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siehe Bildunterschrift

Estragon, Artemísia Dracúnculus L.

Wie weit steht doch die Pflanzenwelt des Hochsommers an Anmut, Duft und Frische hinter der Frühlingsflora zurück! Einerseits löscht die intensive Sonnenglut die zarten, hellen Farben des Laubes und der Blüten aus, zwingt Stengel und Blätter, sich zum Schutze gegen übermäßige, lebengefährdende Wasserabgabe in Haar- und Filzbekleidung zu hüllen, anderseits zwingt die wachsende Masse der Pflanzen, die einander Raum, Licht und Luft streitig machen und den zur Bestäubung nötigen Insektenbesuch anlocken müssen, jede einzelne, sich nach Kräften in den Vordergrund zu drängen. Nun ist die Zeit der hochaufsprießenden Stauden gekommen, unter denen die Beifußarten sich besonders hervorthun. Auf ihren trockenen Standorten sind sie dem Verschmachten noch weit sicherer ausgesetzt als andere Pflanzen, die wenigstens auf der Wiese oder im Walde Feuchtigkeit und Schatten genießen. Durch Einschränkung des Laubes auf schmale und tiefzerteilte Blattspreiten, durch graue oder weiße Behaarung der Blattunterseiten, welche die Spaltöffnungen tragen, suchen sie der Gefahr zu begegnen. – Eine Ausnahme in dieser Hinsicht bildet der vollständig kahle, aus der Tartarei und Sibirien stammende, bei uns bisweilen angebaute Estragon oder Dragon, der in seiner Heimat solcher Schutzmittel nicht bedürfen wird. Die blühenden Spitzen der krautigen, aufrechten Stengel haben einen starken, aber angenehmen würzigen Duft und einen bitterlichen, etwas beißenden Geschmack. Die grünen, lineal-lanzettlichen, ungeteilten Blättchen dienen als Würze zu Suppen, Salaten, Saucen und zur Herstellung von Kräuteressig. Die Blütenköpfchen sind fast kugelig, nickend und weißrötlich und bestehen aus weiblichen Rand- und zwitterigen Scheibenblüten. Der trockene Blütenstaub wird meist durch den Wind auf fremde Narben übertragen, obwohl sich hin und wieder auch ein durch den starken Duft angelockter Besucher, besonders aus den Fliegengattungen, einstellt. – Noch spärlicher aber ist der Insektenbesuch beim gemeinen Beifuß, dessen Blütenköpfchen höchst unscheinbar sind und nur 12 bis höchstens 20 Blütchen umfassen. Nicht nur seine Blätter, auch die Hüllen der Körbchen sind filzig behaart. Der ausdauernde Wurzelstock wird arzneilich verwendet. Früher gehörte die Pflanze zu den neun heiligen Kräutern. In einem alten angelsächsischen Neunkräutersegen wird er mucgwyrt, Mückenkraut, genannt und mit folgenden mystischen Worten angeredet:

Erinnere du dich, Beifuß, was du verkündetest,
Was du anordnetest in feierlicher Kundgebung.
Und heißest du, das älteste der Kräuter;
Du hast Macht gegen 3 und gegen 30,
Du hast Macht gegen Gift und gegen Ansteckung,
Du hast Macht gegen das Übel, das über das Land dahinfährt.

Leonhart Luchs kennt den Beifuß unter dem Namen St. Johanns Gürtel, den er aus einem Aberglauben der Deutschen überkommen habe; »dann sich ettlich damit an S. Johans des Teuffers tag gegertet haben, vnnd danach in das S. Johans fewr geworffen, mit zuthun ettlicher sprüch und reymen. Es würdt auch genent Sonnenwend gürtel, auß gleicher ursach, das man zu gedachter zeit, da die Sonne sich vorzeiten gewendt, sich damit gegertet hat.« Wer diese Kräuter, Beifuß, Rainfarn und Kamille, bei sich habe, dem könne kein giftig Tier, noch ein anderes schädliches Ding Nachteil und Schaden bringen. »So einer, der über land reyßt, Beifuß bey ihm tregt, so vertreibt es die müde.« Dieser Glaube, so uralt er ist, wird auch heutzutage noch gehegt.

Vereinblütler, Compositen. Kl. XIX. ausdauernd. August, September. H. des Beifuß 1,00 – 1,50 m, des Estragon 0,60 bis 1,25 m.

 


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