Felix (und Therese) Dahn
Gedichte
Felix (und Therese) Dahn

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Osterglocken.

(Königsberg 1882.)

              Selten läuten hier die Glocken
    In der Protestantenstadt:
So ist fast mein Herz erschrocken,
    Als es heut' vernommen hat
        Feierlich, mit tiefem Hall,
        Osterglocken, Euern Schall!

Osterglocken, Faust'sche Klänge!
    Wie Ihr schlaget an mein Ohr,
Mahnt Ihr mich der Weihgesänge
    Von Alt-Münchens Oster-Chor,
        Wann Euch trug der Märzenwind
        Zu dem ahnungsfrommen Kind.

Ueber Wipfel in dem Garten
    Hört' ich leis' die Klänge nah'n,
Und mein gläubiges Erwarten
    Sah die Himmel aufgethan:
        Im Gewölk von Gottes Thron
        Nieder stieg des Menschen Sohn.

Ach, die Ulmenbäume ragen
    Wohl noch dort im Märzenwind,
Und Sanct Ludwig's Glocken schlagen
    Noch wie damals voll und lind:
        Doch vernähm' ich auch den Schall, – –
        Fänd' er andern Widerhall.

Andrer Ostern denk' ich heute:
    An der blauen Adria
Ueber Pinien ihr Geläute
    Sandte die Basilika,
        Leise Klänge, todesmatt,
        Aus der Gothen Königsstadt.

Aus Ravenna kam's gezogen
    Feierlich, wie Grabgesang,
Und des Meeres leise Wogen
    Stimmten ein wie Klageklang:
        Dein gedacht' ich, Held von Bern,
        Schöner, lang' erloschner Stern.

Arme Menschheit! Was verloren,
    Bringt kein Ostern Dir zurück.
Nie wird wieder Dir geboren
    Todtes Leben, todtes Glück:
        Schönheit, Tugend, Weisheit, Kraft,
        Die der Tod dahingerafft.

Arme Menschheit! All Dein Sehnen:
    Leben, Wärme, Freude, Licht –
In des Leichenzuges Thränen
    Läßt Du von der Hoffnung nicht:
        Ach, Dein Lebensdrang so groß –:
        Und Vernichtung doch dein Los!

Osterglocken, schönste Klänge
    Des Unsterblichkeitgedichts!
Schwingt Euch, ihr Triumphgesänge,
    Durch das Meer des Frühlingslichts,
        Kündet – wohl ist es gethan! –
        Laut der Menschheit Trost und – Wahn!

Denn sie kann ihn nicht entbehren;
    Selbst erquickt durch diesen Traum
Mag ertragen sie die schweren
    Lasten ihres Loses kaum:
        Löscht im finstern Schachte nicht
        Ihr das letzte Grubenlicht!

Nahet doch der armen Erden
    Einst der letzte Ostertag,
Der noch mag gefeiert werden
    Mit der Glocken hellem Schlag:
        Denn die nächste Wiederkehr, – –:
        Menschen findet sie nicht mehr.

Ausgeglüht hat dann die Sonne,
    Die geglänzt Aeonen lang;
Ausgeglüht in Weh und Wonne
    Auch der Menschheit Lebensdrang,
        Und in Nacht, in Eis, in Schmerz
        Brach das letzte Menschenherz.

Auch dies letzte wird noch wähnen,
    Daß es wieder weiter schlägt,
Daß ein andrer Stern sein Sehnen
    Fluthend durch die Himmel trägt:
        Aber schweigend durch das All
        Kreist der ausgestorbne Ball.

Niemand ahnt dann mehr, welch' Leben
    Einst auf dieser Scholle schwoll:
Unser Jauchzen, Weinen, Streben
    Spurlos, zeugnißlos verscholl,
        Und in ew'ges Schweigen lang'
        Schwand der Osterglocken Klang.


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