Felix (und Therese) Dahn
Gedichte
Felix (und Therese) Dahn

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An Carmen Sylva.

(1888.)


I.
        Carmen Sylva, Carmen Sylva,
Warum eiltest Du durch Breslau,
Ohne – durch ein Wort – zu gönnen,
Daß ich Dich begrüßen dürfe?
Ach, nicht viel hätt' ich gesprochen,
Lange nicht Dich aufgehalten! –
Ungerufen, unwillkommen
Aber durft' ich nicht mich nahen:
Nicht der Kön'gin, nicht dem Weibe,
Nicht der Priesterin des Schönen.
Carmen Sylva, o wie traurig
Widerspiegelt das mein Leben!
Immer Sehnen nach der Muse:
Einmal nur ihr flüchtig Nahen –
Einmal huldreich angelächelt: –
Aber dann schwebt, unerreichbar,
Hoch ob meinem Haupt vorüber
Still und stolz im Lorberkranze,
Abgewandt von mir die Göttin,
Der ich treu doch bis zum Tode! –

II.
(Mit einem Lied, aus Coblenz gesandt.)
        Fern von des Rheinstroms rauschenden Wogen,
    Weit aus der deutschen, der heimischen Au'
Kommt hier ein Vögelein singend geflogen,
    In die Kemnate der Königsfrau.

Kennst Du das Vögelein? Kannst Du es nennen?
    Ob das Geschick Dir die Krone beschied, –
Nicht von dem deutschen Walde zu trennen
    Bist Du und von dem deutschen Lied.

Siehe, hier schwebet ein Lied Dir zu Füßen
    Fern aus der heimischen, rheinischen Au',
Huldigend will es die Königin grüßen,
    Aber vertrauter die deutsche Frau!


III.
1.
        Schöne Kön'gin, Du vom Aufgang,
Aehnlich Du der Morgenröthe,
Wärst Du früher als Aurora,
Deine rosigholde Schwester,
Ueber Breslau hingezogen, –
Sicher hätt' ich dieses Auge,
Dieses schönheitdurst'ge Auge,
Huld'gend zu Dir aufgeschlagen.
Doch, indeß Du heimwärts schwebtest,
Saß ich noch am Strand der Nordsee,
Träumend bei dem Flug der Möwen,
Und es rauschten mir die Wellen
Manch' geheimnißschwere Kunde
Von dem Weib in weißen Haren,
Doch mit wunderjungen Augen,
Das sie jüngst auf Sylt gesehn:
Von der Märchen-Königin! – –

2.
Ja, nach hundert Jahren wird noch
Dort die Sage flüsternd umgehn;
Und erzählen wird die Greisin,
Wie die Mutter ihr erzählte,
Daß dereinst vom fernen Ostland
Eine wunderschöne Kön'gin,
Leuchtend wie die Morgenröthe,
Kam gezogen durch die Wellen:
Einsam kam sie – trotz Gefolges! –

Und ein seltsam Zaubertreiben
Hob sie an auf jenem Eiland:
In den Sand grub sie sich Gruben,
In den gelben Sand der Düne,
Und mit lichtem, weißem Finger
Ritzte Zeichen in den Sand sie.
Und oft reckte die Gestalt sie
Hoch empor auf schlanken Hüften,
In die Luft hob sie die Arme,
Sog in sich, so voll sie konnte,
Durstig, tief, des Meeres Athem,
Als ob aus der Brust sie spülen
Wollte mit dem heil'gen Meerhauch
Was da häßlich, was da unrein
Die Erinnerung ihr trübte. –


3.
Und alsbald, wie neu gekräftet,
Winkte sie mit beiden Händen
Ueberall hin ob dem Eiland,
Leise Worte dazu raunend,
Worte einer fremden, weichen,
Hier noch nie vernommnen Sprache:
Sieh, da kamen alle Kinder,
Kamen Knaben, kamen Mädchen,
Blonde, rothe, braune Köpflein,
Kamen an von allen Enden:
Und sie drangen und sie drängten
Wimmelnd an die Knie der Kön'gin,
Wie die saß im gelben Sande,
Ueber ihr der blaue Himmel,
Unten tief der Meerfluth Branden;
Und noch einmal schwang die Rechte
Sie beschwörend über all die
Blonden, rothen, braunen Köpflein
Und begann nun zu erzählen! –

4.
Ja, begann nun zu erzählen:
Märchen, Märchen über Märchen,
Selbsterfundne wie erlauschte
In dem fernen Land im Osten.
Sie erzählte, wann die Sonne
Ueber ihr stand voll im Mittag,
Bis die blauen Schatten fielen
Und der Gluthball sank ins Wasser
Und die Möwe, heimwärts hastend,
Im Geklippe fern verschwebte
Und die stillen Sterne kamen
Und der Mond, der Geisterkönig,
Geisterbleich sah auf die Düne.
Und die Kinder lauschten! Lauschten
Offnen Auges, offnen Mundes,
Nimmer müde, auf zu horchen,
Nimmer müde, auf zu schauen
Zu der wunderschönen Kön'gin,
Die da saß mit weißen Haren,
Aber wunderjungen Augen,
Manchmal hob den Zeigefinger
Ihrer weißen rechten Hand. –

5.
Ja, sie bannte Knab' und Mädchen,
Wie zu Hameln einst sie bannte
Jener Rattenfänger; aber
Nicht, sie in den Tod zu locken:
Nein: – sie lockte und sie führte
Die erstaunten Fischerkinder
In ein nie geahntes, schönes
Blaues Märchenreich der Wunder:
In das Wonneland der Dichtung,
Dessen nie mehr mag vergessen.
Wer dort einmal nur gegastet! –
Und so wirkt seit jenen Tagen
Von Geschlechte zu Geschlechte
Unaustilgbar fort der Zauber,
Unauslöschlich fort der Segen,
Den hier ausgestrahlt dereinst die
Wunderschöne Märchenfürstin,
Sie, die Kön'gin Morgenröthe,
Jung von Auge, weiß von Har.

6.
Doch am Erhabensten hat aus Allen
    Einer erkannt die Erhabene:
        Odhin von Asgardh!
Weil sie weihte ein Weihthum,
    Gütig gönnte ein Grab
    Den traurigen Todten,
Welche da wirft die wilde Woge,
    Ferne den Freunden,
    Fern von dem Frieden
Der holden Heimath,
    An des steilen Gestades
    Oed'-unwirthliches Ufer. –
Als Odhin oben in Asgardh
Brachten diese Botschaft
Raunend seine raschen Raben,
Da strich der Stolze
Sich, selig sinnend,.
Ueber den wirr wogenden, weißen
        Breiten Bart:
»Heil Dir, Du Herrliche!«
    Rief er in Rührung,
»Wohl Dir – trotz all Deinem Weh! –
    Du weihevoll Weib!
Du hilfst mir halten
Die Welt wider das Wüthen
    Ruchloser Riesen.
Wahr nun werden
Uralte Ahnungen,
Daß dereinst mir
Eine herrliche Helferin,
Ein wonnig Weib,
Eine Königin, komme.
Eher nicht endet das All,
Bis Naglfar naht, das nächtige
Schiff, das scheusälige,
Das ganz gebaut
Und genietet aus Nägeln
    Trauriger Todter,
Welche geworfen die wilde Woge
    An das öde Ufer,
Und welche herzlose Härte
Ungepflegt, ungesäubert, unbestattet
Liegen ließ im Leide, die Leichen.
Heil mir, eine holde Helferin,
    Eine Königin, kam!
Sie wehrte, das wonnige Weib,
Daß Naglfar nahe.
    Heil Dir, Du Herrliche:
        Schild an Schild
Stehest Du Stolze
        Odhin von Asgardh!
Zum Danke des Dienstes
Spend' ich sprudelnd
Aus Quasir, dem quillenden Quell,
Tiefsten Trunk
    Dir der Dichtung!«

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