Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Auf dem Anstand.

An Ernst Curtius.

                Grau ist der Morgen, streif'ge Nebel wallen,
Ein leiser Regen spinnt sich trüb und kalt;
Die roten Blätter seh' ich langsam fallen –
Jagdwetter schien's, drum zogen wir zu Wald.
Schon spürt die Meute fern, sie bellt im Suchen,
Und ihr Gebell verheißt uns gute Pirsch;
Ich steh' im feuchten Herbstlaub an den Buchen,
Gespannt die Büchse pass' ich auf den Hirsch.

Mich fröstelt. – Sollt' in meiner Weidmannstasche
Bei Blei und Pulver nicht Erquickung sein? –
Fürwahr, da ist die korbumflochtne Flasche!
Ein tücht'ger Zug! – Ha, das ist Zyperwein!
Heiß rinnt er durch die Adern, durch die Glieder –
Floß durch die Wipfel plötzlich Sonnenglanz?
Die griech'sche Feuertraube ruft mir wieder
Im Herzen wach die Bilder Griechenlands.

Zwei Jahre sind's! Ei, wie so anders schaute,
Wie froh der Herbst mir damals ins Gesicht!
Lau war die Luft, der tiefe Himmel blaute,
Die Feige schwoll, die Traub' im Sonnenlicht.
Da ließen, matt noch von des Sommers Gluten,
Mein Ernst, den Ernst wir in Athen zu Haus,
Und zogen durch des Inselmeeres Fluten,
Zwei sel'ge Schwärmer, abenteuernd aus.

Gedenkst du, wie bei Paros durch die Brandung
Das Boot wir zwängten? – dämmernd stieg der Mond –
Und wie so schön uns dann die kühne Landung
Die rebumkränzte Marmorstadt belohnt?
Denkst du der Zithern, die die Nacht durchklangen,
Der Brunnen, die uns in den Schlaf gerauscht,
Und jenes Mädchens, das mit glüh'nden Wangen
Für leichten Schmuck Orangen uns vertauscht?

Denkst du an Naxos noch? Ich seh' sie liegen,
Die Klöster und das Schloß auf hohem Stein,
Den Säulenhof, wo sich die Palmen wiegen,
Die Felswand, übergrünt von eitel Wein,
Das reiche Tal, in dessen bucht'ge Weiten
Ein buntgezäumtes Saumtier leicht uns trug –
Da blinkten Becher rings, da klangen Saiten;
Fürwahr, es war ein neuer Bacchuszug!

Und als wir sonnverbrannt mit staub'gen Ballen
Zur Ruh' verlangten nach der heißen Fahrt,
Da nahm uns in die kühlen Klosterhallen
Der wackre Pater mit dem langen Bart.
Hoch überm Meer auf seinem Laubensitze,
Wie schollen unsre Lieder da so frisch!
Wie floß der Quell des Nektars und der Witze
So unerschöpft am saubern Abendtisch!

Dort saß der Bischof, dort der Kapuziner,
Wir zwei Poeten lustig mittendrin:
Schlau lächelnd stellte der slawon'sche Diener
Uns beiden stets die vollsten Flaschen hin.
O Jubel, wie wir einst im Mönchsvereine
Gezecht, bis jenen die Geduld selbst riß,
Und wie wir dann, noch voll von süßem Weine,
Verdeutscht das Trinklied des Panyasis!

Doch mußten auf dem Chor die Priester säumen:
Dann suchten wir die Gärten am Gestad;
Schlaftrunken wob's in den Zitronenbäumen,
Die stille Felsbucht rief zum lauen Bad;
Dazu ein Trunk, ein Lied. So floß der Morgen,
So kam gestirnt die duft'ge Nacht daher;
Wir lebten, schwärmten – zwischen unsern Sorgen
Und zwischen unsern Herzen lag das Meer.

Nur einst – ein Sonntag war's, die Glocken gingen –
Da dachten wir an Lübecks Glockenklang,
Der Vaterstadt, und an den Wimpern hingen
Uns plötzlich Tränen, und wir schwiegen lang'.
Ein Luftschloß baut' ich für mein Zukunftsleben;
So golden war's. Die Brust schlug heimatwärts –
Ach, wenig hat die Heimat nun gegeben,
Ein Liederbuch und ein verwundet Herz.

Doch heilt es schon. Die Saiten, die zersprungen,
Zu ew'ger Stummheit sind sie bald gedämpft;
Ich habe mir in Nächten, bang durchrungen,
Das schwere Gut der Heiterkeit erkämpft.
Du sollst es am Gesang aus meinem Munde
Kaum spüren, welche Hoffnung von mir schied;
Und bricht sie einmal auf, die alte Wunde:
Laß bluten! Auch der Schmerz will ja sein Lied.

Mut! Mut! Dem Leid, der Lust die Stirn entgegen,
Die Welt ist immer noch des Schönen voll.
Ein kühnes Ringen gilt's auf meinen Wegen,
Ich ward ein Mann und fühle was ich soll.
Ob's wieder Täuschung? – Doch genug! Der Hunde
Gebell klingt nah, der Fels antwortet hohl;
Ein Schuß und wieder einer fällt im Grunde –
Der Hirsch bricht durch die Büsche – Lebewohl!

 


 


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