Felix (und Therese) Dahn
Gedichte
Felix (und Therese) Dahn

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Der Sänger.

I.
                                        Es zogen einst aus Syracusä's Thoren
    Drei edle Herrn in stattlichem Geleit:
Der eine, fern im Schweizerland geboren,
    Trug Waffenschmuck und blankes Stahlgeschmeid:
Sicilien's König hat er zugeschworen,
    Mit Schweizertreue hält er seinen Eid;
Groß war sein Ruhm: im ganzen wälschen Land
Ward er der tapfre Capitan genannt.

Jetzt hat sein König ihn zu sich beschieden
    Nach seinem Sommerschloß zu Avola,
Daß er ihm helfe, Herrscherpläne schmieden,
    Denn Aufruhr flammt im Land noch hie und da:
Es üben wilde Scharen noch im Frieden
    Das blut'ge Recht des Krieges, und ganz nah
Der Hauptstadt selbst haust eine Räuberbande
Und schreckt mit Mord und Plünderung die Lande.

Denn immer noch durch ganz Italien lodert
    Der Guelphen und der Ghibellinen Streit,
Ob längst der Hohenstaufen Stamm vermodert,
    Die Kaisereiche deutscher Herrlichkeit.
Sie sank dem Blitz des Vaticans: – doch fodert
    Sie Todtenopfer noch in später Zeit,
Und mancher tapfre Ritter in Sicilien
Gedenkt noch Konradin's und flucht den Lilien.

Drum hat den zweiten auch von jenen Dreien
    Der Fürst zu sich nach Avola gerufen:
Denn seiner Herrschaft will er Gründe leihen
    Und durch Gesetz und Recht des Thrones Stufen,
Die blutbespritzten, heiligen und weihen.
    Der Anjous Macht, die mit Gewalt sie schufen,
Sei von Magister Cosimo der Welt
Als durch das Recht begründet dargestellt.

Denn Keiner war von Wälschlands Rechtsgelehrten
    Dem alten Cosmus an Gelahrtheit gleich:
Des Codex, der Pandecten feinste Fährten,
    Sie waren ihm bekanntes Heimathreich;
Als Meister ihn Bologna's Schulen ehrten,
    Aus England, Spanien, aus dem deutschen Reich
Ging man ihn oft um Rath und Schiedspruch an:
Man hieß ihn nur den zweiten Ulpian.

Der dritte Reisende, Signor Sacchiere,
    Der reichste Kaufherr von Amalfi war.
Es trugen seine Schiffe sieben Meere,
    Ihm bot Arabien Gold und Perlen dar,
Und jetzt lacht ihm Gewinn zugleich und Ehre:
    Sein König, sonst ein Feind der Bürger zwar,
Bat ihn um hunderttausend Goldzechinen –
Als Pfand dafür soll halb Sicilien dienen.

So zogen frohgemuth die Weggenossen,
    Und jeder dachte still in seinem Sinn:
»In Avola, da muß mein Glück ersprossen,
    Weil ich dem König unentbehrlich bin;
Nun gilt's, aus seiner Gnade, klug entschlossen,
    Zu pressen allen möglichen Gewinn,
Nun gilt es, diese Stunde wohl zu nützen:
Ein ganzes Leben läßt darauf sich stützen.«

Und es begann der tapfre Capitan:
    »Ihr werthen Herrn, wenn wir es recht bedenken,
Wir drei, die hier vereinet Eine Bahn,
    Wir sind es, die den Gang der Dinge lenken:
Die ganze Welt, uns ist sie unterthan, –
    Das Schwert, das Geld und das gelehrte Denken
Sie sind allmächtig: – alles andre Treiben
Ist Spiel und sollte besser unterbleiben.«

Er sprach's und drehte seinen krausen Bart,
    Und an die Hüfte stemmt' er stolz die Rechte.
Zwar sein Gedanke war noch andrer Art;
    Doch hätt' er ausgesprochen, wie er dächte,
Es kränkte die Genossen seiner Fahrt: –
    Er dachte still: »Das Schwert nur ist das Aechte;
Dir, Wuchrer, nicht und dir nicht, Federheld,
Dem Krieger nur gehört die ganze Welt.«

Mit seinem Lächeln sprach im Sammttalare
    Magister Cosimus und nickt' ihm zu:
»Wie schön, daß sich bei Euch die Einsicht pare
    Mit Kriegsmuth und Bescheidenheit dazu!
O Capitan, Ihr trafet ganz das Wahre.«
    Doch dacht' er still: »Du dummer Landsknecht du,
Das sieht dir gleich, die hohe Wissenschaft
Gilt dir wie schnödes Geld, wie plumpe Kraft.«

»Wie selten wird,« so schmunzelte Sacchiere
    Und klirrte mit der Börse, die er trug,
»Von Eurem Stand dem Kaufmann so viel Ehre,
    Der nicht wie ihr so stark, wie ihr so klug!« –
»Wenn ich daheim nur in Amalfi wäre,«
    – Dacht' er – »und nur der Friede fest genug, –
Ich wollte dir die Wahrheit zeigen besser,
Du Bücherwurm, und dir, du Eisenfresser.«

Nach solchen rückhaltlosen Freundesworten
    Verfolgten still sie wieder ihre Pfade.
»Zum Herzog macht mich seiner Schlachtcohorten«
    – So denkt Martell – »gar bald des Königs Gnade.«–
»Nur gegen Zollfreiheit in allen Porten
    Erschließ' ich ihm die goldgefüllte Lade« –
Sacchiere sinnt, und Cosmus hofft daneben:
»Zu seinem Kanzler muß er mich erheben.«

Indeß die drei so stolze Plane sinnen,
    Laßt uns des Kaufherrn schönes Kind betrachten,
Giulietta, das Gespiel der Charitinnen,
    Auf deren Wangen Reiz und Jugend lachten;
Das schöne Haupt, gehüllt in feines Linnen,
    Die schwarze Locken voll und schwer umnachten:
Im Auge, das die langen Wimpern säumen,
Liegt träumerischer Glanz und glänzend Träumen.

Der Vater will sie stolz zu Hofe führen,
    Als seine schönste Perle dort sie zeigen
Und sich den Edelsten zum Eidam küren,
    Denn ihrer Schönheit wird sich Alles neigen.
Doch sie scheint stolze Hoffnung nicht zu rühren,
    Sie bleibt gehüllt in knospenhaftes Schweigen
Und läßt nur manchmal in die blauen Weiten
Die unbestimmt verlor'nen Blicke gleiten.

Als so der Zug erklommen einen Hügel,
    Da that sich auf ein paradiesisch Thal.
Ein helles Bächlein, wie ein Silberzügel,
    Umzog des Berges Rücken, lieblich schmal;
Hier flog der Schmetterling mit buntem Flügel,
    Hier standen Frühlingsblumen ohne Zahl:
Wildrosen hielten hier und Oleander
Und Lorber holde Zwiesprach mit einander.

Und einen Jüngling sah mit langen Locken,
    Das Haupt entblößt, man in dem Thale wandeln.
Bald stand er vor des Agley Purpurglocken,
    Die zarten Blüthen brach er bald der Mandeln,
Und bald der Myrthe duft'ge Silberflocken;
    Um Ziel und Weg schien ihm sich's nicht zu handeln.
Bald blieb er steh'n, der Lerche Lied zu lauschen,
Und bald am Bach dem leisen Wellenrauschen.

Die Laute, die er trägt, sie ist mit Rosen,
    Mit wildem Weinlaub ist sein Haupt bekränzt,
In seinem Har die leisen Lüfte kosen,
    Kein Schwert, kein Gold an seinem Kleide glänzt.
Nun greift er mit der Hand, der becherlosen,
    In's kühle Naß: – jedoch ihm wird kredenzt:
Denn eine Muschel, rein und silberhelle,
Als schönsten Becher spült ihm zu die Welle.

Mit stillem Staunen hat Giulietta lange
    Verfolgt des Wandrers wundersam Gebahren;
Sie sah ihn becherlos am Uferhange
    Und sieht nun den Pokal, den perlenklaren.
Sie klagt von Durst: – es glühet ihre Wange: –
    Der Vater winkt: – denn edle Weine waren
Von Cypern und Salern im Lederschlauche
Verwahret zu der Reisenden Gebrauche.

»Nein,« spricht Giulietta, »Wein will ich nicht trinken,
    Mich dürstet nach dem klaren Waldesquell
Dort unten, wo die wilden Rosen winken.«
    Und eh' der Vater ruft: »Wohin so schnell?«
Fliegt auf dem Zelter schon, dem allzu flinken,
    Hinab die Tochter an das Bachgefäll.
Der Jüngling, der am Uferhange kniet,
Urplötzlich all' die Schönheit vor sich sieht.

Er hält die Hand vor's Auge wie geblendet,
    Und aus der Hand sinkt ihm die Laute leis';
Sie schweigen Beide: höchste Wonne spendet
    Gott nur um eines süßen Schreckens Preis.
Sie deutet auf das Bächlein buntgerändet
    Und auf die Muschelschale perlenweiß.
Er füllet sie und beut sie dar mit Schweigen,
Sie aber trinke mit anmuthvollem Neigen.

Rasch war, erstaunt ob Giulia's kühnem Wagen,
    Der ganze Reisezug gefolgt zumal,
Und ehe sie den Dank ihm konnte sagen –
    Denn nur ihr Auge sprach mit sanftem Strahl –,
Vernahm man schon des Vaters Stimme fragen:
    »Wer seid Ihr, Herr? Wie kommt ihr in dies Thal?«
»Was Euer Stand?« rief der Magister herbe,
Und barsch der Capitan: »Was Dein Gewerbe?«

Mit einer träumerischen Handbewegung
    Der Jüngling aus der Stirn die Locken strich;
Er senkt den Blick in sinnender Erregung,
    Er schweigt: – er denkt, o Giulia, nur dich!
»Nun, Herr, was braucht's da langer Ueberlegung?
    Ihr wißt doch, wie ihr heißet, sicherlich?
Die Antwort, dächt' ich, braucht kein Vorbereiten!«
Der Jüngling aber griff nun in die Saiten:

    »Zu Napoli bin ich geboren,
        Girolamo bin ich genannt;
    Ich habe keinen Stand erkoren
        Und ziehe singend durch das Land.

    Nichts kann ich, was in diesen Tagen
        Gewinn und Macht und Ehre zieht;
    Jedoch die Laute kann ich schlagen,
        Und singen kann ich manches Lied.«

»Ei, junger Herr, da könnt Ihr auch was Rechtes!«
    Sprach Cosimo mit sehr gelahrten Mienen. –
»Was seid Ihr werth zur Stunde des Gefechtes?
    Wird Euch die Laute da zum Schwerte dienen?«
So rief Martell. – »Ein Sprößling des Geschlechtes
    Seid Ihr,« so sprach der Mann mit den Zechinen,
»Das unserm Herrgott seine Tage stiehlt,
Und, statt zu wirken, singt und träumt und spielt!«

    »Gestrenge Herrn, ich brauche wenig,
        Stets, was ich brauchte, fand ich noch,
    Bin keinem Frohndienst unterthänig,
        Und sieh, die Erde nährt mich doch!

    Es gaben immer sanfte Seelen
        Mir für ein Lied noch Dach und Fach,
    Und wo mir gute Menschen fehlen,
        Beut die Platane gern ihr Dach.

    Der Weinstock giebt mir seine Süße,
        Die Vöglein singen mich zu Ruh',
    Es schüttelt ihre goldnen Grüße
        Mir gern die Aprikose zu.

    Wenn so wie Ihr der Himmel dächte, –
        Nur ew'gen Herbst gäb' er der Welt:
    Die Schönheit auch hat ihre Rechte,
        Und Gott hat auch den Lenz bestellt.«

Ob seiner Kühnheit halb erschrocken
    Die Farb' aus seinen Wangen floh,
Er fühlte seine Rede stocken: –
    Doch Giulia's Auge glänzte froh,
Und ihre Stimme klang wie Glocken:
    »Ja, Recht habt Ihr, Girolamo,
Und was ich lange still gedacht,
Habt Ihr in's schöne Wort gebracht.«

Mein Vater« – flüstert sie verlegen –
    »Ich schulde dem Signore Dank:
Ein großer Dienst auf heißen Wegen
    Ist, hold gereicht, ein kühler Trank. –

Ihr wandelt ohne Schutz und Degen,
    Der Frieden ist noch jung und schwank;
So folgt uns denn auf unsern Pfaden,
Daß Ihr nicht kommt zu Leid und Schaden.«

»Ich fürchte keinen Räuber,« sprach der Knabe,
    »Denn mein ist nur mein Leben und mein Lied,
Und Beide nützen nur, wenn ich sie habe;
    Doch folg' ich gern, wohin die Schönheit zieht:
Denn Schönheit ist des Sängers Lust und Labe,
    Er ist daheim, wo er sie walten sieht« –
Er neigte sich und nahm ihr Roß am Zügel
Und führte es sacht den Pfad hinauf zum Hügel.

Die Dreie staunen ob des Jünglings Weise:
    Er ist so sicher und doch so bescheiden,
Und jeder brummt, das Haupt geschüttelt leise,
    Doch unwillkürlich jeder folgt den Beiden.
»Der thut, als zählt' er längst zu unserm Kreise,«
    Der Kaufherr spricht, »doch ist er gut zu leiden.
Dazu allein auch die Poeten taugen,
Daß sie den Mädchen gucken in die Augen!«


II.
Doch Giulia und Girolamo, die zogen
    Zusammen still, als müßte das so sein;
Er führt den Zelter an dem Zügelbogen,
    Er blickt empor bei jedem Stock und Stein;
Sie aber hat sich tief herab gebogen,
    Dem trauten Wort ein trautes Ohr zu leih'n.
Wildrosen, die am Wege schwank sich wiegen,
Er muß sie oft aus ihren Locken biegen.

So schritten sie voraus dem Reisezuge:
    Gott Amor aber flog dem Par voran,
Und junge Rosen pflückend rasch im Fluge,
    Streut er sie lächelnd auf der Beiden Bahn;
Und hinterdrein trabt Cosimo, der kluge,
    Der Kaufherr und der tapfre Capitan,
Und jeder fühlt den eignen Werth gehoben,
Betrachtet er den Sänger recht von oben.

Doch als des Mittags Hitze nun erglommen,
    Die jede Mühsal in dem Süden mehrt,
Und einen düstern Berg die Schar erklommen,
    Da wird dem Zuge frohe Rast gewährt.
Vom Maulthier flugs ist Sack und Schlauch genommen,
    Und hurtig wird ein heitres Mahl bescheert;
Von Dienern wird auf grünem Waldesplan
Der Venetianer-Teppich aufgethan.

Girolamo will sich von dannen stehlen,
    Des schönen Mädchens Wink ruft ihn zurück.
Der Vater murrt: – doch will er nicht befehlen,
    Die Tochter fröhlich seh'n ist all sein Glück.
»Will ich sie doch in kurzer Frist vermählen!
    Vom eignen Herzen geb' ich fort ein Stück;
Dann mag ihr Gatte lenken sie und leiten,
Bis dahin soll sie frei durch's Leben schreiten.«

So tafeln sie. – Des Capitano's Leute,
    Sie schleppen den gebratnen Hirsch herbei,
Der jüngst im Bergwald fiel Martell zur Beute.
    Des Cosmus Diener bringen Fäßchen zwei
Voll Ungarweins, die ein Magnat ihm beute,
    Daß er im Erbproceß ihm Hülfe leih'.
Südfrüchte, hergebracht aus fernem Meere,
Als seinen Beitrag bot zum Mahl Sacchiere.

Der Wein macht froh und löset die Gedanken:
    Dem reichen Kaufherrn ward es froh um's Herz,
Den goldnen Becher hob er hoch, den blanken,
    Und zu Girolamo sprach er im Scherz,
Der einen Kranz aus dunkeln Epheuranken
    Und hellen Rosen flocht und himmelwärts
Oft sinn'gen Blickes sah: »Wohlauf, Herr Sänger,
Mit eurem Beitrag zögert nun nicht länger.«

»Ein jeder hat von uns zu diesem Mahle,
    Was sein Verdienst erworben, beigetragen:
Wir haben Fleisch im Topf, Wein im Pokale –
    Sagt an, was giebt die edle Kunst dem Magen?
Wir Armen wandeln nur im Erdenthale: –
    Euch hat die Dichtung himmelwärts getragen.
Doch könnten wir Drei auch nur Zither schlagen, –
Der leid'ge Hunger würd' uns Alle plagen.«

»Ich habe leider nur den Schmuck zu geben,
    Doch erst der Schmuck verlieblichet das Mahl.«
Der Sänger sprach's und schlang die Epheureben
    Und Rosen festlich um den Schenkpokal.
»Das,« meint Sacchiere, »läßt nicht übel eben,« –
    »Doch ist es eitel Tand und Ueberzahl.« –
»Ihr Dichter könnt' nur spielen, träumend wandeln,
Verloren seid ihr, wo es gilt, zu handeln.«

So ruft Martell und klopft dabei auf's Schwert. –
    Doch ehe noch der Sänger spricht dawider,
Trompetenschmettern durch die Lüfte fährt,
    Von Waffen blitzt es alle Höh'n hernieder,
Und grimme Scharen, kriegerisch bewehrt,
    Am Helme ghibellinisches Gefieder,
Wohl an dreihundert stürmen wild herbei,
Und »Tod den Guelphen!« donnert ihr Geschrei.

Gefangen sind im Nu die wen'gen Knechte,
    Die wehrlos, arglos bei den Bechern lagen,
Den Capitano hätt' im Schwertgefechte
    Der Ghibellinenführer fast erschlagen,
Des Kaufmanns, des Gelehrten schwache Rechte,
    Und ach, selbst Giulia muß Fesseln tragen.
Zu den Gefangnen tritt der Führer vor
Und schlägt vom Helme das Visir empor.

Er ging gepanzert schwarz und schwarz beschildet:
    Der blutig rothe Helmbusch wild umwallt
Ein Antlitz, edel, aber haßverwildet;
    Von adeligem Wuchs war die Gestalt,
Die Züge, herrlich von Natur gebildet,
    Zerfraß der tiefen Leidenschaft Gewalt.
Melodisch einst klang sicher diese Stimme,
Nun aber scholl sie dumpf in dumpfem Grimme.

»Erkennet mich und zittert, schnöde Guelphen,
    Erkennet mich, Cardenio von Tarent!
Nun soll euch nicht der blut'ge König helfen,
    Nicht jener Priester, den ihr heilig nennt,
Und nicht das Blutgericht von jenen Elfen,
    Das als Gesetz nur Haß und Willkür kennt.
In eures Todfeinds Hand seid ihr gegeben,
Und keiner soll entrinnen mit dem Leben!«

»Erbarmen, Herr!« so nahm das Wort Sacchiere,
    »Nehmt reiches Lösegeld und laßt mich fliehn!«
– »Du grauer Thor, wenn mir's um Schätze wäre,
    Könnt' ich Dein Gold von deiner Leiche ziehn.« –
»Der König rächt den Führer seiner Heere,«
    So droht Martell, »und wer mich kränkt, kränkt ihn.« –
»Er strafe mich, wenn er mich kann erreichen,
Noch heute werd' ich aus Sicilien weichen.«

»Mit welchem Rechte hemmt ihr unsre Bahn,«
    Rief Cosmus, »und was haben wir verschuldet?« –
»Wie?« schrie Cardenio, »wie? was ihr gethan?
    Ha, Frechheit, wie sie nimmer ward geduldet!
Frag' eher, was ihr Guelphen nicht gethan,
    Und welchen Lastern nicht ihr habt gehuldet!
Ihr habt geraubt, erdolchet und vergiftet,
Jahrhundertlang habt Frevel ihr gestiftet.

»Du fragst nach Recht? – Mit welchem Recht geschlagen
    Habt ihr das Haupt des jungen Konradin?
Sein Blut wird ewiglich um Rache klagen,
    Nie wird die That von Gott und Welt verziehn.
Nicht weitern Hassesgrund braucht' ich zu sagen:
    Du bist ein Guelph' und ich ein Ghibellin.
Doch keiner unter uns hat sicherlich
An euch zu rächen so viel Schuld als ich.

»Du hast, Martell, den Vater mir, den greisen,
    Des Hochverrats an Anjou's Thron geziehn;
Du, Cosmus, mußtest seine Schuld beweisen,
    Leicht war's gethan: – er war ein Ghibellin!
Du, Kaufmann, hast beraubet seine Waisen,
    Hast uns Dein wucherisches Gold geliehn
Und dann von Haus und Herd uns fortgetrieben:
Kein Reichthum als der Haß ist uns geblieben.

»Ich und die Brüder flohen aus Tarent,
    Verbannt, geächtet, Schutz in Wäldern suchend
Und mit der Treue, die der Haß nur kennt,
    Im Buch der Feindschaft eure Thaten buchend.
Jüngst fielen meine Brüder bei Sorrent,
    Im Tode noch den blut'gen Guelphen fluchend;
Ich bin der letzte Ritter unsrer Sache,
Der einz'ge Erbe tausendfält'ger Rache.

Und diese Rache will ich nun vollenden,
    Dann eil' ich pilgernd in's gelobte Land.
Ich wußte, hierher mußtet ihr euch wenden.
    So fing in Einem Griff euch meine Hand.
Ihr erntet nur die Sat von eignen Händen,
    Ihr selbst habt zu den Mördern mich verbannt.
Wohlan, nun soll euch Todesqual bewähren:
Ich lernte prächtig eure blut'gen Lehren.«

Er winkt, und seine Leute knüpfen Stricke,
    Es wird zum Galgen plötzlich jeder Baum.
Die Dreie senken schweigend ihre Blicke,
    Das schuld'ge Herz giebt keiner Hoffnung Raum.
Urplötzlich sind verwandelt die Geschicke,
    Ihr Stolz und ihre Macht zerfloß wie Schaum.
Sie denken: Jeder braucht, wer kann, die Macht: –
Nun ist es Tag bei ihm, bei uns ist Nacht. –

Da tritt, mit seinen Ketten schwer beladen,
    Der Sänger auf den schwarzen Ritter zu:
»Ich bitte, Herr, gewähret mir in Gnaden
    Die letzte Bitte, die ich lebend thu'.«
– »Kann sie mir nicht an meiner Rache schaden,
    So sag' ich Dir die letzte Bitte zu.« –
»Wohlan, so laßt mir meine Laute bringen
Und, gleich dem Schwan, ein letztes Lied mich singen.«

Cardenio winkt: sie lösen ihm die Kette,
    Und seine Laute wird ihm dargereicht.
Sein Auge sucht und findet Giuliette,
    Als er melodisch durch die Saiten streicht.
Still wird's und friedlich auf der Todesstätte,
    Die reinen Töne fließen zart und leicht,
Auf Speer und Schild gelehnt die Räuber lauschen,
Und süß und lieblich die Accorde rauschen:

    »Nun lebe wohl, du Lebenswonne,
        Du, Wald und Fluß, du, Berg und Thal,
    Und du, geliebte, schöne Sonne:
        Nun lebet wohl viel tausendmal!

    »Ach, lieblich war es, hier zu wallen
        Bei Blüthenduft und Vogelsang,
    Wann lockend aus Olivenhallen
        Das Lied der Nachtigallen klangt

    »Es preise sich, wem noch gegeben
        Des Daseins warme Himmelsgunst:
    Ach, wie so köstlich ist das Leben,
        Ach, wie so lieblich ist die Kunst!

    »So hört mein Ohr denn niemals wieder
        Der Mandoline süßen Ton,
    Und tausend künft'ge junge Lieder, –
        Sie sterben ungeboren schon!

    »Die Laute trug ich, rein von Händen,
        Mein Leben war nur Sang und Huld,
    Und muß mein Los sich blutig enden: –
        Wohlan, ich sterbe sonder Schuld.

    »Und wie der Laute Ton verklinget
        Nach einer kurzen Lieblichkeit,
    Melodisch sich die Seele schwinget
        In ewige Vergangenheit.«

Er sprach's, und lieblich tönte seine Stimme,
    Und silbern scholl sein Lied im stillen Wald.
Manch Auge weint: es spüret selbst der Schlimme,
    Verwilderte der Töne Huldgewalt.
Cardenio lauscht: er fühlt, trotz seinem Grimme,
    Wie ihm das Herz in sanftern Schlägen wallt.
Er nahm ihm aus den Händen leis' die Laute
Und sang, indem er sinnend niederschaute:

    »Auch mir ist oft in reinern Tagen
        Des Liedes schöner Gott genaht:
    Mit Saitenspiel und Lautenschlagen
        Ging ich der Liebe süßen Pfad.

    »O holde Zeit! In sanften Gleisen
        Floß da mein Leben mildgebahnt: –
    Es haben dieses Jünglings Weisen
        Der eignen Jugend mich gemahnt.

    »Fluch denen, Fluch, die, haßbeflissen,
        Mich aus dem Paradies gebannt,
    Bis ich in Waldesfinsternissen
        Des Wolfes blut'ge Weise fand.

    »Fluch euch! – Doch Du nicht bange länger,
        Geh Deine Bahnen, rein und licht:
    Es steht in Gottes Schutz der Sänger, –
        Den frommen Sänger tödt' ich nicht.«

Und sieh, des Jünglings letzte Ketten fallen,
    Es beut der Ritter ihm die Laute dar.
Da steht er still: »Ihr in des Himmels Hallen,
    Ja, ihr beschirmt den Sänger wunderbar.
Arion lockte den Delphin mit Schallen,
    Und Orpheus zähmte grimmer Löwen Schar,
Er brach die Felsen mit der Macht des Klanges: –
Nun thut auch hier ein Wunder des Gesanges!« –

»Du, der mir geschenkt das Leben, ob ich nimmer es erbeten:
Heil'gen Rath will ich Dir geben, denn die Dichter sind Propheten:
Heil'gen Rath will ich Dir geben, folg' ihm und sei ewig froh: –
Schone Deiner Feinde Leben, handle groß, Cardenio!

»Jene großen Hohenstaufen, deren Recht Dein Schwert verficht,
Schlossen mit Banditenhaufen blutige Gemeinschaft nicht.
Nach des Kaisers Friedrich Leben strebt' der Freund, der ihn verrieth,
Doch der Kaiser hat vergeben: – ewig preist ihn drum das Lied.

»Das war stets der Ghibellinen größter Stolz und größtes Gut:
Hohes Unglück war mit ihnen, aber höh'rer Edelmuth!
Wie? Von hier, mit Mörderhänden, wann das Schreckliche geschah,
Willst den Pilgerschritt Du wenden nach dem heil'gen Golgatha?

»Wo ein Gott in Todesschmerzen seinen Feinden hat verziehn,
Dahin, Racheschuld im Herzen, unverzeihend, willst Du fliehn?
Folgest Du der dunkeln Rache, stillest Du ein kurz Begehren,
Aber eine ewig-wache Reue wird Dein Leben zehren.

»Schonst Du aber: – tausendfache Freude segnet deine Pfade:
Denn vergänglich ist die Rache, aber ewig ist die Gnade!
An des Himmels goldnen Thüren Gnade steht als Hüterin,
Lächelnd wird sie einst Dich führen vor den Thron des Richters hin.

»›Vater, laß ihn selig werden,‹ tönt ihr Wort wie Glockenerz,
›Denn wir kannten uns auf Erden, und ich bürge für sein Herz!‹
Heil'gen Rath will ich Dir geben: – folg' ihm und sei ewig froh,
Schone Deiner Feinde Leben, handle groß, Cardenio!«

Er schweigt, sein Auge sieht verzückt nach oben,
    Und eine heil'ge Stille deckt den Ort.
Es geht Cardenio's Herz in edlem Toben,
    Aus seinem Antlitz flieht der düstre Mord,
Des Grimmes finstre Wolken sind zerstoben,
    Es ringt umsonst die Lippe nach dem Wort,
Sein Auge glänzt, gerührt von süßem Harme,
Und weinend fällt er in des Sängers Arme.

»Du hast gesiegt, o Mann der süßen Töne!
    Sie sollen leben, leben allesammt!
Ob lang' das Herz der Milde sich entwöhne, –
    Es bleibt der Grund, daraus sie ewig stammt.
Zwar schwor ich Tod für alle Guelphensöhne,
    So lange roth wie Blut mein Helmbusch flammt –« –
Der Sänger sprach: »Du brichst den Schwur mit nichten: –
Der Himmel will auch diesen Zweifel schlichten.«

So sprechend löst er ihm den Helm vom Haupt: –
    Und sieh, da war ein Ast von weißen Rosen,
Im raschen Anlauf von dem Busch geraubt,
    Geschlungen um den Stahl in sanftem Kosen,
Mit schimmernd weißen Blüthen dicht belaubt.
    »Du weißt: der Sänger liest in Götterlosen:
Und siehe, dir verkündet dieses Zeichen:
Die blut'ge Rache soll der Gnade weichen.«

Cardenio löset der Gefangnen Ketten:
    »Ja, ihr sollt leben und den Jüngling preisen!
Wenn nicht der Sänger, konnte nichts euch retten:
    Es lebt des Himmels Kraft in süßen Weisen! –
Ich ziehe rein zu den gelobten Stätten,
    Leg' unbefleckt auf's heil'ge Grab dies Eisen,
Und fühl' ich Gottes Huld sich auf mich senken, –
Dann wird mein Herz mit Dank des Sängers denken.«

Er sprach's und winkte noch und schritt von dannen: –
    Bald war mit seinen Scharen er verschwunden.
Schwer konnten die Befreiten sich ermannen:
    Denn wie Betäubung hielt es sie gebunden.
Indeß die Andern noch mit Staunen sannen
    Und sich der Furcht, der Scham noch nicht entwunden,
Mit seiner Tochter Hand in Hand Sacchiere
Trat vor Girolamo, im Blick die Zähre.

»Dir, Jüngling, danken alle wir das Leben,
    Und Deiner heil'gen Kunst, die wir verhöhnt.
Du Edler, kann Dein reines Herz vergeben?
    Gewiß, wenn tiefste Reue dich versöhnt!
Fortan wird andachtvoll mein Herz erbeben,
    So oft der heilige Gesang ertönt.
Ich weiß, er steht zunächst an Gottes Thron!
Nun aber fordre deinen Dank, mein Sohn.«

Der Sänger aber sprach: »Gebt mir die Rose,
    Die Eure Tochter an dem Herzen trägt.
Nicht dieser Stunde stürmisches Getose,
    Da nur der Drang des Dankes Euch bewegt,
Nicht sie vollendet würdig unsre Lose!
    Den heil'gen Wunsch, den meine Seele hegt, –
Ich will ihn hastig nicht vom Baume streifen,
Still, friedlich soll er zur Erfüllung reifen.

Ich zählte selbst mit zu den Räuberscharen,
    Raubt' Eure Dankbarkeit so wild ich aus.
Die Rose will ich treu am Herzen wahren:
    Bald such' ich Euch und Euer gastlich Haus.
Und soll so hohes Glück mir widerfahren,
    So löse dort ihr Pfand Giuletta aus.
Doch nun mag jeder seines Pfades gehn,
Und in Amalfi denn – auf Wiedersehn!«

Er sprach's und nahm die Ros' aus ihrer Hand,
    Und rasch war er im Waldgebüsch verschwunden.
In seliger Verwirrung Giulia stand:
    So heil'ge Rührung hat sie nie empfunden.
Sie sah ihm nach, wo er dem Blick entschwand,
    Und süße Thränen ihr im Auge stunden.
Die Arme nach ihm breitend rief sie froh:
»Auf Wiedersehn, du mein Girolamo!«


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