Felix (und Therese) Dahn
Gedichte
Felix (und Therese) Dahn

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Friede und Kampf.

(Mendelhof, 1890.)

                  Zuviel, ach allzuviel ward mir des Haders,
Des häßlichen, im wüsten Lärm der Stadt!

Da streitet Alles, unschön, wild, verworren!
Kampf, Zwietracht, Zank, wohin das Auge blickt:
Unfriedlich trennten Kaiser sich und Kanzler,
Im Osten hebt die Geißel der Kosak,
Im Westen harrt, das Messer in dem Gürtel,
Der Turko auf den Kriegschrei. – Immer noch
Schilt Doktor Luther Rom, Rom Doktor Luther,
Der Bauer und der Städter streiten sich
Um's liebe Korn, die heil'ge Frucht der Erde:
Ja, um die schwarze Kohle tief im Abgrund
Wird bitter Krieg geführt. – Und der Gelehrte
Zankt laut mit dem Gelehrten: leider nicht um
Die Wahrheit: – um den Ruhm und Lohn der Wahrheit.
Da will ein Haufe treiben aus der Schule
Homer und Sophokles, ein andrer gar
Die Schönheit werfen aus der Kunst, die nur
Des Tages ekeln Abklatsch spiegeln soll.
Und andre dreschen neu das alte Stroh,
Das oft gedroschne, von der Freiheitphrase,
Ob sich ein bißchen wen'ger oder mehr
Läßt drücken aus den müden Paragraphen.

Doch in den Zank dröhnt der Verblendeten
Schon unheilvoll von Straße her und Werkstatt
Das Drohn der Riesen, welche, sieggewiß,
Den Tag vorahnen, da sie aus den Tiefen
Empor mit rauchgeschwärzten Häuptern steigen
Und unsre ganze Lichtwelt niederreißen,
– Dies von so mancher Schuld besteckte Walhall! –
Mit uns sich selbst in ungeheurem Sturz
Begrabend unter der Zertrümmerung
Von allem, was je Menschen heilig war:
Denn ach! aus dieser Götterdämmerung
Steigt niemals eine neue Welt: – das Chaos
Und die Vernichtung sind des Kampfes Ausgang!

Hinweg aus all dem Streit! Hinaus! Empor
Zu meinen alten Freunden: zu den Bergen! –
Wie herrlich und wie friedlich ragen sie!
Vorab du, wunderholde Mendola,
Die zwischen Deutschland und Italia du
Wie sinnend stehst, das Haupt hinab geneigt
Zum schön'ren Süden! O wie gut ist's hier!
Drei Schritte von dem wirklichen Gelaß –
Und schon umfängt mit Rauschen dich der Bergwald.
Der Bergwald! Wenig nur von Menschenhand
Gestreift: im Urwald magst du dich hier wähnen.
Wie lieblich ist's, auf weichem Mos gelagert,
Die Blicke schweifen lassen unverschränkt
Vom Großvened'ger und Großglockner dort
Im Ost entlang die ganze stolze Kette
Im Kreise bis im West zum Cevedale!
Beschwichtend wirkt auf den verstörten Geist
Der Zauber dieser festgezognen Linien
In friedevoll erhabner Majestät!

Und diese Stille rings in Berg und Thal!
Der blaue Aether flimmert um dich her,
Darin Libellen unbeweglich schweben: –
Ein sanftes Säuseln durch die Lärchenwipfel: –
Sonst alles, alles still – vollkommen – friedlich! –

Hier ist es ja, das Eden, das ich suchte.
Ja, auf den Bergen wohnt und herrscht der Friede!
»Vollkommen ist die Welt allüberall,
Wohin nicht dringt mit seiner Qual der Mensch!«
Hierher dringt nicht der Haß, der Kampf, der Schmerz!

Horch'! Ich erschrecke! Horch'! Welch schriller Schrei!
Dort aus dem Blau, das erst so friedlich glänzte, –
Mit lautem Gierschrei stößt der wilde Weih:
Er schlägt den Hänfling auf der Lärche Wipfel:
Schrill klagt der Weheruf des Sterbenden. –

O weh! Weh mir! Es ist ja all nicht wahr!
Der eine Schrei zerstört mir Traum und Wahn,
's ist eitel Täuschung, was der Dichter sang:
Kein Friede – Kampf auf Tod und Leben herrscht
Auch hier in höchster Bergeseinsamkeit,
Fern, fern den Menschen: Haß und Kampf und Schmerz
Ach, überall im Umkreis der Natur.
Ich wußt' es ja! Wie konnt' ich's nur vergessen?
Der Kampfschrei und der Sterbeschrei: – sie haben
Mir Ohr und Auge furchtbar aufgethan.

Zu meinen Häupten, in dem Windrosbusch
Wie mordbegierig stürzt die Spinne sich
Im list'gen Netz auf die gefangne Fliege!
Zu meinen Füßen reißt der Scarabäus
Den nackten Wurm in Fetzen! Die Libelle,
Die harmlos sich im Licht zu baden schien,
Sie lauerte – nun schießt sie auf die Mücke! –
Die Schwalbe selbst, der Göttin heil'ger Vogel,
Nicht, sich des Flügelschwungs zu freuen, schwirrt sie:
Sie jagt, sie mordet! – Und in Eifersucht
Ums Weibchen – wie auf Paris Menelaos! –
Stürzt Buchfink sich auf Buchfink. Einer stirbt.
Ja, dort, im tiefsten Tannicht – auf dem Roën –
Fand man zwei starke Hirsche – in Gerippen!
Sie hatten um die schlanke Hinde sich,
Die staunend harrte, wem der Sieg sie schenke,
So mörderisch bekämpft in blinder Wuth,
Daß die Geweihe unentwirrbar sich
Verschlangen ineinander, bis sie elend
Dem Hunger und dem gier'gen Fuchs erlagen, –
Indes die Hinde zu dem dritten lief! – –

Jedoch vielleicht – sei's um die Thiere! – waltet
Der Friede bei den stummen, sanften Pflanzen,
Die's nicht nach Blut begehrt und heißer Minne!

O weh! Da kracht sie neben mir zu Thal,
Die starke Eiche, der das Lebensmark
Verrätherisch der Epheu und die Flechte
Im Vorwand der Umarmung ausgesogen:
Ein Judaskuß wie jener auf dem Oelberg!
Dort hat die zarten, schwachen Anemonen,
Die in der Esche Schatten zag erblüht,
Das hohe Farnkraut mitleidlos getödtet,
Wie an dem Quell der Schierling dort die Minze
Und von der Berberitze her der Rost
Des heiligen Getreides Halm zerstört! –

Streit, Krieg und Sieg des Stärkeren auch hier,
Die Pflanzen leben: darum kämpfen sie! –

Jedoch der todte Stein, der Fels der Berge?
Er greift nicht an und hat nicht abzuwehren!
Daher wohl stammt der feierliche Friede,
Der zu uns spricht aus diesen Formen? – Weh!
Da oben stürzt mit donnerndem Gepolter
Der rothe Porphyrblock herab vom Joch,
Zerschlagend, was er trifft auf seinem Weg,
Zerschmetternd Lärche, Tanne, Zirbel, Föhre,
Die Alpenrose wie das Edelweiß,
Den bunten Falter wie die flinke Dechse,
Den dunkeln Schiefer wie den weißen Kalk:
Erbarmunglos zerstörend – – wie zerstört!
Denn ihm auch hat – dem Unverwundlichen,
So schien er sich und uns! – der Thau und Regen,
Den wie des Himmels Kuß er lechzend aufsog,
Allmählich, ganz allmählich in dem Lauf
Von viel Jahrtausenden die Kraft zermürbt,
Wie Er dereinst in Gluth und Dampf und Lohe,
Ein Feuerriese, aufgestiegen war,
Von Grund auf stürzende was ihn hemmen wollte.

Weh! Kampf und Streit im tiefsten Schos der Erde,
Wie auf den Bergeshöhen – sternennah.

Ja, sternennah! – Einstweilen ist die Dämmrung,
Die duftig ihren Schleier um mich her
So sanft, so friedevoll gezogen hatte,
Dem Abenddunkel ist sie nun gewichen:
Und siehe da, schon geht ob meinem Haupt,
Das ich in wildem Weh vom Mospfühl riß,
Schon geht ob meinem Haupte wunderbar
Der ew'ge Wandelschritt der Sterne hin.
Und sieh, ein Friede, höher, feierlicher,
Gottheiliger, als ihn die Erde kennt,
Umfluthet mich geheimnisvoll von oben,
So kühl, ja kalt, doch auch so allvollkommen,
So unvergänglich rein, so ewig gleich!
Ja, was dem Menschengeist die Erde weigert, –
Das giebt der Himmel ihm, das Sternen-All,
Das ohne Kampf in immer gleichem Rhythmus,
Aeonenlang in ewigem Gesang
Die Harmonie der Sphären offenbart.
Da oben in den Sternen ist der Friede . . .

Weh mir! Da stürzt, hoch aus dem blauen Frieden,
Raketengleich ein Stern herab: – er platzt!
Rings sprühen rothe Funken durch die Nacht,
Die Trümmer und die Fetzen einer Welt,
Wie dort den Wurm in Fetzen riß der Käfer.
Der Stern, o nein, der Splitter eines Sterns –
Erlosch und starb. – Und so sind Millionen
Von Sonnen und von Sternen schon erloschen,
Zersprengt, vom größern Sterne mitleidlos
Gerissen in die feurige Umarmung.
Es tobt am Himmel auch ein ew'ger Kampf,
Und Krieg geführt wird von den stillen Sternen.
Der Starke siegt, der Schwache muß erliegen,
Wie dort der Weih den armen Hänfling schlug.

Wohl ist es ein Gesetz, ein furchtbar großes,
Das die Natur und das den Geist beherrscht;
Doch dies Gesetz ist das des Friedens nicht!
Der Kampf, der Kampf ist das Gesetz der Welt!
Das Höchste bleibt das Heldenthum der Kraft!
Entfalten will sich alles, was da kann:
Was möglich ist, das ringt nach Wirklichkeit;
Und ob wir Menschen gut, ob bös es nennen, –
Das Stärkere wird wirklich, weil's das Stärkre,
Das Heldenthum wird zur Nothwendigkeit,
Und die Nothwendigkeit zum Heldenthum.

Wohlan denn! Kämpf' auch Du bis an das Ende.
Du bist ein Mann, so sei ein Held und lerne:
Das, was Du suchtest, ist dem Weltall fremd;
Der Friede ist des Menschen Traum und Wahn,
Das Wesen und Gesetz der Welt ist Kampf:
Ob feig, ob tapfer, kämpfen mußt Du doch!
So kämpfe – sonder Klage – bis Du stirbst.
Und dann: stirb stumm und stolz auf Deinem Schild!


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