Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Welt und Einsamkeit.

              O rühmet immerhin mir eure lauten Feste,
Zu denen man geschmückt mit prächt'gen Rappen fährt,
Wo stetes Lächeln kränzt die Stirnen aller Gäste,
Als sei der Tod nicht mehr und jedes Leid verklärt,
Wo Scherz und Lüsternheit sich ineinander ranken,
So wie der üpp'ge Mohn dem Korn sich lodernd mischt,
Wo alles blitzt und sprüht, Demanten und Gedanken,
Als gält's ein Feuerwerk, das vor bezahlten Schranken
Vielfarbig auf ins Dunkel zischt.

Und eure Bälle rühmt, wo man in Prunkgemächern
Mit duft'gem Eis euch kühlt und süßen Schaum kredenzt,
Wo reich ein bunt Gewirr von Federn, Blumen, Fächern,
Von Seid' und Goldgeschmeid' aus hundert Spiegeln glänzt,
Wo bei Trompetenklang und bei der Pauke Tosen
Der Reigen hold sich löst, und holder wieder schließt,
Und um der Schönheit Preis die stolzen Frauen losen
Mit jenem weichen Schmelz, der wie ein Duft von Rosen
Um sechzehnjähr'ge Stirnen fließt.

Rühmt alles immerhin, die Pracht, das dunkle Feuer,
Das aus den Augen flammt, die man in Liedern preist,
Die Klugheit, die dies Meer befährt mit sicherm Steuer,
Den leichtbewegten, ach, so oft mißbrauchten Geist;
Rühmt mir den Ambraduft der hohen Teppichzimmer,
Den Silberschmuck, der Glanz der würz'gen Tafel leiht,
Den Wein, der wie Rubin erglüht im Kerzenschimmer,
Der Mädchen süß Geschwätz – ihr lockt, ihr lockt mich nimmer;
Ich wähle dich, o Einsamkeit.

Dich, hohe Zauberin, die wandelt in den Forsten,
Wo kaum ein fleckig Reh durchs Brombeerdickicht rauscht,
Die auf dem Inselfels von kahlen Geierhorsten
Dem ewiggleichen Schlag der Meereswoge lauscht,
Die ihren Wohnsitz hat auf Schlössern, längst verlassen,
Wo Efeulauben sich um Tor und Söller baun,
Und nur bei tiefer Nacht betritt der Städte Gassen,
Um Kirch' und Erkerturm und düstre Giebelmassen
Im Mondenglanze zu beschaun.

Ich wähle dich, denn du hast mich im Schoß getragen,
Da ich, ein Knabe noch, in Heid' und Tann geschweift,
Hast mich das erste Lied gelehrt in frühen Tagen
Und dann in schwerer Zeit zum Manne mich gereift.
Und wollte mir das Herz vergehn in Angst und Wehe,
Nie kehrt' ich heim von dir, daß ich nicht Trost gefühlt;
Empfinden ließest du mich meines Gottes Nähe
Wie einen Frühlingshauch, der, ob ich ihn nicht sehe,
Mir doch die heiße Stirne kühlt.

Du warst es, göttlich Weib, die mir von alten Zeiten,
Von Hellas' Glanz erzählt an Suniums Klippenstrand,
Wenn ich, den Blick gekehrt zu planen Meeresweiten,
Dort an des Tempelbaus verwaisten Säulen stand.
Die rote Distel wuchs umher am schroffen Hügel,
Um Schutt und Trümmer kroch ein sonnverbrannt Gerank,
Ein Aar vom Tayget schwang über mir die Flügel,
Indes mein türkisch Roß mit blankem Schaufelbügel
Aus einem Marmorknaufe trank.

Und o wie wehte sanft dein Hauch durch meine Träume,
Als ich im Waldgebirg an Hessens Marken lag!
Spätsommer war's, ein Duft von Harz durchzog die Bäume,
Aus fernem Grund heraus erscholl des Beiles Schlag;
Ich sah, wie still und schlaff der Eiche Blätter hingen,
Kein Lüftchen! Selbst der Zweig der Espe hatte Ruh';
Und plötzlich dann im Land ein Rauschen und ein Klingen,
Es kam der Wind: mir war's, als trügen seine Schwingen
Auf dein Geheiß Gesang mir zu.

Fürwahr, du bleibst getreu. Mag alle Welt mir grollen,
Ich flüchte mich zu dir, du hältst mich stark und fest;
Du lehrst mich das Panier der Schönheit hoch entrollen,
Ja, Muse bist du mir, wenn mich die Liebe läßt.
So laß denn fern am Strand, im Wald, auf Burgruinen
All deinen Märchenreiz verströmen in mein Lied,
So wie zur Sommerszeit, sobald die Nacht erschienen,
Der Nelke Duft, vermischt dem Dufte der Jasminen,
Die laue Finsternis durchzieht.

 


 


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