Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Elegien.

I.
              Im Weinmonde des Jahrs, da man achtzehnhundert und fünfzehn
    Schrieb und des Leipziger Siegs Feier zum andern beging,
Ward ich geboren zur Welt in mitternächtiger Stunde.
    Klar durchs Fenstergewölb blickten die Sterne herein.
Froh des Gottesgeschenks empfing mich die liebende Mutter,
    Und im stillen Gebet hielt mich der Vater empor,
Während die Glocke vom Turm zu Sankt Marien mit zwölffach
    Dröhnendem Schlag den Beginn grüßte des festlichen Tags.
 
II.
Ernst nur hab' ich den Vater gekannt, für des hohen Berufes
    Pflicht nur lebend, der Hirt seiner Gemeinde zu sein.
Streng schriftgläubig, doch mild und jeder Verketzerung abhold
    Übt' er, sich selber getreu, freudig der Lehre Gebot,
Stritt um die Form des Bekenntnisses nie und achtet' als Bruder
    Jeglichen, der sein Heil bei dem Erlöser gesucht.
Echt war alles an ihm, und der Glaube des Herzens verlieh ihm,
    Wenn er die Kanzel betrat, stets das begeisterte Wort,
Daß er mit siegender Kraft die erschütterten Hörer dahinriß,
    Sanft jetzt mahnend und jetzt stark wie ein alter Prophet.
So durch Zeugnis zugleich und Beispiel zwang er die Seelen,
    Und manch zweifelnd Gemüt führt' er zum Frieden mit Gott.
Doch wir blickten zu ihm ehrfürchtig empor, und sobald er
    Nahte, verstummte sofort jeder verwegnere Scherz.
Selten freilich verweilt' er im häuslichen Kreise; bei Tisch nur
    Grüßt' er uns täglich und pflog gern ein bedeutend Gespräch,
Doch sonst hielten die Pflichten des Amts ihn fern und die Bücher,
    Denn nie ließ die Begier tiefrer Erkenntnis ihn ruhn.
Aber dem Mächtigen stand an der Seite die treue Gefährtin,
    Der er die Hand am Altar früh, noch ein Jüngling, gereicht,
Seine Vermittlerin jetzt mit der Welt und die Seele des Hauses,
    Die das Bedürfnis des Tags sinnig zu schmücken verstand,
Stets voll Lieb' um die Kinder bemüht und in Keller und Küche
    Selbst auf alles bedacht, heiter, beweglich und rasch;
Denn anmutig gesellt zu dem treuesten deutschen Gemüte
    Floß noch ein Tropfen in ihr leichten französischen Bluts.
War doch ihr Ahn an den Main vom Loiregestade gesiedelt,
    Als dort pfäffischer Haß grimmig die Ketzer vertrieb.
Jung einst hatte den Tanz sie geliebt und am Zauber der Bühne
    Mächtig bewegt sich erfreut, bis es die Sitte verbot.
Doch sie erzählte mit Lust noch davon. Auch trat sie im Zwielicht
    Wohl ans Klavier noch und sang schlichte Romanzen uns vor,
Oder sie wußt' im geselligen Spiel anregend zu scherzen
    Und manch witzigen Pfeil schnellte sie mitten ins Ziel.
Aber das Köstlichste blieb ihr der Reiz der Natur, und im Sommer
    Zog mit den Kindern sie gern abends ins Freie hinaus,
Bald zum Besuche des Ohms im lindenumschatteten Garten,
    Bald auf ein Dörfchen am Forst oder ein ländlich Gehöft.
Dort dann ruhte sie still im Strahl der verglühenden Sonne,
    Während wir spielten, und sog wonnig die reinere Luft,
Lauschte dem Vogelgesang und sah mit Entzücken die goldnen
    Wölkchen im schimmernden Blau ziehn und die Schatten am Wald.
Doch wir lernten von ihr, an den Wundern des Tags uns erquicken,
    Lernten die Schönheit sehn, wo sie dem Auge sich bot.
Also wuchsen wir auf, vom Ernst umwaltet des Vaters,
    Während der Mutter Gemüt heiter die Welt uns erschloß,
Und an beide gelehnt und im Geist von beiden befruchtet,
    Lebt' ich, ein träumerisch Kind, dämmernde Jahre des Glücks.
 
III.
Zwischen die Dächer geklemmt der spitz ansteigenden Giebel
    Hoch am vierten Gestock zog sich die Rinne dahin,
Drin bei strömendem Guß die gesammelten Wasser entrauschten,
    Aber am heiteren Tag war sie ein traulicher Ort,
Luftig und sonnenerwärmt und umkreist vom Fluge der Tauben
    Mit weit offenem Blick über die untere Stadt,
Über die Gärten am Fluß und die lindenbeschatteten Wälle
    Bis zu des doppelten Tors mächtigen Türmen hinaus.
Gern drum rastet' ich dort, zumal in der Stunde des Mittags
    (Denn volltöniger scholl droben das Glockengeläut),
Lauschte dem Schwärmen der Vögel umher und dem Zuge der Wolken,
    Oder zu kindlichem Spiel trug ich Gewächse heran,
Pflanzt' am Gemäuer sie ein und schuf mir schwebende Gärten,
    Wie's von Semiramis' Burg jüngst uns der Lehrer erzählt.
Freilich zum Garten der Lust erst nachmals ward mir die Stätte,
    Als mit entwendetem Buch täglich hinauf ich mich stahl,
Und mich in Grimms Volksmärchen vertieft' und heimlich in Fouqués
    Dichtungen schwelgt' und entzückt Schillers Tragödien las.
Dort auch ward ich zuerst von der Muse berührt, und die Fülle
    Nimmer vergess' ich des Glücks, die wie ein Rausch mich befing.
Als im erregten Gemüt freiwillig die Reime sich fügten
    Und der Gedanke von selbst rhythmisch zu fließen begann.
Nichts war Mühe dabei. Nein, wie wohl abends der erste
    Stern im dunkelnden Blau plötzlich entzündet erglänzt,
Dann sich zu diesem ein zweiter gesellt und ein dritter hervorblitzt,
    So in dämmernder Brust tauchten die Verse mir auf.
Zwar einfachsten Gehalts nur waren die Strophen des Knaben,
    Der ins ertastete Wort kindlich Empfundenes goß;
Aber dem ahnenden Sinn schon hatte die Form sich erschlossen,
    Und ihm glückte das Maß, eh' er die Regel gelernt.
Dreimal selige Stunden des unbewußten Gestaltens,
    Die ich im heimlichen Nest droben am Dache verträumt,
Wohin seid ihr entflohn? Die Gesetze beherrsch' ich der Kunst jetzt,
    Aber ein Sehnen befällt stets mich, gedenk' ich an euch,
Und noch immer, sobald der Begeisterung Hauch mich umwittert,
    Mein' ich, ich höre den Flug schwärmender Tauben, wie dort.
 
IV.
Sechster November, du stehst bei den Vätern in argem Gedächtnis,
    Weil du auf Lübeck einst schwerste Bedrängnis gehäuft,
Als der Franzose die Stadt mit Sturme genommen und Blücher
    Aus dem verzweifelten Kampf endlich, der Schwächere, wich.
Furchtbar war in den Gassen die Schlacht, furchtbarer die Plündrung,
    Die sich von Haus zu Haus wälzte bei Fackelgeleucht.
Schüsse durchhallten die Nacht, rings klirrten zertrümmerte Fenster,
    Krachten die Türen, vom Schlag wuchtiger Äxte gesprengt.
Nichts galt heilig der trunkenen Wut, nach verborgenen Schätzen
    Wühlte vom Keller zum Dach stöbernd die Beutebegier.
In die Gemächer der Fraun brach frech die entzügelte Rotte,
    Wüst mit rauchendem Blut wurden die Kirchen befleckt.
Und dann folgte die Not langjähriger bitterer Knechtschaft,
    Da sich des Siegers Gelüst jede Bedrückung erlaubt,
Bis der Koloß aus Erz, im russischen Eise geborsten,
    Endlich auf Leipzigs Gefild dröhnend in Stücke zersprang.
Aber die Zeiten vergehn, es vernarben die Wunden, und arglos
    Über die Stätten des Mords wandelt ein junges Geschlecht.
Und so wurdest du mir, der später geboren den Graus nicht
    Deiner Zerstörung gesehn, sechster November, ein Fest.
Denn dein heiterstes Licht umglänzte mich, als ich zum ersten
    Male die süße Gewalt dämmernder Neigung erfuhr.
Ach, noch seh' ich den sonnigen Raum und die Nische des Fensters,
    Wo von Blumen umblüht sinnend die Liebliche stand.
Jüngst erst war ihr die Schwester verlobt, und die Schar der Gespielen
    Saß um die rosige Braut, aber ich schaute nur sie,
Wie sich die schlanke Gestalt aus den rankenden Stauden hervorhob.
    Über das braune Gelock floß ein vergoldender Strahl.
Und nun hub sie das Aug' und errötete, da sie mich glühn sah;
    Sagt' ihr das ahnende Herz, was mir die Seele befing?
Doch ich konnte mich kaum dem bestrickenden Zauber entreißen,
    Jedes gesellige Wort schien dem Entzücken versagt.
Endlich naht' ich mich ihr mit bescheidenen Gruß, und Erwidrung
    Gab sie mir freundlich, Musik deuchte mir jegliches Wort,
Denn im befangenen Laut der seelengewinnenden Stimme
    Klang mir des eignen Gefühls sanfteres Echo zurück.
Ach, schnell rann uns die Zeit, schon drängte die Sitte zum Aufbruch,
    Stumm nur bot sie mir noch leisesten Druckes die Hand,
Aber ein zärtlicher Blick sprach: Komm bald wieder! Und wortlos
    Jauchzend, trunken von Glück stürmt' ich ins Freie hinaus.
 
V.
Nimmer vergess' ich der Nacht, da ich leicht hinrollend im Wagen
    Fast wie ein Trunkener dich, hohe Verona, verließ,
Tief im Gemüt noch bewegt von der drängenden Fülle des Neuen,
    Das du dem flüchtigen Gast, Schwelle des Südens, gezeigt.
Dietrichs Burg hoch über dem Strom und der grauen Paläste
    Altehrwürdigen Prunk hatt' ich mit Staunen begrüßt,
Hatt' an Juliens Sarg, an der Scaliger ehernem Denkmal
    Ernst in verschollener Zeit Wechselgeschick mich vertieft
Und im gigantischen Rund auf das Quadergestuf der Arena
    Niedergeschaut, vom Hauch römischen Geistes umweht.
Aber dazwischen, wie blühte so reich der Frühling von heute!
    Blumen auf jedem Altan, Sträußer auf jeglichem Markt!
Rings buntfarbig Gewühl, um die plätschernden Brunnen sich drängend,
    Durch die Arkaden dahin flutend zu Kauf und Verkauf.
Reizende Mädchen im Schwarm, schwarzäugig mit wehenden Schleiern,
    Weiber, den Korb auf dem Haupt, Hirten im zottigen Vlies,
Frisches Gebäck in den Hallen umher und Duft der Orangen,
    Rosiger Wein und Musik, weich wie Italiens Luft!
Gern zur Neige geschlürft wohl hätt' ich den winkenden Becher,
    Doch nur flüchtig vom Schaum war mir zu kosten vergönnt.
Dreimal, eh' ich's gedacht, war hinter den Zinnen des Spätrots
    Fackel verglüht und zur Fahrt lud mich die köstliche Nacht.
Und nun ging es hinaus in die weite lombardische Fläche,
    Ostwärts, Padua zu, trug mich das leichte Gespann.
Tauiger Duft lag über der Flur, im sprossenden Kornfeld
    Schlugen die Wachteln, von fern rauschte der blinkende Strom.
Mondhell grüßten am Weg, reblaubumsponnen, die Ulmen,
    Durch die Zypressen herab rieselte silbernes Licht.
Aber am dunkeln Gebirg still glommen die Feuer der Hirten
    Und herüber gedämpft wehte der Ton der Schalmei.
Fremd war alles umher und doch so traulich, dem stillen
    Reichtum dieser Natur fühlt' ich mich innig verwandt;
Diese Lüfte, wie lösten sie mir sanft schmeichelnd die Seele,
    Daß sie in reinem Akkord leis' in sich selber erklang!
Fern wie der Heimat Nebelgewölk lag jegliche Sorge,
    Und zu leben allein schien mir, zu atmen, ein Glück,
Und zum Sternengezelt entzückt aufschauend empfand ich,
    Daß du zum Gruß mir das Haupt, Muse des Südens, berührt.
 
VI.
Dich auch hab' ich, Venedig, gesehn und keiner vergleichbar
    An fremdartigem Reiz preis' ich dich, einzige Stadt.
Denn wie ein Purpur umfließt dich das Meer; zu dem Zauber des Ostens,
    Der phantastisch dich schmückt, gab dir der Westen die Kunst,
Die zu stolzester Pracht sich entfaltend im Hauch der Lagune
    Schön wie die Tochter des Schaums Seelen und Sinne berauscht.
Aber dazwischen verwebt sich der Nachhall deiner Geschichten,
    Bald majestätisch und klar, schauerlich bald und gedämpft.
Jeglichem deiner Paläste verlieh die Erinnrung ein Echo,
    Leis aus jedem Kanal flüstert die Sage heraus.
Wieviel Siegesgepräng umschwoll San Marcos Altäre!
    Wieviel Seufzer vernahm drüben der Brücke Gewölb!
Hier die bewimpelten Masten am Platz, sie zeugen noch immer,
    Daß dem geflügelten Leu'n Zypern und Zante gehorcht.
Diese Giganten erzählen vom blutigen Ende Marinas,
    Jener moreske Balkon mahnt an Othellos Geschick.
Leben und Dichtung zerfließen in eins und bunt wie im Märchen
    Lauscht das Vergangene rings unter dem Heutigen vor.
*   *   *
Rosen fehlen dir zwar und Lilien, aber die Blüte
    Schmückt dich noch immer der Fraun, wie Tizian sie gemalt,
Wie sie mit ahnendem Geist der unsterbliche Brite geschaut hat,
    Als er Bassanios Braut schuf und Brabantios Kind.
Unter der Schwärze des Schleiers hervor dringt krauses Geringel,
    Das als Mantel von Gold prächtig den Nacken umwallt.
Wie durch Nebel ein Stern feucht schimmert das Auge, die schlanke
    Fülle der edlen Gestalt trägt der bezaubernde Fuß.
Täglich sah ich die Herrlichen so durchs rosige Spätlicht
    Unter dem Vespergeläut wandeln am Dogenpalast,
Bis sie um Mondaufgang vom taubenumflatterten Platze
    Leise die Gondel entführt' über die schimmernde Flut.
*   *   *
Fern vom großen Kanal einsiedlerisch wohnt' ich nach hinten,
    Doch ein erlesenes Bild bot mir das Fenster dafür,
Schwermutsvoll und reizend zugleich. Ein verwaister Palasthos
    War's, des bröckelnden Schmuck Regen und Sonne gebräunt.
Zwischen den marmornen Fliesen des Estrichs sproßte das Gras auf,
    An den Gesimsen umher bauten die Schwalben der See;
Drüben erhub sich der rostige Bau; die zerbrochnen Geländer
    Seiner Arkaden umwob schattiges Efeugerank.
Aber inmitten des Raums am vertrockneten Becken des Springborns
    Stand ein Neptun und mit Harm dacht' ich, Venetia, dein,
Denn dem verstümmelten Arm war längst der gebietende Dreizack
    Traurig entsunken, wie dir, Fürstin, das Zepter des Meers.
 
VII.
Immer erquickt ihr mich noch, ihr Erinnrungsbilder der Seefahrt,
    Die gen Hellas mich einst über die Adria trug,
Als ich der Stunde genoß und zugleich voll freudiger Ahnung
    Mir der Gedanke voraus flog zu den Wundern Athens.
Schon war drüben im Duft Anconas Feste versunken
    Und südöstlich im Flug strebte das rauchende Schiff.
Blauer glänzte der Himmel herab und leuchtender sprühte
    Ihren demantenen Schaum über die Räder die Flut.
Um den beflügelten Kiel auftauchten die ersten Delphine,
    Und fremdländischen Duft bracht' und verwehte der Wind.
Alfa glitten wir sacht an den Südfruchthainen Salonas,
    An des Phäakengestads sonnigen Gärten dahin.
Aber ich saß auf dem hohen Verdeck und schlürfte den kühlen
    Saft der Orangen, warf spielend die Schalen ins Meer,
Und dem geschaukelten Gold nachblickend sann ich auf Lieder,
    Wie sie dem leichten Gemüt flüchtig die Muse verleiht.
Ringsum summten im Schiff die melodischen Weisen Lucias
    Und dem italischen Klang fügt' ich das heimische Wort.
Freilich ein Spiel nur war's, doch niemals hab' ich so gänzlich
    Sorglos heiter und froh wieder gesungen wie dort;
Ging mir das Herz doch auf in sonnigster Hoffnung, und schöner
    Selbst als der vollste Besitz ist die Erwartung des Glücks.
 
VIII.
Kommt mir Athen in den Sinn, so gedenk' ich des köstlichen Tags auch,
    Da ich zuerst am Iliß Blumen des Lenzes gepflückt.
Früh noch im Hornung war's, noch hatte die kräftige Sonne
    Nicht den smaragdenen Schmelz von den Gefilden gestreift.
Um des olympischen Zeus goldrostige Marmorgebälke
    Zwitscherten Schwalben und klar blaute der Morgen herein.
Fernher brausten im Flusse die Frühlingswasser, die Veilchen
    Dufteten, rosig und weiß blühten die Mandeln am Hang;
Und vom Hymettosgebirg mit süß eintönigem Surren
    Über das blumige Tal schwärmten die Bienen heran.
Quellendes Jugendgefühl durchströmte mich wonnig, und dankbar
    Pries ich den günstigen Stern, der mich bis heute geführt.
War mein sehnlichster Wunsch doch früh mir erfüllt; noch ein Jüngling,
    Auf hellenischem Grund schaut' ich die Sonne Homers,
Durfte Begeisterung mir im Nachglanz trinken der Vorwelt
    Und mit lächelndem Haupt nickte mir gnädig Apoll.
Aber es drängte mich auch mein Herz, des erlesenen Glückes
    Würdig zu sein, und bewegt tat ich ein ernstes Gelübd',
Mutig im Dienste der Kunst nach dem einfach Schönen zu ringen,
    Wahr zu bleiben und klar, wie's mich die Griechen gelehrt,
Und, was immer verwirrend die Brust und die Sinne bestürme,
    Stets das geheiligte Maß fromm zu bewahren im Lied.
Also schwur ich mir selbst. Und es rollt' in den Lüften der erste
    Donner des Jahrs, und der Hain regnete Blüten herab.
 
IX.
Auf langjähriger Fahrt gen Mittag schweifend und Morgen
    Unter Beschwer und Genuß war ich zum Manne gereift,
Hatte das junge Verlangen gestillt an den Wundern der Fremde
    Und mir den dauernden Schatz reicher Erinnrung erkämpft.
Doch jetzt kehrt' ich zurück zu den friedlichen Stätten der Jugend,
    Die mich im Frühlingsschmuck grüßten des sonnigen Mais.
Lieblicher deuchte die Luft mir zu atmen, die blühenden Büsche
    Nickten, die Wipfel am Pfad traulich dem Wanderer zu.
Ach, und drüben im Tal tiefblau schon winkte die Trave,
    Die durch Wiesen und Wald reizend geschlängelt sich wand.
Und jetzt stiegen die Türme der Stadt, die gewaltigen sieben,
    Lübecks stolzeste Zier, prächtig am Himmel herauf.
Bald auch sah ich den Kranz der beschatteten Wälle sich dehnen.
    Und ein gedämpftes Gesumm hört' ich, doch hört' es nur halb;
Denn rasch jagte der Wagen daher auf dröhnendem Steindamm,
    Und im Gerassel erstarb kaum noch vernommen der Laut.
Doch da stockten im Sand einsinkend die Räder und plötzlich
    Klar wie ein mächtiger Strom über das schweigende Feld
Wogte das ferne Geläut; denn Samstag war es vor Pfingsten,
    Und auf morgen zum Fest luden die Kirchen das Volk.
Aber ich lauschte bewegt und erkannte die einzelnen Glocken,
    Wie sie vom Jakobsturm riefen und drüben vom Dom,
Bis du zuletzt einfielst, majestätische Stimme Mariens,
    Und den metallenen Chor schwelltest mit tiefem Gesang.
O, da ging mir das Herz weit auf, und dem Strome der Tränen,
    Der vom Auge mir heiß flutete, wehrt' ich umsonst,
Denn was immer die Welt mir Köstliches draußen geboten,
    Süßer empfand ich das Glück, wieder zu Hause zu sein.
Doch mit erneuerter Hast jetzt flogen die Räder, und jubelnd,
    Eh' das Geläut' noch verhallt, lag ich der Mutter im Arm.
 
X.
Nahe dem Hange des Bergs, den hundertjähriger Eschen
    Wipfel umschatteten, lag halb im Verborgnen das Schloß,
Altersgrau, doch würdig geschmückt und wohnlich im Innern,
    Groß nicht, aber dem Gast freundlich, wie keines im Land.
Neben dem springenden Leu'n drei Rosen am Tor der Kapelle
    Zeigte das Wappen, und rings dufteten Rosen umher;
Denn weit dehnte der Garten sich hin, von rauschender Waldnacht
    Nur und dem Spiegel des Teichs drüben im Tale begrenzt.
O, wie atmet' ich auf, als mich hier der Gebieter des Hauses
    Mit willkommener Pflicht gütig zu fesseln gewußt;
Denn den verstäubenden Schatz altspanischer Schriften und Lieder,
    Die er vom Bruder ererbt, trug er zu sichten mir an.
Droben im luftigen Saal bei Globen und allerlei Rüstzeug
    An der getäfelten Wand standen die Bücher umher.
Früh schon blickte die Sonne herein, durchs offene Fenster
    Strömten die Düfte des Parks, schmetterte Vogelgesang,
Und so saß ich und las und verzeichnete, was ich gelesen,
    Und ins Wipfelgewog lauscht' ich dazwischen hinaus,
Bis ich mit glühenden Wangen zuletzt und pochendem Herzen
    Ganz mich ins Märchengeweb' alter Romanzen verlor.
Denn euch sah ich zur Schlacht ausreiten, ihr Helden der Tafel,
    Dich, kampffreudiger Cid, der du im Tod noch gesiegt,
Sah das Erblühn und den Fall Granadas und hörte den letzten
    Seufzer des Mohren; er hallt, sagt man, noch heut im Gebirg.
Aber am tiefsten ergriff dein Los mich, König Rodrigo,
    Der du, des Purpurs wert, herrschtest ein Liebling des Volks;
Doch im Rausche des Glücks umstrickt vom Taumel der Sinne
    Schmählich zuletzt um ein Weib Zepter und Leben verlorst.
Erst wenn des Mittags blendender Strahl mir über das Blatt floß,
    Ließ der versunkenen Welt blühender Zauber mich los.
Rasch dann eilt' ich hinaus und suchte den schattigen Forst auf,
    Der, was längst ich ersehnt, stilles Besinnen mir bot.
Denn von Zweifeln gequält an der eigenen Kraft und im tiefsten
    Grunde des Herzens versehrt war ich der Heimat entflohn.
Aber das heitere Werk und die Lüfte des Bergs und der Waldhauch
    Träufelten Balsam hier in die genesende Brust.
Bald auch wuchs mir der Mut, und dem mächtigen Triebe gehorcht' ich,
    Der das Empfundene mir leise zu singen gebot,
Leise zuerst, dann kühneren Tons, bis endlich die Fülle,
    Die mir die Seele bewegt, strömend den Lippen entquoll.
Sieh, da zerging wie ein Nebel der Druck allmählich, der Schmerz selbst,
    Sanft im Liede gelöst, wurde bescheidner Genuß,
Und im Gefühle des Schaffens getrost abwerfend die Zagheit,
    Lernt' ich im heiteren Kreis wieder gesellig zu sein.
Denn jetzt, wenn ich im Wald bis zur Wende des Tages die Stauden
    Einsam sinnend verschwärmt, rief mich zur Tafel das Horn,
Freundlich empfing mich der Burgherr dort, umringt von den Seinen,
    War ein erwachsend Geschlecht doch des Verwitweten Trost:
Blühender Töchter ein Paar und ein Kleeblatt stattlicher Knaben;
    Aber die Ahnin saß allen zu oberst am Tisch,
Würdig, im dunkeln Gewand, mit geistvoll leuchtenden Augen
    Echtesten Adels ein Bild, Greisin, doch jung im Gemüt.
Sinnig verstand sie das Mahl mit lächelnder Rede zu würzen,
    Doch noch lieber zuletzt lieh sie dem Sohne das Ohr,
Wenn er, ein Meister des Worts, beim Nachtischbecher erzählte,
    Was er auf Reisen erlebt oder als Krieger im Feld.
Denn nach Spanien einst und in Rußlands eisige Steppen
    Halb unwilligen Sinns war er dem Korsen gefolgt,
Hatte des Rückzugs Qual und Gefahren erduldet und spät erst,
    Einer von Tausenden nur, kehrt' er als Flüchtling zurück.
Doch jetzt lebt' er daheim in frohem Genügen und baute,
    Selbst teilnehmend am Werk, stattliche Straßen durchs Land,
Schweift' als Jäger umher im Revier, und im sonnigen Glashaus
    Zog er am hohen Spalier köstliche Früchte sich auf.
Dorthin führt' er uns gern nach Tisch zur hohen Terrasse,
    Und in trautem Gespräch flossen die Stunden uns rasch.
Oder wir mischten uns auch in die munteren Spiele der Jugend,
    Die sich, der Freiheit froh, tummelt' am grasigen Hang.
Hochauf sauste der Ball, hell knirscht' in den Angeln die Schaukel,
    Und vom Stabe geschnellt fing sich am Stabe der Reif,
Bis von den Bergen es kühl herweht' und hinter den Wipfeln
    Über den Fluten des Teichs prächtig die Sonne zerschmolz.
Doch dann rief uns ins traute Gemach die gesellige Lampe,
    Und in der Dichtung Reich folgten den Meistern wir gern,
Unsern Heroen zumal, Iphigenie grüßt' uns und Tasso,
    Friedlands hohe Gestalt schritt uns vorüber im Geist
Und der Befreier der Schweiz; und dazwischen erzählte die Ahnin,
    Wie sie in Weimar einst goldene Tage verlebt,
Wie sie mit Schiller geschwärmt und in jugendlich scheuer Begeistrung
    Goethes olympisches Haupt fromm aus der Ferne verehrt.
Oft auch lauschten wir ernst Beethovens erhabener Schwermut,
    Lauschten erheitert dem Strom Weberscher Waldmelodien,
Oder den Saiten entrauscht' auch wohl ein verführerisch muntrer
    Walzer von Strauß und den Tag schloß ein bescheidener Tanz.
Aber ich saß noch lang wie ein Träumender droben am Fenster,
    Während die Sichel des Monds über den wipfelnden Höhn
Schimmernd im Duft hinschwamm und die Nachtigallen vom Wald her
    Schmetterten, wie ich es nie früher noch später gehört.
Tröstlicher Hoffnung voll dann sann ich hinaus in die Zukunft,
    An das bezwungene Leid dacht' ich, das herbe, zurück;
Doch es versank schon fern, und ich dankte den himmlischen Mächten,
    Die mir die Freistatt hier, treu mich behütend, gewährt,
Als ich zu scheitern gemeint, und ich bat: Vollendet das Werk nun,
    Und dem Geretteten gebt gnädig zum Wollen die Kraft!

 


 


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