Felix (und Therese) Dahn
Gedichte
Felix (und Therese) Dahn

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Traum.

        Mir träumte heut' Nacht, so schwer, so schwer:
    Saß unter den Linden am rauschenden Wehr,
Von fernher kamen die Wasser gezogen
    Gurgelnd und murmelnd in kreisenden Bogen,
Und durch ihr Rauschen ein schwarzer Schwan:
    Ich sah ihn lautlos gleiten und nah'n.
Und als ich, mich beugend, ihn fangen wollte, –
    Die Fluth verschlingend über ihn rollte.

Mir träumte heut' Nacht: so tief, so tief
    Im blüthigen Busch die Nachtigall rief:
Mir schwoll im Ohr ein heißes Tosen,
    Ich wollte belauschen ihr heimliches Kosen:
Und als ich mich nahte dem strauchigen Nest,
    Da hielten stechende Dornen mich fest
Und schossen und wuchsen an Ästen und Stielen:
    Die Nachtigall schwieg, und Blätter fielen.

Mir träumte heut' Nacht: in den Lüften hoch
    Ein Adler flog – unnahbar hoch!
Mich faßte Sehnen, auf seinen Schwingen
    In's goldne Licht des Himmels zu dringen:
Er schoß herab in rauschender Pracht,
    Schon streifte mich sein Gefieder sacht, –
Da kam ein schwirrender Pfeil zu schießen:
    Den Adler sah ich in Licht zerfließen.

Mir träumte so süß heut' in der Nacht
    Von unseres Hauses aufsteigender Pracht:
Im Sal, da wuchs der Stamm der Linde,
    Über uns rauschten die Wipfel im Winde:
Wir waren selig! – da zuckte ein Blitz
    Aus Wolken in unsres Glückes Sitz: –
Jäh stürzte der ragende Bau zusammen,
    Und alles begruben die lodernden Flammen.

So träumte mir schwer in der Nacht vor heute:
    Wo lebt der Weise, der mir das deute?


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