Emanuel Geibel
Gedichte
Emanuel Geibel

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Von des Kaisers Bart.

          Im Schank zur goldnen Traube,
Da saßen im Monat Mai
In blühender Rosenlaube
Guter Gesellen drei.

Ein frischer Bursch war jeder,
Der erst' am Gurt das Horn,
Der zweit' am Hut die Feder,
Der dritte mit Koller und Sporn.

Es trug in funkelnden Kannen
Der Wirt den Wein auf den Tisch;
Lustige Reden sie spannen,
Und sangen und tranken frisch.

Da war auch einer drunter,
Der grüne Jägersmann,
Vom Kaiser Rotbart munter
Zu sprechen hub er an:

»Ich habe den Herrn gesehen
Am Rebengestade des Rheins,
Zur Messe wollt' er gehen
Wohl in den Dom nach Mainz.

Das war ein Bild, der Alte,
Fürwahr von Kaiserart!
Bis auf die Brust ihm wallte
Der lange braune Bart.«

Ins Wort fiel ihm der zweite,
Der mit dem Federhut:
»Ei, Bursch, bist du gescheite?
Dein Märlein ist nicht gut.

Auch ich hab' ihn gesehen
Auf seiner Burg im Harz,
Am Söller tät er stehen,
Sein Bart, sein Bart war schwarz.«

Da fuhr vom Sitz der dritte,
Der Mann mit Koller und Sporn,
Und in der Zänker Mitte
Rief er in hellem Zorn:

»So geht mir doch zur Höllen,
Ihr Lügner! Glück zur Reis'! –
Ich sah den Kaiser zu Köllen,
Sein Bart war weiß, war weiß.«

Das gab ein grimmes Zanken
Um Weiß und Schwarz und Braun,
Es sprangen die Klingen, die blanken,
Und wurde scharf gehaun.

Verschüttet aus den Kannen
Floß der vieledle Wein,
Blutige Tropfen rannen
Aus leichten Wunden drein.

Und als es kam zum Wandern,
Ging jeder in zornigem Mut,
Sah keiner nach dem andern
Und waren sich jüngst so gut. –

Ihr Brüder, lernt das eine
Aus dieser schlimmen Fahrt:
Zankt, wenn ihr sitzt beim Weine,
Nicht um des Kaisers Bart!

 


 


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