Schwarz zerfließet,
Da tritt hervor der Sterne Heiterkeit.

Und wenn ein Volk in trotz'gem Widerstreit
Dem gottgesandten Strahl das Herz verschließet,
Um Hütt' und Schloß der Lügen Unkraut sprießet,
Das ist der Seher, der Propheten Zeit.

Herr, sieh gen Himmel uns die Arme strecken!
Hör' unser heißes Flehen früh und spat,
Du wollest einen Retter uns erwecken!

Dies Volk ist irr und irr der Hohe Rat –
O laß ihn nahn im Donner deiner Schrecken,
Die Spreu zu scheiden von der guten Saat!

 
Schill.
O eine Eiche pflanzt auf diesen Hügel!
Die grünste sucht, so weit die Amsel ruft!
Sie streue Schatten auf des Helden Gruft,
Und Lieder rausch' in ihr des Windes Flügel.

Denn gleich dem Roß, das knirschet in die Zügel
Und scharrt und stampfet, spürt es Morgenluft,
So wittert' er zuerst der Freiheit Duft,
Da alles schwieg, und schwang sich in den Bügel.

Fürwahr, o Schill, du warst ein echter Reiter,
Und schneller als die Zeiten rittst du gern,
Mit dir wie Blitze deine blanken Streiter.

Dein Jagdhorn klang: »Der Tag ist nicht mehr fern!«
Da ging der Morgen auf so rot und heiter;
Doch unter gingst du, schöner Morgenstern.

 
Beim Tode eines Dichters.
O Tod, du bist der wahre Fürst der Welt,
Der Priester bist du, der mit reinen Händen
Den Kranz der bleichen Stirn vermag zu spenden,
Und heil'ge Namen schreibt ans Sternenzelt.

Das Linnentuch, zu deinem Dienst bestellt,
Ein Purpur wird's, den keiner wagt zu schänden,
Ein Demantschild, gefeit an allen Enden,
Von dem zurück der Pfeil des Spottes schnellt.

Wohl höhnt die Welt in blödem Frevelmute
Manch großes Herz, das ihr doch alles gab,
Was reich und schön in seiner Tiefe ruhte;

Da schwebst, ein Trostesengel, du herab,
Und rührst es sacht, daß es nicht fürder blute –
Und pflanzest ew'gen Lorbeer auf das Grab.

 
Auferstehung.
Wenn einer starb, den du geliebt hienieden,
So trag' hinaus zur Einsamkeit dein Wehe,
Daß ernst und still es sich mit dir ergehe
Im Wald, am Meer, auf Steigen, längst gemieden.

Da fühlst du bald, daß jener, der geschieden,
Lebendig dir im Herzen auferstehe;
In Luft und Schatten spürst du seine Nähe,
Und aus den Tränen blüht ein tiefer Frieden.

Ja, schöner muß der Tote dich begleiten,
Ums Haupt der Schmerzverklärung lichten Schein,
Und treuer – denn du hast ihn alle Zeiten.

Das Herz auch hat sein Ostern, wo der Stein
Vom Grabe springt, dem wir den Staub nur weihten,
Und was du ewig liebst, ist ewig dein.

 


 


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