Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Dreizehnter Teil.

Briefwechsel zwischen dem Prinzen Heinrich von Herkausen-Oldenzaal und dem Grafen Maximilian von Kaminietz.

Zeit: etwa anderthalb Jahre nach Rudolfs Abreise aus Paris und dem Tode Schuris

Oldenzaal, am 25. August 1840.

Lieber Max! – Eben komme ich von Gerolstein, wo ich ein Vierteljahr Gast beim Großherzog und seiner Gesippschaft gewesen bin. Ich rechnete darauf, von Dir ein paar Worte hier zu finden, die mir Deine baldige Ankunft in Oldenzaal melden würden. Stelle Dir meine Ueberraschung, meinen Verdruß vor, als ich erfahre, daß Du noch wochenlang im Ungarlande festgehalten sein wirst . . .

Ich habe Dir seit vier Monaten nicht schreiben können, wußte ich doch bei Deiner abenteuerlichen Weise, zu reisen, niemals recht, wohin ich meine Briefe richten sollte. Dagegen hattest Du mir feierlich versprochen, als wir uns in Wien trennten, am 1. August wieder hier in Oldenzaal zu sein.

Ich muß also dem Vergnügen, Dich bei mir zu sehen, entsagen; ich hätte gar zu gern mit Dir gesprochen, habe ich Dir doch gewissermaßen mein Herz auszuschütten! Dir, meinem ältesten und liebsten Freunde! Denn wenn wir auch beide noch immer junge Leutchen sind, so datiert doch unsre Freundschaft schon seit »Anno Toback«, hätte ich fast hinzugesetzt . . . aber seit unserer frühesten Kindheit, entspricht den Umständen genauer.

Was soll ich Dir sagen? Seit einem Vierteljahre etwa ist mit mir eine förmliche Wandlung vorgegangen, denn ich stehe vor einem jener Momente im menschlichen Leben, die über ein ganzes Dasein entscheiden . . .

Urteile also hiernach, wie sehr mir Deine Ratschläge fehlen, wie sehr ich es vermisse, Dich an meiner Seite zu haben!

Freilich, ich weiß ja, daß Du mir nicht mehr so lange fehlen wirst, wie Du mir eben gefehlt hast; und was Dich auch im Ungarlande zurückhalten mag, kommen wirst Du ja, Max! Und Du mußt kommen, ich beschwöre Dich, Freund! Brauche ich doch Trost aus Freundesmund, und kann ich doch nicht zu Dir kommen! Nein, nein! Das ginge unter keinen Umständen! Also, Freund, komm, komm schnell!

 
Am Nachmittag.

Mich hat mein Vater aus Gerolstein abgerufen, weil seine Gesundheit, die stets zu wünschen läßt, seit kurzem viel Ursache zu Klagen gibt, so daß er täglich schwächer und hinfälliger wird . . . Es geht wirklich nicht mehr an, daß ich ihn allein lasse . . . Ach, und doch habe ich Dir soviel, so unendlich viel zu erzählen, Freund! Habe Dir zu erzählen von Lebensabschnitten, wie ich sie ereignisvoller und romantischer noch nie gekannt habe!

Es ist wirklich recht bedauerlich und auch recht wunderlich, daß wir gerade jetzt so weit voneinander sein müssen, während wir doch sonst so aneinander hingen, daß man uns die »Unzertrennlichen« oder wohl gar »die Zwillingsbrüder« zu nennen liebte . . . Und wir waren auch wirklich ein Freundespaar, wie man es sich inniger kaum wohl vorstellen kann . . . Waren wir nicht immer gewissermaßen stolz darauf, den Beweis dafür zu erbringen, daß wir nicht bloß Phantasiefiguren seien wie Schillers Carlos und Posa, sondern den süßen Zauber eines zärtlichen, innigen Freundschaftsbundes zu schätzen, zu genießen verstehen!

 
Abends.

Ach, mein teuerster Freund, warum bist Du nicht an meiner Seite? Warum warest Du nicht an meiner Seite?

Seit einem Vierteljahre strömt mein Herz über von unaussprechlich traurigen und doch auch wieder so unaussprechlich trauten und süßen Empfindungen!

Und ich mußte alles allein mit mir verarbeiten! Konnte Dich nicht teilhaftig machen all jener seelischen Wandlungen, die sich in mir vollzogen!

Und doch kennst Du all meine launenhafte Empfindsamkeit, hast oft genug die Tränen in meinem Auge gesehen, wenn mir irgend eine liebe Tat, ein Zeichen von menschenfreundlicher Gesinnung zu Ohren kam . . . oder wenn wir zusammen auf irgend einem Hügel unsers lieben Heimatlandes saßen und dem herrlichen Sonnenuntergange zuschauten oder im stillen Zauber einer milden, klaren Sternennacht schwelgten!

Besinnst Du Dich noch auf unsern prächtigen Ausflug vergangenes Jahr nach den Ruinen von Oppenfeld, am Ufer des mächtigen Sees, und wie wir an dem schönen Abend zusammen träumerisch am Strande saßen und Luftschlösser bauten?

Seltsamer Abstand zwischen damals und heute! Es war gerade drei Tage vor dem blutigen Zweikampfe, zu dessen Sekundanten ich Dich nicht nehmen mochte, denn unter Deinen Augen blessiert zu werden, wäre mir zu schmerzlich gewesen! Saint-Remy, der junge französische Edelmann, der Gesandschaft am Gerolsteiner Hofe attachiert, fiel, von meinem Sekundanten durchbohrt – und was war der frivole Anlaß zu dem Duell? Ein geringfügiger Zwist beim Spiel! Apropos, weißt Du auch, was aus der sakrischen Sirene geworden ist, die Saint-Remy mit nach Oppenfeld brachte, und die, wenn ich mich recht entsinne, Cecily David hieß?

Lieber Freund! Ich sehe, wie Du mitleidig die Lippen kräuselst, daß ich mich in so losen Erinnerungen bewege, daß ich immer und immer wieder mit der Vergangenheit mich befasse, statt zu jenen Mitteilungen ernster Natur zu gelangen, auf die ich Dich vorbereitet habe . . . aber es wird mir schwer, Freund, und wenn ich mir auch sage, daß ich unrecht daran tue, so zögere ich doch damit, schiebe doch den Augenblick hinaus, wo ich Dir mein Herz ausschütten sollte, denn ich kenne Deine Sittenstrenge und fürchte böse Worte aus Deinem Munde . . . weil ich ohne Ueberlegung – nicht mit klugem Vorbedacht – aber was will das heißen bei einem Alter von 21 Jahren? – sondern ins Gelag hinein, toll und unbesonnen gehandelt habe! weil ich mich blindlings von dem Strome habe hinwegreißen lassen, der mich packte . . . Und erwacht aus dem zauberhaften Traume bin ich erst seit meinem Aufbruch von Gerolstein, nachdem ich ein volles Vierteljahr darin gefangen gewesen, mich sorglos ein Vierteljahr lang darin gewiegt habe . . . Ach! Und mein Erwachen ist traurig, so traurig. –

 
Am zweiten Tage, morgens.

Und doch, lieber Max, – ich nehme all meinen Mut zusammen – will ich nun beichten. Höre mich nachsichtsvoll an! – Wenn ich mich auch nicht getraue, die Augen zu Dir aufzuschlagen, denn ich merke, daß Du zwischen den Zeilen liest, daß Deine Züge ernst und streng werden – Du kalter Stoiker!

Ich hatte auf ein halbes Jahr Urlaub erhalten, wandte Wien den Rücken und verweilte einige Zeit bei meinem Vater. Damals stand es um seine Gesundheit noch gut – er empfahl mir, meiner vortrefflichen Tante, der Prinzessin Juliane, die auch Oberin des Gerolsteiner Stiftes ist, einen Besuch zu machen.

Ich habe Dir wohl schon gesagt, daß meine Urgroßmutter eine Cousine des Urgroßvaters des jetzt regierenden Großherzogs war und daß dieser, Gustav Rudolf mit Namen, mich und meinen Vater zufolge dieses verwandtschaftlichen Verhältnisses immer mit der herzlichsten Freundschaft, als seine »Vettern« behandelt hat . . .

Du weißt wohl ferner, daß der Großherzog während der langen Reise, die er jüngst nach Frankreich unternahm, meinem Vater die Regierung seines Landes übertrug – als Verweser natürlich nur. –

Daß ich von diesen Nebenumständen, lieber Freund, nicht aus Ehrgeiz spreche, sondern nur, um Dir die Ursachen jener großen Vertraulichkeit zu erklären, in der ich während meines Aufenthaltes in Gerolstein mit dem Großherzog und seiner Familie gelebt habe, weißt Du.

Ebenso wirst Du Dich erinnern, daß wir im vorigen Jahre auf einer Rheinreise erzählen hörten, daß unser Fürst in Frankreich die Gräfin Mac Gregor wiedergefunden und sich mit ihr in extremis habe trauen lassen, um die Geburt einer Tochter zu legitimieren, die ihm besagte Gräfin in heimlicher, nachmals wegen gewisser, dabei unterlaufener Formfehler als ungiltig erklärten Verbindung geboren hatte. Diese Quasi-Ehe hatte unser jetzt regierender Großherzog seinerzeit wider den strengen Willen seines in Gott ruhenden, allerhöchsten Vaters geschlossen.

Dieses junge, jetzt in aller Form anerkannte und in all ihre Rechte feierlich eingesetzte Mädchen ist die liebenswürdige Prinzessin Amalie, – ihren früheren Namen hat der Großherzog fallen lassen, weil er ihm und seiner Tochter eine Reihe recht unangenehmer Erinnerungen wachruft – es ist eine höchst interessante Dame. Lord Dudley, der sie im vorigen Jahre in Gerolstein kennen zu lernen die Ehre hatte, entwarf bekanntlich im vorigen Jahre in Wien eine so begeisterte Schilderung von ihr, daß wir ihn alle der Uebertreibung ziehen – aber – wer mir gesagt hätte, Freund! Nein, es ist tatsächlich nicht zu glauben, wie wunderlich doch das Schicksal mit uns Menschen spielt!

 
Am zweiten Tage, mittags.

Ich war wirklich so ergriffen, daß ich mein Schreiben schon wieder unterbrechen mußte, Freund . . . Ich bilde mir ein, daß Du mein Geheimnis schon witterst und daß ich Dir also kaum noch viel zu sagen haben dürfte . . . Immerhin will ich Dir getreu in der Reihenfolge, wie die Ereignisse sich vollzogen haben, weiter berichten . . .

Also: Das Kloster von Sankt-Hermangild, dessen Aebtissin meine Tante ist, befindet sich in unmittelbarer Nähe von Gerolstein, man hat kaum eine halbe Stunde Wegs bis dahin – und der Park der Abtei reicht eigentlich bis dicht an die Vorstadt von Gerolstein. – Dort hatte mir meine Tante ein sehr schmuckes, vom Kloster selbst völlig abgeschiedenes Haus zur Verfügung gestellt.

Am Tage meiner Ankunft ließ sie mir sagen, es sei am andern Morgen großer Empfang und Hoffestlichkeit, bei der der Großherzog seine demnächstige Vermählung mit Frau Marquise von Harville, die mit ihrem Vater, dem Grafen von Orbigny, seit einiger Zeit in seiner Residenz weile, offiziell anzeigen werde.

Von verschiedenen Seiten werde der Fürst deshalb getadelt, da es doch nahe gelegen habe, daß er diesmal eine Verbindung mit einem souveränen Hause hätte nachsuchen müssen – denn seine erste Gemahlin, die verstorbene Großherzogin, hatte dem bayrischen Königshause angehört – andere, und zu ihnen gehörte meine Tante, gratulierten ihm, daß er, statt den Lockungen ehrgeiziger Konvenienzrücksichten zu folgen, eine junge liebenswürdige Dame aus einem der ältesten Adelsgeschlechter Frankreichs gewählt habe, da es sich hier doch um eine wahre Liebesheirat handle . . .

Daß meine Tante für den Großherzog allzeit die innigste Zuneigung gefühlt hat, weißt Du, auch, daß sie seine trefflichen Eigenschaften besser als mancher andere zu schätzen versteht . . .

Als ich mit ihr über die Festlichkeit, der ich am andern Tage beiwohnen sollte, mich unterhielt, sagte sie: »Mein lieber Junge, das merkwürdigste, was dir morgen zu sehen beschieden sein dürfte, wird sicher die Perle von Gerolstein sein.«

»Wen verstehen Sie darunter, liebe Tante?«

»Ei, unsre Prinzessin Amalie!« erklärte sie.

»Das großherzogliche Töchterlein?« fragte ich lachend; »ei, Lord Dudley hat uns ja bereits in Wien eine so enthusiastische Skizze von ihr gegeben, daß ich wirklich gespannt bin!«

»Mein Junge,« erwiderte die Tante, »in meinem Alter exaltiert man sich nicht mehr so leicht für jemand, deshalb wirst du wohl auch an die Unparteilichkeit meines Urteils glauben, Neffe . . . Nun, ich muß dir aber sagen, daß mir in meinem Leben noch kein so bezauberndes Wesen vor Augen gekommen ist, wie unsere Prinzessin Amalie . . . Ich erzählte dir ja gern von ihrer wirklich engelgleichen Schönheit, wenn sie nicht mit einem schier unwiderstehlichen Liebreize ausgestattet wäre, der hoch über ihrer physischen Schönheit steht: das ist ihre Unschuld und Anmut, ihre Bescheidenheit, ohne daß sie sich in ihrer Würde etwas vergäbe . . . Von der ersten Stunde an, daß der Großherzog mich mit ihr bekannt machte, habe ich für dies allerliebste Mädchen die lauterste Zuneigung empfunden . . . Und mir geht es nicht allein so: seit einer Woche ungefähr ist Erzherzogin Sophie bei uns in Gerolstein: die stolzeste, hochmütigste Fürstin, die ich kenne . . .«

»Das stimmt, Tante! Wenigstens möchte ich ihrer Ironie niemals anheimfallen! Und ihrem beißenden Witze entgehen tatsächlich nur sehr wenige . . . In Wien wird die Erzherzogin gefürchtet, ohne Uebertreibung darf man das sagen . . . Und vor ihren Augen hat Prinzessin Amalie Gnade gefunden?«

»Sophie schwärmt für sie! Vorgestern machte sie dem Versorgungshause einen Besuch, das bekanntlich unter ihrem Protektorate steht, und da hat sie zu mir gesagt: ›Nun, meine Liebe, das muß ich sagen, Ihre neue Prinzessin wirkt ja richtig ansteckend durch ihre Seelengüte . . . ein so sanftes, liebenswürdiges, harmloses Wesen wie sie habe ich ja, so alt ich bin, noch nicht gesehen.‹«

»Ei,« sagte ich darauf zu meiner Tante, »da scheint die Prinzessin ja eine richtige Zauberfee zu sein!«

»In meinen Augen ist,« wiederholte die Tante, »eben die schon erwähnte Mischung von Würde mit Sanftmut und Bescheidenheit der eigentliche Reiz, mit dem sie alle Gemüter bestrickt und ihrer physischen Schönheit eine ganz eigentümliche Steigerung verleiht. Ihr liebliches Antlitz gewinnt dadurch tatsächlich einen himmlischen Anstrich.«

»Und daß solche Eigenschaft bei Prinzessinnen nicht gerade häufig vertreten ist, erfahren wir jungen Männer leider recht oft zu unserm lebhaften Bedauern und nicht minder lebhaften Verdrusse.«

»Du darfst nicht vergessen, Neffe, daß diese Eigenschaft bei ihr um so höher anzuschlagen ist, als sie ja erst seit kurzem zu ihrem Range erhoben worden ist. Ganz sicher läßt es auf einen hohen Grad von Gemütsstärke schließen, daß sie sich von aller Hoffart freizuhalten verstanden hat.«

»Hat sie, wenn sie mit Ihnen sprach, liebe Tante, ihrer früheren Schicksale niemals erwähnt?«

»Nein, aber als ich ihr sagte, welche Achtung wir ihr als der Tochter unseres Landesherrn und Familienoberhauptes schuldig seien, und daß da Altersrücksichten nicht mitzusprechen hätten, da hat mich die Unbefangenheit, verschmolzen mit Erkenntlichkeit und Verehrung, ganz unsagbar ergriffen, zeigte mir doch ihre so liebenswürdige wie edle Zurückhaltung, daß sie ihre jetzigen Verhältnisse nicht etwa derart berauschten, daß sie alle Vergangenheit vergäße, daß sie im Gegenteil meinem Alter all die zarte Rücksicht entgegenbrachte, die ich ihrer höheren Stellung bereitwilligst einräumte.«

»Es gehört wirklich,« bemerkte ich zu meiner Tante, »ein feiner Takt dazu, um diese zarten Nuancen zu unterscheiden.«

»Liebes Kind! Je öfter ich die Prinzessin gesehen habe, desto mehr gratulierte ich mir zu dem ersten Eindrucke, den sie auf mich gemacht hatte. Was sie, seitdem sie hier ist, Gutes gestiftet hat, ist unglaublich; – und alles dieses mit einer Ueberzeugung, mit einer Reife des Urteils, die mich bei einer Person ihres Alters staunen machen. Urteile selbst! – auf ihre Bitte hat der Großherzog in Gerolstein eine Anstalt für arme kleine verwaiste Mädchen von fünf bis sechs Jahren, und für jene verwaisten oder verlassenen Mädchen gegründet, die sechzehn Jahre alt sind, dieses verhängnisvolle Alter für die Unglücklichen, die schutzlos sind gegen Verführung oder Not. Edle geistliche Frauen meiner Abtei beaufsichtigen und unterrichten die Zöglinge. So oft ich das Haus besuche, sehe ich, wie diese armen Mädchen die gute Prinzessin anbeten. Jeden Tag bringt sie einige Stunden in der Anstalt zu, die unter ihrem besonderen Schutze steht, und ich wiederhole es Ihnen, liebes Kind! es ist nicht bloß Achtung, Erkenntlichkeit, was die Mädchen und die geistlichen Frauen für die Prinzessin fühlen, sondern weit eher fanatische Schwärmerei.«

»Also ist die Prinzessin tatsächlich ein Engelsgeschöpf!« rief ich.

»Wie du sagst, ja, wie du sagst!« erwiderte meine Tante, »denn du kannst dir nicht vorstellen, mit welch rührender Liebenswürdigkeit sie ihre Schutzbefohlenen behandelt, und mit welch frommer Sorgfalt sie über ihnen wacht. Ich habe Unglück noch nie mit solchem Zartgefühl, mit solcher Schonung behandeln sehen – man möchte sagen, daß die Prinzessin sich von schier unwiderstehlichem Mitgefühl zu dieser Klasse armer, verlassener Wesen hingezogen fühlt. Können Sie es glauben, daß die Tochter eines regierenden Großherzogs die armen Dinger immer nur ›meine lieben Schwestern« anredet?‹

 
Zwei Stunden später.

Ich muß Dir bekennen, lieber Max, daß mir bei diesen Worten meiner Tante Tränen in die Augen treten wollten. Meinst Du nicht auch, daß solches Wesen ein Fürstenkind mehr ziert als alles andere? Du weißt, wie aufrichtig ich bin, und ich versichere Dir, daß ich die Worte meiner Tante Dir buchstäblich genau mitgeteilt habe, und daß ich kein Jota vom Tatsächlichen auch fürderhin abweichen werde.

»Aber, liebe Tante,« bemerkte ich, »wenn die Prinzessin wirklich ein so reizendes Wesen ist, dann wird es mir schwerlich leicht fallen, morgen bei der Vorstellung gleichgiltig zu bleiben. Du kennst ja meine hochgradige Schüchternheit und weißt recht gut, daß mir ein vornehmer Charakter immer mehr imponiert als ein vornehmer Rang, und daß ich der Prinzessin deshalb morgen als recht blöder Simpel gegenüber treten werde, erscheint mir als ausgemacht . . . Nun, komme es so oder anders: ich füge mich im voraus in mein Schicksal!«

»Laß nur gut sein, mein lieber Neffe,« versetzte darauf die Tante, »Prinzessin Amalie wird nachsichtig gegen dich sein. Zudem bist du ja auch für sie gar nicht einmal eine neue Bekanntschaft.«

»Was sind das für Reden, Tante!«

»Na, anders ist's doch nicht, Neffe!«

»Aber wieso?« fragte ich eifrig.

»O, du besinnst dich doch, daß du in deinem sechzehnten Jahre aus Oldenzaal mit deinem Vater nach Rußland und England reistest, und daß ich damals von dir ein Bild malen ließ in dem Kostüm, das du auf dem ersten Maskenballe trugst, den die verwitwete Frau Großherzogin gab.«

»O ja, darauf besinne ich mich allerdings noch, Tante,« sagte ich, »auch auf das Kostüm eines Pagen aus dem sechzehnten Jahrhundert, das ich damals trug.«

»Nun, der wackre Künstler, der das Bild malte, hat dich damals vorzüglich getroffen. Kurz nachdem die Prinzessin mit dem Großherzog in Deutschland angekommen, machten sie beide bei mir Visite, und dein Bild fiel ihr sogleich auf. Sie fragte mich ganz ungeniert, wer denn der hübsche Page aus verwichener Zeit sei. Der Großherzog lächelte und meinte: ›Es stellt einen Vetter von uns dar, der jetzt wohl, nach der Tracht zu schließen, meine Liebe, an die dreihundert Jahre alt sein könnte, der jedoch zu seiner Zeit ein Ritter ohne Furcht und Tadel war und immer das Herz auf dem rechten Flecke gehabt hat . . . Sage es doch selbst: Spricht aus seinem Blicke nicht Mut, und aus seinem Lächeln nicht Herzensgüte?‹«

Erlaube, lieber Max, daß ich mich hier unterbreche: ich möchte aber nicht, daß Du hier ungeduldig und geringschätzig die Achseln zucktest! und ich glaube fast, Du tust es, wenn Du merkst, was für wunderliche Begriffe ich über mich selbst zu entwickeln anfange . . . Aber es fällt mir schwer, anders zu schreiben, glaub mir! und in der Folge meines Berichtes werden Dir noch all die Umstände klar werden, die mich zu solchen Empfindungen bewegen mußten . . . Drum breche ich den Zwischensatz hier wieder ab und fahre fort:

Meine Tante sagte weiter: »Unsre Prinzessin Amalie, getäuscht durch diesen harmlosen Scherz, teilte mir die Ansicht ihres Vaters über den so stolzen und doch wieder so sanften Gesichtsausdruck von dir mit und vertiefte sich eine Zeitlang in das Bild . . . Als ich sie später wieder in Gerolstein traf, hat sie mich mit schelmischem Lächeln gebeten, ihr doch zu sagen, ob über jenen ›Neffen aus der guten alten Zeit‹ wieder etwas zu hören gewesen sei? Da habe ich ihr den kleinen Betrug offen bekannt und ihr gesagt, daß der schmucke Page aus dem 16. Jahrhundert kein anderer sei als mein Neffe, Prinz Heinrich von Herkausen-Oldenzaal, und daß er, vom Kostüm abgesehen, dem Originale täuschend ähnlich sei, in seinem 21. Lebensjahre stehe und Gardekapitän Seiner k. k. Apostolischen Majestät des Kaisers von Oesterreich sei . . . Ich sage dir, Neffe, wie die Prinzessin diese Aufklärung aus meinem Munde hörte, ist sie kirschrot geworden, gleich darauf aber wieder bitter ernst, wie sie es gewöhnlich ist. Aber gesprochen hat sie seitdem von dem Bilde kein einziges Mal mehr. Daraus aber kannst du ersehen, lieber Neffe, daß du ihr gar nicht so wildfremd erscheinen wirst, wie du es dir gedacht hast, im Gegenteil deiner Cousine ein recht bekanntes Gesicht zeigen wirst . . . Mach dir also keinerlei Sorge, sondern bestrebe dich vielmehr, deinem Konterfei alle mögliche Ehre anzutun.«

Diese Unterhaltung hat, wie schon gesagt, lieber Max, am Abend vor dem Tage stattgefunden, an welchem ich der Prinzessin, meiner neubacknen Cousine, präsentiert werden sollte . . . Ich verabschiedete mich bei meiner Tante und begab mich in meine Wohnung . . .

Ich bin immer offen gegen Dich gewesen, lieber Max, und habe aus meinem Herzen zu keiner Zeit eine Mördergrube gemacht. Drum will ich Dir auch jetzt bekennen, welch albernen und törichten Einbildungen ich mich hingegeben habe, als ich nach dieser Unterhaltung mit mir allein war.

 
Am dritten Tage, morgens.

Du hast mir so oft gesagt, lieber Max, daß ich keinen Schimmer von Eitelkeit an mir hätte, ich glaube auch, daß ich frei von diesem Gebrechen bin, aber ich muß es hier ausdrücklich sagen, denn wenn ich in Deinen Augen nicht als selbstgefälliger Tor erscheinen will, dürfte es mir schwer fallen, in der Schilderung des weiteren Verlaufes dieser Begebenheit fortzufahren.

Als ich allein in meinem Zimmer war, mußte ich wohl oder übel mit dem ewig wiederkehrenden Gedanken an die junge Prinzessin, die sich mein Bild angesehen und beifällig darüber geäußert hatte, fertig zu werden suchen. Am meisten beschäftigte mich die Frage der Prinzessin, ob über den »Vetter aus der guten alten Zeit« bei meiner Tante Weiteres verlautet habe?

Nichts war indessen törichter als die Hoffnung, daß sich auf einen so unbedeutenden Umstand wie diesen irgend welches Luftschloß bauen lasse. Immerhin hatte mich der Fall nicht bloß interessiert, sondern – ich bekenne Dir das ebenso unverhohlen wie alles andere, was zu meinem Berichte gehört – er hatte mich sogar in einen gewissen Grad von Begeisterung versetzt.

Sicher hatten die Lobsprüche, die der Prinzessin aus dem Munde einer so gereiften und urteilsstrengen Dame wie meiner Tante zuteil geworden waren, mir einen noch wesentlich höheren Begriff von ihrem Werte beigebracht, als ich bisher von ihr fassen konnte . . . diese Lobsprüche hatten indessen auch mich für die Auszeichnung empfänglicher gemacht, die sie mir – oder vielmehr meinem Bilde – hatte zuteil werden lassen . . . Genug! Diese Auszeichnung rief in mir so törichte Gedanken wach, daß ich mich nachdem ich nun gelernt habe, die jüngste Vergangenheit mit kühlerem Blicke zu betrachten, selbst frage, wie es wohl habe geschehen können, daß ich mich von solchen Gedanken derart habe hinreißen lassen können, daß ich im Grunde genommen gar nicht weit mehr vom Rande des Abgrundes war . . .

Wenn ich auch mit dem großherzoglichen Hause verwandt bin und von dem Großherzog selber nie anders als mit freundlichem Wohlwollen aufgenommen worden bin, so habe ich doch zu der Hoffnung, mit der Prinzessin eine eheliche Verbindung einzugehen, nicht den allergeringsten Anlaß. Wohl nicht einmal in dem Falle, daß wir beide in Liebe zueinander entbrannt wären . . . Und wie konnte ich mir derlei Gedanken einbilden? . . . Unsere Familie ist ja makellos, aber sie ist arm im Vergleich zu den bedeutenderen Reichtümern des großherzoglichen Zweiges; es ist wohl nicht zuviel gesagt, wenn man unsern Großherzog für den reichsten aller deutschen Fürsten hält . . . Und weiter: war ich nicht gerade erst 21 Jahre alt? Und war ich nicht bloß einfacher Gardekapitän? Wie konnte der Großherzog auch nur im entferntesten daran denken, sich einen solchen Schwiegersohn auszusuchen?

All diese Erwägungen hätten mich freilich wohl abhalten können, mich mit Gedanken zu befassen, denen es an jeglichem Boden fehlte. Aber wenn ich auch eine wirkliche Leidenschaft noch nicht empfand, von der Vorahnung einer solchen war ich durchaus nicht frei . . . Leider aber überließ ich mich weiteren kindischen Ideen dieser Art. So trug ich einen Ring am Finger, den mir ehedem die liebe, gute Gräfin Thekla – die Du ja auch kennst – gegeben, und wenn auch solches Pfand einer, gelinde gesagt, törichten Passion mich nur wenig fesseln konnte, so opferte ich es doch ohne weiteres der neu in meinem Herzen erwachten Leidenschaft: der arme Ring verschwand in den Fluten des unter meinem Fenster vorbeirauschenden kleinen Flusses.

Soll ich Dir erzählen, wie ich die Nacht verbrachte? Das wäre wohl unnütz! Denken wirst Du es Dir ja doch können . . . Ich hatte erfahren, daß die Prinzessin eine engelschöne Blondine sei . . . Ich suchte mir ihre Gesichtszüge, ihre Erscheinung, den Klang ihrer Stimme zu vergegenwärtigen; suchte mir den Ausdruck ihres Bildes vor die Seele zu zaubern; wenn mir dann das Porträt von mir einfiel, das ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte, dann mußte ich mir sagen, daß der Künstler, von dem es herrührte, mir beispiellos geschmeichelt hatte, um sich den Beifall meiner Eltern, besonders meiner in mich verliebten Tante zu sichern. Ja, mehr noch: ich verglich das romantische Pagenkostüm aus dem 16. Jahrhundert mit der nüchternen Uniform eines Gardekapitäns Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät und mußte mir sagen, daß ein Vergleich zwischen beiden Trachten zu meinem Vorteil keineswegs ausfallen konnte.

Diesen kindischen Gedanken, lieber Freund, folgten ja, wie ich nicht unerwähnt lassen will, oft auch edlere Empfindungen . . . ich fühlte mich tief ergriffen, wenn ich mir die Prinzessin als gütige Fee vor die Augen hielt, die sich der armen verlassenen Geschöpfe, die in der von ihr ins Leben gerufenen Anstalt weilten, so liebevoll annahm, vor die Seele führte . . .

 
Am dritten Tage, mittags.

Wie ich Dir sagen muß, lieber Freund, ich habe die Nacht, von der ich Dir erzähle, und einen Teil des andern Tages in wirklicher Seelenangst verbracht. Du weißt, daß ich niemals im Leben mir auf meine persönlichen Vorzüge das geringste zugute getan habe; immerhin wollte der Gedanke nicht von mir weichen, daß mein Bild einen gewissen Eindruck auf die Prinzessin gemacht habe; ein Glück wenigstens, daß ich mir nach wie vor gegenwärtig hielt, daß mich eine unübersteigliche Kluft von ihr schied. Und doch wollte der Gedanke nicht von mir weichen, daß sie mich nach dem Bilde nicht wiedererkennen möchte, daß ich dem Bilde in natura nicht das Wasser zu reichen vermöchte . . .

Ich hatte sie noch mit keinem Blicke gesehen, war aber im voraus der festen Meinung, daß sie mich kaum eines Blickes für wert halten werde . . . und doch hatte ich es fertig gebracht, ihr das Pfand zu opfern, das ich zur Erinnerung an meine erste Liebe am Finger getragen hatte!

 
Zwei Stunden später.

Endlich ist sie da, die wichtige Stunde des feierlichen Empfanges bei Hofe! Ich paßte verschiedene Uniformen an, mußte aber zugeben, daß eine immer unvorteilhafter saß als die andere, und fuhr endlich, höchst unzufrieden mit meiner Persönlichkeit, nach dem großherzoglichen Palaste . . .

Gerolstein ist zwar nur eine knappe Viertelstunde von der Abtei entfernt – wie ich schon einmal bemerkt habe – und doch bestürmten mich auf dieser kurzen Fahrt tausenderlei Gedanken! all die törichten Betrachtungen, mit denen ich mich befaßt hatte, schwanden hin vor einer einzigen ernsten, trüben, fast bedrohlichen Ahnung, die mich zufolge einer jener seltsamen Krisen überkam, die zuweilen ein ganzes Menschenleben bestimmen: einer Ahnung, daß ich in Liebe, leidenschaftlicher Liebe entbrennen würde – in einer Liebe, wie der Mensch sie nur einmal im Leben empfindet . . . und daß mich diese Liebe, um das Maß meines Verhängnisses voll zu machen, weil sie eben auf ein so hohes und würdiges Ziel sich richtete, auf Lebenszeit unglücklich machen würde!

Darüber entsetzte ich mich so, daß ich auf einmal den gescheiten Einfall bekam, den Wagen halten zu lassen, wieder nach der Abtei zu fahren und von da die Rückfahrt zu meinem Vater zu unternehmen, es der Tante überlassend, wie es ihr gelingen werde, meine schnelle Abreise bei dem Großherzoge zu rechtfertigen oder wenigstens zu entschuldigen . . .

Leider sollte mich aber eine jener bedeutungslosen Ursachen, wie sie sich oft im Leben finden, die aber häufig von so ernsten Folgen begleitet sind, an der Ausführung dieses Entschlusses verhindern.

Mein Wagen hatte am Eingange der zum Palaste führenden Allee gehalten. Ich bog mich aus dem Schlage, in der Absicht, dem Kutscher zuzurufen, daß er umkehren solle, als mich Baron von Keller erblickte, der mit seiner Gemahlin auch zu Hofe fuhr und auch halten ließ . . .

»Mein Prinz, kann ich Ihnen irgendwie gefällig sein?« fragte der Baron diensteifrig, »ist mit Ihrem Wagen was passiert? Steigen Sie doch mit zu uns ein! Sie wollen doch ebenfalls nach dem Schlosse?«

Es wäre doch leicht gewesen, irgend eine Ausrede zu ersinnen; aber – war es Mangel an Willensstärke oder der heimliche Wunsch, mich von dem gefaßten Entschlusse frei zu machen? Kurz, ich erwiderte ziemlich betreten, daß ich meinen Kutscher erst habe Erkundigung einziehen lassen wollen, ob durch den neuen Pavillon oder durch den Marmorhof gefahren werden solle . . .

»Ei, durch den Marmorhof, Prinz,« antwortete der Baron, »ist doch heute großer Empfangstag! Sagen Sie doch Ihrem Kutscher, er solle hinter mir herfahren: ich werde Ihnen den Weg zeigen.«

Ich glaube, Max, Du weißt, daß ich an Vorbestimmungen glaube . . . Nachdem mir etwas in den Weg gekommen war, meinte ich, das Schicksal wolle nicht, daß ich in die Abtei zurückkehre, mir all das geahnte Herzeleid zu ersparen, und so überließ ich mich meinem Sterne . . . Du kennst wohl das großherzogliche Palais nicht? Es wird vielfach behauptet von Leuten, die alle Hauptstädte Europas gesehen haben, daß, Versailles ausgenommen, keine fürstliche Residenz als Ganzes genommen einen so majestätischen Eindruck wecke, wie sie . . .

Wenn ich mich hier bei mancherlei Einzelheiten aufhalte, so liegt der Grund lediglich darin, daß ich mich jetzt wieder all der Herrlichkeit erinnere, wobei ich mich freilich auch wieder frage, wie sie mich nicht auf der Stelle an meine Nichtigkeit habe erinnern können: war ja doch die Prinzessin Amalie die Tochter des reichen Fürsten, dem all diese Schätze zu eigen gehörten!

 
Am vierten Tage, morgens.

Der Marmorhof ist im weiten Halbkreise gebaut und heißt darum so, weil er mit Ausnahme eines breiten Granitweges, auf dem die Wagen zu- und abfahren, ganz mit Marmorplatten aller erdenklichen Farben und Muster belegt ist, die die prächtigsten Mosaiken bilden. In seiner Mitte hat er ein mächtiges Breccia-Bassin, in das aus einer großen Porphyrvase unaufhörlich mächtige Wasserströme herniederstürzen. Der »Marmorhof« benamste Ehrenhof ist kreisförmig mit einer Reihe weißer Marmorstatuen umgeben, die vergoldete Fackeln tragen, aus denen abends blendendes Gaslicht flammt und mit denen medizäische Vasen auf reichgearbeiteten Sockeln abwechseln, aus denen sich mächtige Lorbeerrosen erheben, deren dunkles Laub in der hellen Beleuchtung metallischen Grüns erglänzt . . .

Die Wagen hielten am Fuße einer doppelten Terrasse mit Balustraden, die zu der Vorhalle des Palais führt. Am Fuße derselben hielten Reiter vom Garderegimente des Großherzogs, der, wie Du ja weißt, seine Garden unter den größten und schönsten Unteroffizieren seines Kontingents auswählt. Oben vor der Vorhalle, an jeder Seite des Eingangs, standen zwei Grenadiere, zu dem großherzoglichen Garde-Infanterie-Regimente gehörig, bis auf die Farbe des Rockes und der Aufschläge, wie mir gesagt wurde, ganz in der Uniform der Grenadiere Napoleons. In der Vorhalle waren Schweizer in glänzenden Livreen mit ihren Hellebarden postiert. Ich stieg eine prächtige Treppe aus weißem Marmor hinauf, die zu einem von Jaspissäulen getragenen Portikus führte, über den sich eine mit Malereien und Vergoldungen geschmückte Kuppel erhob. Hier stand in zwei langen Reihen die Dienerschaft versammelt.

Ich trat nun in den Garden-Saal, an dessen Tür sich ein Kammerherr und ein Adjutant Seiner Hoheit aufhielten, um die zur persönlichen Vorstellung bestellten Personen zu dem Großherzoge zu führen. Meine Verwandtschaft mit dem großherzoglichen Hause – wenn sie auch ziemlich entfernten Grades war – verschaffte mir diese Ehre; – ein Adjutant schritt mit mir durch eine lange Galerie, die von Kavalieren in Hoftracht und ihren Damen angefüllt war.

Langsam passierte ich diese glänzende Versammlung. Ein paar Worte drangen zu meinen Ohren, die meine Bewegung noch vermehrten. Von allen Seiten erklangen Worte der Bewunderung über die engelhafte Schönheit der Prinzessin Amalie, über die beispiellose Liebenswürdigkeit der Marquise von Harville, über das wahrhaft kaiserliche Aussehen der Erzherzogin Sophie, die mit dem Erzherzoge Stanislaus von München gekommen war und bald wieder nach Warschau weiter zu reisen gesonnen war. Bei aller Gerechtigkeit, die man den beiden Damen zuteil werden ließ und zuteil werden lassen mußte – herrschte nur eine Stimme über den wahrhaft idealen Liebreiz der Prinzessin Amalie, die aller Herzen mit wahrer Zaubergewalt gefangen nahm!

Je mehr ich mich dem Platze näherte, wo der Großherzog mit seiner Tochter weilte, desto heftiger schlug mir das Herz. Als ich in die Salontür trat, – ich vergaß Dir zu sagen, daß Hofkonzert und Ball war – fing Liszt eben an zu spielen, und alles noch so leise Geflüster verstummte jäh. Wartend, bis der berühmte Künstler zu Ende gespielt, verweilte ich an der Türnische.

Von hier aus, Max! sah ich zum ersten Male die Prinzessin Amalie. Einen Moment gestatte mir, diesen Moment zu schildern! Ein unwiderstehlicher Reiz verknüpft sich mir mit dieser Erinnerung . . . und ich kann nicht anders, als mich darein zu versenken . . .

Stelle Dir einen großen, mit königlicher Pracht möblierten Salon vor, mit reichen, roten Seidentapeten ausgeschlagen, über die eine breite, goldne Guirlande hinläuft . . . alles von blendenden Lichtmengen erhellt. In der ersten Reihe auf hohen, reich vergoldeten Armsesseln saßen die Erzherzogin Sophie, neben ihr der Fürst, die Honneurs des Hauses machend; links von ihr die Marquise von Harville, und rechts von dem Fürsten die Prinzessin Amalie. Der Großherzog trug die Obersten-Uniform seiner Garde. Das Glück, sein Kind wiedergefunden zu haben, wie auch die Gegenwart der Marquise, der Geliebten seines Herzens, schien ihn so zu verjüngen, daß er nicht älter als dreißig Jahre zu sein schien. Die Uniform hob die Eleganz seiner Gestalt und die Vornehmheit seiner Gesichtszüge kräftig hervor. Neben ihm stand, in Feldmarschallsuniform, Erzherzog Stanislaus. Dann folgten die Ehrendamen der Prinzessin Amalie, die Gemahlinnen der Großwürdenträger, zuletzt diese selbst.

Soll ich Dir aber- und abermals wiederholen, daß die Prinzessin Amalie nicht sowohl durch den hohen Rang, den sie bekleidete, hervorstach als durch die unbeschreibliche physische Schönheit, mit der sie diese gesamte glanzvolle Umgebung überstrahlte? . . . Verdamme mich nicht, lieber Freund, sondern lies erst, was ich Dir hier mitteile. Meine Schilderung steht klaftertief unter der Wirklichkeit, und doch wird es Dich nicht verwundern, daß ich die Prinzessin anbetete, daß ich, kaum daß ich sie gesehen, in Liebe zu ihr entbrannte, und daß der Glut und dem elementaren Ausbruch meiner Leidenschaft nur die Heftigkeit und die ewige Dauer gleichkommen . . .

Die Prinzessin erschien in einer schlichten Robe aus weißer Seide, geschmückt wie die Erzherzogin Sophie mit dem großen Bande des Sankt-Nepomukordens, das ihr von der Kaiserin von Rußland verliehen worden war. Ein kostbares Perlendiadem umgab die schöne und edle Stirn, wunderbar zu den breiten blonden Haarflechten stimmend, die ihre leicht geröteten Wangen umrahmten. Die schlohweißen Arme, weißer fast als die sie einhüllenden Spitzen, guckten aus Halbhandschuhen hervor, die bis an den mit schelmischen Grübchen wunderlieb gezierten Ellbogen heranreichten. Aber etwas Herrlicheres als ihren in einem weißen Atlasschuh steckenden Elfenfuß hätte sich schwerlich jemand denken können.

In dem Moment, da ich sie sah, blickten ihre schönen blauen Augen wie träumerisch – ich weiß nicht, ob infolge irgend welches ernsten Gedankens, der sie erfüllte, oder unter der Einwirkung der elegischen Musik, die der Künstler vortrug . . . aber ihr leichtes Lächeln schien mir unaussprechlich sanft und zum Herzen zu gehen . . . Sie hielt den Kopf leicht geneigt, während sie ein Sträußchen weißer Nelken und Rosen, das sie in der Hand hielt, entblätterte.

Was ich in diesem Augenblick empfand, werde ich nie in Worte kleiden können. Alles, was mir meine greise Tante von der unendlichen Herzensgüte Amaliens gesagt hatte, kam mir wieder in die Gedanken. O, lächle nur, Freund! Als ich das wunderliebliche Mädchen so träumerisch und nachdenklich, ja fast traurig in dieser glänzenden Umgebung sah an der Seite ihres hervorragenden Vaters, mit aller Liebe umgeben, ja man könnte sagen, vergöttert von ihm, da, lieber Freund, wahrhaftig, da war es mir, wie wenn ich weinen müßte . . .

Ich habe es Dir schon immer gesagt, Max, meiner Meinung nach ist der Mensch unvermögend, vollständiges Glück zu genießen: seine geistige Fähigkeit ist zu eng bemessen, über ein gewisses Maß reicht seine Fassungsgabe dafür eben nicht aus. Aber aus demselben Grunde meine ich auch, daß es vereinzelte über dieses Durchschnittsvermögen hinaus begabte Individuen gibt, die es zuweilen mit schmerzlicher Bitterkeit empfinden mögen, wie allein und vereinsamt sie hier auf Erden stehen, und die dann das höhere Maß ihres Gemütslebens beklagen, weil es sie eben gar vielen Täuschungen und seltsamen Friktionen aussetzt, für die alle Durchschnittsnaturen gar kein Verständnis haben.

Mir kam es in jenem Augenblicke so vor, als stehe Prinzessin Amalie unter der deprimierenden Empfindung solches Bewußtseins.

Ganz unvermutet . . . ich glaube, durch einen wunderlichen Zufall veranlaßt, wendete sie die Augen nach der Seite hin, wo ich stand . . .

 
Am vierten Tage, früh.

Du kennst die strenge Etikette am großherzoglichen Hofe, weißt, wie scharf die Rangunterschiede bei uns gezogen werden. Mein Titel und meine verwandtschaftlichen Beziehungen zum Großherzoge berechtigten mich – während sich die mich im ersten halben Stündchen umgebenden Persönlichkeiten zurückgezogen hatten – zum Verweilen . . . so daß ich fast allein, und in auffälliger Weise sichtbar, vor dem Eingange der Galerie stand . . .

Auf diese Weise erklärt es sich, daß mich die aus ihrem Sinnen erwachende Prinzessin sehen mußte . . . Und daß sie mich sah, entging mir auch nicht, ja ich meinte wahrzunehmen, daß sie eine leichte Bewegung, wie wenn sie überrascht sei, machte und sogar errötete.

Bei meiner Tante hatte sie, wie ich Dir erzählte, mein Bildnis gesehen, und mich wiedererkannt. Nichts ist einfacher als das . . . Kaum eine Sekunde lang hat sie mich angesehen, aber dieser einzige jähe Blick zündete bei mir wie ein elektrischer Funken . . . Ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen schoß. Ich senkte die Blicke zu Boden, blieb ein paar Minuten lang stehen, ohne daß ich es wagte, zu der holden Erscheinung aufzusehen. Und als ich es endlich wieder wagte, war sie in eine Unterhaltung mit der Erzherzogin Sophie vertieft, die ihr mit der wohlwollendsten Teilnahme zuzuhören schien.

Liszt machte in seinem Spiele eine Pause von ein paar Minuten. Er sollte drei Piècen spielen. Die kurze Unterbrechung nahm der Großherzog wahr, ihm auf die liebenswürdigste Weise seinen Beifall auszudrücken.

Als er auf seinen Platz zurücktrat, sah er mich, nickte mir huldreich zu und sagte, auf mich zeigend, ein paar Worte zu der Erzherzogin, die mich nun auch ansah und dann ihrerseits ein paar Worte zu dem Großherzoge sagte, der sich, wie ich deutlich zu sehen meinte, eines Lächelns nicht enthalten konnte, dann ihr antwortete und ein paar Worte an die Prinzessin richtete. Mir kam es so vor, als ob sie sich verlegen oder doch beklommen fühlte, ja als ob sich wieder eine leichte Röte über ihre Wangen schliche . . .

Ich kam mir vor wie auf der Folter. Es war mir im höchsten Grade zuwider, daß mir die Etikette wehrte, vor Beendigung des Konzertes den Platz, den ich inne hatte, zu wechseln. Zum Glück begann Liszt sein Spiel wieder. Ein paarmal sah ich noch verstohlen zu der Prinzessin hinüber, die mir nachdenklich und, wie ich nicht anders sagen kann, fast verstimmt vorkam. Mir schnürte diese Beobachtung das Herz zusammen. Ich meinte nicht anders, als daß ich die Ursache zu der Mißstimmung, die sie fühlte, sei. Irgendwelche Schuld daran traf mich freilich nicht, denn ich hatte mir meinen Platz doch nicht selbst aufgesucht . . . aber ich glaubte, die Ursache zu dieser Verstimmung zu erraten . . .

Wahrscheinliche hatte der Großherzog sie gefragt, ob sie mich nach jenem Porträt »des Vetters aus alter Zeit« wiedererkenne, ob sie eine gewisse Aehnlichkeit zwischen Bild und Original noch fände . . . vielleicht machte sie sich in ihrer Harmlosigkeit einen Vorwurf darüber, mich nicht gleich erkannt und selbst darauf hingewiesen zu haben, daß dies der Fall sei.

Endlich war das Liszt-Konzert vorbei. Ich folgte dem Adjutanten. Er geleitete mich zum Großherzoge, der so liebenswürdig war, mir ein paar Schritte entgegenzukommen, mich huldvoll bei der Hand nahm und zu der Erzherzogin Sophie führte . . .

»Sie erlauben wohl, gnädige Hoheit, daß ich Ihnen meinen Vetter, den Prinzen Heinrich von Herkausen-Oldenzaal, vorstelle?«

»Ich meine, den Prinzen schon in Wien gesehen zu haben,« erwiderte die Erzherzogin, »und ihn wiederzusehen, bereitet mir aufrichtige Freude.«

Darauf wandte der Großherzog sich zu seiner Tochter . . . »Liebe Amalie,« sagte er, »du mußt nun auch unsern lieben Prinzen Heinrich kennen lernen, den Sohn des Prinzen Paul, meines liebsten Freundes, der zu meinem Leidwesen heute von Gerolstein fern sein muß.«

»Sie lassen Ihren Herrn Vater wohl wissen,« setzte meine Cousine liebenswürdig hinzu, »daß auch ich es lebhaft beklage, ihn zu meinem Ehrentage nicht in meines gütigen Vaters Nähe zu sehen.«

Nie zuvor hatte ich den süßen Klang ihrer Stimme gehört . . . Stelle Dir vor, Freund, Du hörtest einen jener harmonischen Herzensakkorde, die alle Fibern einer Menschenseele erzittern machen! . . . Aber was für triviale Redensarten schreibe ich da! Du siehst, wie machtlos meine Feder ist, zu Papiere zu bringen, was ich empfunden habe!

 
Am vierten Tage, mittags.

Es war mir nicht möglich, Freund, Dir weiter zu schreiben. Meine Empfindungen stürmten so wild in der Brust, daß es mich hinaustrieb, mir im Freien Ablenkung zu suchen.

Der Großherzog richtete wieder das Wort an mich.

»Lieber Heinrich,« sagte er, »hoffentlich verweilen Sie einige Zeit bei Ihrer Tante, die ich – ich brauche es Ihnen wohl nicht erst zu sagen – verehre und liebe wie eine Mutter . . . Kommen Sie morgen, wenn wir den Empfangstag mit seiner Förmlichkeit hinter uns haben, zu uns aufs Schloß! Verkehren Sie ganz bei uns wie in der Familie. Machen Sie mit uns Ausfahrten, gehen Sie mit uns spazieren, essen Sie bei uns . . . Sie wissen ja doch, lieber Heinrich, daß Ihnen meine Wertschätzung immer gehört hat, daß ich in Ihnen eines unserer tüchtigsten Familienmitglieder erblicke.«

»Königliche Hoheit, ich weiß wirklich nicht, wie ich für all dieses Wohlwollen mich dankbar erweisen soll.«

»Das können Sie leicht haben, lieber Heinrich!« erwiderte der Großherzog, und ich meinte, einen schelmischen Zug in sein Gesicht treten zu sehen . . . »bitten Sie Ihre Cousine um die zweite Quadrille . . . Die erste gehört von Rechts wegen dem Erzherzoge.«

Ich trat zur Prinzessin Amalie, verneigte mich tief und fragte, beklommenen Herzens – wie ich Dir mit heiligem Ernste versichere, lieber Freund:

»Darf ich gnädige Hoheit bitten, mir solche Gunst zu gewähren?«

»Aber, Kinder,« rief der Großherzog launig, »tituliert euch doch nach alter deutscher Sitte einfach Vetter und Base! Solch steifes Zeremoniell schickt sich doch nicht unter engen Verwandten!«

»Nun, liebe Base,« fragte ich noch einmal, »darf ich auf die zweite Quadrille rechnen?«

»Mit Vergnügen tanze ich sie mit Dir, Vetter!« antwortete Amalie.

 
Am fünften Tage, morgens.

Ich kann Dir wirklich nicht sagen, wie glücklich mich die väterliche Zuneigung des Großherzogs macht . . . wie wohl es mich berührt hat, als er mich aufforderte, die strengen Formeln der Etikette beiseite zu setzen und mich als Familienmitglied ungezwungen zu bewegen . . . Eine innige Dankbarkeit erfüllt mich. Aber um so ernstere Vorwürfe mache ich mir, daß ich Liebe zu der Prinzessin fühle, denn ich verhehle mir nicht, daß hierdurch ernste Verwickelungen für uns entstehen können . . . kann doch der Großherzog sie unter keinen Umständen billigen!

Ich hatte den festen Vorsatz gefaßt, nie ein Wort zu sprechen, das meiner Cousine die Vermutung nahe legen könnte, daß ihr mein Herz entgegenschlägt . . . ich fürchtete jedoch, ich möchte mich durch meine Blicke oder meine Aufregung verraten – und trotzdem ich willens war, diese Empfindung in meinem Herzen zu vergraben, kam ich mir doch schuldbewußt vor.

Die Prinzessin tanzte mit dem Erzherzog Stanislaus die erste Quadrille. Ich hatte also Muße, meine Betrachtungen anzustellen. Wie überall, ist auch hier der Tanz einer Quadrille nichts anderes als ein Spaziergang nach dem Takte der Musik, aber das mußte jedermann erkennen, daß sich eine elegantere Quadrilletänzerin, eine graziösere Figur unmöglich finden ließ, als die Prinzessin Amalie.

Mit einer seltsamen Wonne erwarte ich die Momente der Ruhe im Tanze, die es mir verstatten würden, mich der Unterhaltung mit ihr zu widmen. Ich war genug Herr über mich selbst, die Verwirrung zu verbergen, die über mich gekommen, als ich mich zur Frau Marquise von Harville begab, um meine Partnerin von ihr abzuholen.

Des Vorfalles mit dem Bilde wiederum gedenkend, meinte ich, die Prinzessin möchte meine Verlegenheit teilen. Ich täuschte mich auch nicht. Fast wörtlich entsinne ich mich des ersten kurzen Gesprächs, das wir führten . . . Ich setze es für Dich hierher . . .

»Hoheit, erlauben also,« sagte ich zu ihr, »daß ich Sie, wie der Herr Großherzog es wünschte, mit dem traulichen Worte Base anspreche?«

»Freilich, Vetter,« erwiderte sie, »meinem Vater zu gehorchen, wird immer das Glück meines Lebens ausmachen.«

»Auf diese Erlaubnis, Base, bin ich um so stolzer, als ich bereits Gelegenheit bekommen habe, Sie durch meine Tante ganz besonders schätzen zu lernen.«

»Das beruht ja dann auf Gegenseitigkeit, Vetter, mir hat mein Papa auch schon mancherlei Schönes von Ihnen gesagt« – und wie wenn sie das Wort bereute, setzte sie schüchterner hinzu: »zudem habe ich Sie ja schon im Bilde gekannt, wenn ich mich so ausdrücken darf. Frau Aebtissin von Sankt-Hermangild hat meinem Papa und mir vor kurzem ein Bild gezeigt, das Sie – wenn ich nicht irre – in Pagentracht zeigt . . .«

»Ganz recht, in der Pagentracht des 16. Jahrhunderts,« erwiderte ich beglückt.

»Und ich habe Sie auch auf der Stelle nach dem Bilde wiedererkannt,« sagte sie, »als ich Sie vorhin – während der herrlichen Konzertmusik – zufällig mit dem Blicke traf . . . trotz der Kostümverschiedenheit . . .« Dann aber, wie wenn ihr darum zu tun sei, das Thema schnell zu wechseln, setzte sie hinzu: »Es ist doch erstaunlich, welch großartiges Talent dieser Musiker hat – Liszt heißt er, nicht wahr?«

»Ganz recht, Hoheit,« antwortete ich, »ein bewunderungswürdiges Talent! Und Sie hörten ihm wirklich andächtig zu!«

»Es war auch entzückend,« sagte sie, »ich könnte nicht sagen, wie mich die klagenden Weisen ergriffen haben.«

»Ein rechtes Glück, Base,« sagte ich, »daß Sie die rechten Worte nicht finden, die solch trauriger Melodie zum Ausdruck verhelfen.«

Ob nun meine Rede sie verletzt hatte, oder ob sie mir ausweichen wollte, oder vielleicht auch gar nicht gehört hatte, was ich sagte, sie zeigte plötzlich auf den Großherzog, der am Arme der Erzherzogin durch den Ballsaal schritt . . .

»O, sehen Sie doch nur meinen Papa – sehen Sie nur, wie schön er ist, Vetter, und welch edlen Ausdruck sein Gesicht zeigt . . . Mir scheint, jedermann müsse ihn weit mehr lieben als verehren.«

»O,« rief ich, »nicht allein hier am Hofe genießt er Liebe. Klingen Segnungen eines Volkes zur späten Nachwelt hinüber, dann wird der Name Rudolf von Gerolstein mit Recht der Unsterblichkeit angehören.«

Es war aufrichtige Begeisterung, die mir solche Worte in den Mund legte – Du weißt ja selbst, Freund, daß man das Reich des Fürsten als Deutschlands Paradies bezeichnet . . .

Dir den dankbaren, liebevollen Blick zu schildern, den meine Base mir zuwarf, wäre, für mich wenigstens, ein Ding der Unmöglichkeit.

Tief ergriffen, sagte sie: »Aus der Verehrung, die Sie meinem Vater entgegenbringen, ersehe ich, wie würdig Sie der Zuneigung sind, die er für Sie im Herzen trägt.«

»Es kann ihn niemand aufrichtiger bewundern, niemand ihn inniger lieben als ich,« versetzte ich, »hat er nicht außer den seltenen Eigenschaften, die einen großen Herrscher ausmachen, auch jenen Geist der Güte, der solche Fürsten zum Gott ihres Volkes macht?«

»O, Sie sprechen ja nur zu wahr,« rief die Prinzessin, abermals tief bewegt.

»Ach, ich weiß es, und jeder seiner Untertanen weiß es ebensogut wie ich . . . jeder fühlt mit ihm Freude und Schmerz, und jeder beeifert sich, der Frau von Harville, die er sich zur Gattin erkoren, die innigsten Huldigungen entgegenzubringen . . . jeder preist sich glücklich, sie als künftige Großherzogin zu begrüßen.«

»O, diese Frau ist der Liebe meines Vaters würdiger als jede andere, sei sie auf noch so hoher Stufe geboren . . . ihr ein schöneres Lob Ihnen gegenüber zu spenden, wäre niemand möglich.«

»Und Sie dürfen sich wohl ein Urteil erlauben,« sagte ich, »denn Sie kannten die Frau Marquise doch schon in Frankreich, Base.«

Kaum waren diese Worte aus meinem Munde, als Amalie die Augen zu Boden senkte und ihre Züge auf die Zeit einiger Sekunden den Ausdruck einer tiefen Traurigkeit zeigten, die mich stumm vor Ueberraschung machte . . .

Wir waren gerade mit der letzen Figur der Quadrille zu Ende. Einen Moment hatte sie uns getrennt . . . und als ich sie jetzt zu der Marquise zurückführte, hatten sich ihre Züge noch nicht wieder aufgehellt.

 
Am sechsten Tage, morgens.

Ich war der Meinung und glaube es noch, daß meine Anspielung auf Amaliens Vergangenheit in Frankreich ihr jenen schmerzlichen Eindruck verursacht hatte, von dem ich Dir eben erzählte. Vielleicht, weil sie dadurch an den Tod ihrer Mutter erinnert wurde?

Während dieses Abends bemerkte ich einen Umstand, der Dir kindisch erscheinen mag, mir aber einen neuen Beweis für die Zuneigung, die dieses Mädchen allen einflößt, gebracht hat. – Ihr Perlenreif hatte sich etwas verschoben, die Erzherzogin Sophie, der sie gerade den Arm gab, war so gütig, ihr den Schmuck wieder zu richten. Für den sprichwörtlich gewordenen Stolz der Erzherzogin war eine solche Aufmerksamkeit fast nicht zu glauben. Auch schien die Prinzessin, die ich genau beobachtete, in diesem Augenblick so verlegen, – ich möchte fast sagen, betroffen über diese liebenswürdige Aufmerksamkeit, daß ich eine Träne in ihren Augen zu sehen meinte.

So verlief, Freund! mein erster Abend zu Gerolstein. Wenn ich ihn Dir mit allen seinen Einzelheiten erzählt habe, so habe ich es darum getan, weil alle diese Umstände später für mich von ernsten Folgen sein sollten.

 
Am sechsten Tage, abends.

Von nun ab werde ich mich kürzer fassen, Dir nur noch ein paar besondere Umstände, die mein öfteres Zusammensein mit der Prinzessin und ihrem Vater betreffen, mitteilen.

Am Morgen nach diesem Feste war ich unter der sehr kleinen Zahl von Personen, die zur Vermählung des Großherzogs mit der Marquise von Harville geladen waren. Nie habe ich Amalien glücklicher und fröhlicher gesehen als während dieser feierlichen Handlung. Sie ließ keinen Blick von ihrem Vater und der Marquise und betrachtete beide mit einer Art frommen Entzückens, das ihrem Antlitz einen neuen Reiz verlieh – man hätte sagen können, das unaussprechliche Glück des Fürsten und der Marquise spiegelte sich darauf wider.

An diesem Tage war meine Base sehr mitteilsam. Ich führte sie auf dem Spaziergange, der nach dem Diner durch die prächtig beleuchteten Gärten gemacht wurde, am Arme.

»Ich glaube,« sagte sie mit Bezug auf die von ihrem Vater beschlossene Verbindung, »daß uns das Glück von Menschen, denen unsere Liebe gehört, noch süßer ist, als unser eigenes Glück; denn in dem Genusse persönlichen Glückes liegt immer ein Teil von Selbstsucht.«

Wenn ich Dir diese Bemerkung meiner Base anführe – lieber Freund, so geschieht es, damit Du das Gemüt dieses anbetungswürdigen Geschöpfes kennen lernest, das, wie das ihres Vaters, den Geist der Güte in sich trägt.

 
Am siebenten Tage, morgens.

Ein paar Tage nach der feierlichen Hochzeit zog mich der Großherzog in ein längeres Gespräch, fragte mich, welche Pläne ich für meine Zukunft hätte, wie sich mein bisheriges Leben gestaltet hätte. Er gab mir weise Ratschläge, die schmeichelhaftesten Ermutigungen, brachte die Rede auf verschiedene Maßnahmen, die er in seinem Lande zu treffen gedachte, und bewies mir dabei ein so hohes Vertrauen, daß ich gerechterweise stolz sein durfte. Daß ich mich dadurch außerordentlich geschmeichelt fühlte, werde ich Dir, lieber Freund, nicht erst zu sagen brauchen. Aber daß mich auf Augenblicke doch ein Gedanke beschlich – nenne ihn meinetwegen töricht, Freund! – kann ich Dir ebenfalls nicht verhehlen . . . Ich meinte auf Momente, der Fürst habe erraten, was in meinem Herzen vorging, und verfolge mit seiner Weise, sich mit mir zu befassen, die Absicht, mich zu sondieren, vielleicht sogar, mich zu einer Offenbarung zu bestimmen?

Leider war diese vage Hoffnung von keiner langen Dauer. Der Fürst beendigte das Gespräch mit der Meinung, er halte die Zeit der großen Kriege für beseitigt, und er möchte es für gut halten, wenn ich meinen Namen, die Bildung, die ich genossen, und die Freundschaft, die meinen Vater mit dem Fürsten Metternich verbände, wahrnähme, um an Stelle der militärischen die diplomatische Laufbahn zu verfolgen, denn alle Fragen, die einst auf der Walstatt ausgetragen worden, dürften hinfort in den Kanzleien der Diplomatie zur Lösung gelangen, zudem ja solche Form der Erledigung weit mehr im eigentlichen Interesse der Völker läge; darum glaube er mit Bestimmtheit, daß es in Zeit von wenigen Jahren einem erhabenen, erleuchteten Geiste vorbehalten sein werde, eine große, herrliche Rolle in der Politik zu spielen und für die Welt mehr Segen zu stiften als all seine Vorgänger . . .

Er bot mir seine Verwendung und Fürsprache an, soweit er mir die Anfänge der neuen Laufbahn erleichtern könne, und bat mich mit wirklich recht dringenden Worten, seinem freundlichen Rate zu folgen . . .

Daß mir der Großherzog, falls er andere Pläne mit mir gehabt hätte, derartige Mitteilungen nicht gemacht hätte, wirst Du ebensogut begreifen, Freund, wie ich mir das auf der Stelle sagte . . . Ich dankte ihm lebhaft für seine Güte und erklärte, daß ich mich seinem Rate selbstverständlich fügen würde . . .

 
Am siebenten Tage, abends.

In den ersten Tagen hatte ich bei all meinen Besuchen im Palaste mich der größten Zurückhaltung befleißigt. Der Großherzog bestand jedoch darauf, daß ich mich größerer Ungezwungenheit befleißige, und so fügte es sich bald, daß ich fast immer schon um drei Uhr nachmittags mich einfand.

Das Leben im großherzoglichen Schlosse spielte sich in der anmutigen, überaus schlichten Weise der deutschen Höfe ab, an das Leben in den großen Schlössern Englands erinnernd, indessen noch anheimelnder durch den wirklich gemütvollen Ton und die wohltuende Ungezwungenheit der deutschen Sitte.

Sobald es das Wetter erlaubte, unternahmen wir lange Spazierritte mit dem Großherzoge und seiner jungen Gemahlin, meiner Base und den Kavalieren des Hauses. Waren wir gezwungen, im Schlosse zu verweilen, unterhielten wir uns mit der Musik. Die Großherzogin sang vorzüglich. Mir fiel in der Regel die Aufgabe zu, sie zu begleiten. Auch meine Base sang viel: sie hatte eine sehr hübsche Stimme, sang unvergleichlich rein, und ich muß sagen, daß ich mich von keinem Gesange so im tiefsten Inneren erschüttert gefühlt habe wie durch den ihren. Oft auch besuchten wir die höchst wertvollen Sammlungen des Fürsten, die Gemälde- und Kupferstich-Sammlungen oder seine überreiche Bibliothek. Wurde im Hoftheater eine Oper gespielt, begleitete ich in der Regel die großherzogliche Familie in ihre Loge.

Die Tage vergingen mir wie ein schöner Traum; allmählich behandelte mich meine Base mit geschwisterlicher Vertraulichkeit, sie machte kein Hehl aus ihrem Vergnügen, mich um sich zu sehen, vertraute mir, was sie interessierte, bat mich hin und wieder sie zu begleiten, wenn sie mit der Großherzogin die Waisenhäuser besuchte, sprach mit mir von meiner Zukunft mit einem ernsten und überlegten Interesse, das mich bei einem jungen Mädchen von ihrem Alter befremdete, liebte es, mich über meine Kindheit, über meine, ach, so oft beweinte Mutter zu befragen. So oft ich meinem Vater schrieb, bat sie mich, ihn von ihr herzlich zu grüßen; – zuletzt übergab sie mir für ihn eine herrliche Stickerei, an der sie lange gearbeitet hatte. Was soll ich Dir noch sagen, mein Freund! ein Bruder und eine Schwester, die sich nach jahrelanger Trennung wiedergefunden haben, können sich nicht vertrauter bewegen. –

 
Am achten Tage, morgens.

Vielleicht wunderst Du Dich über ein derartiges Verhältnis, Freund, zwischen zwei jungen Leuten, besonders nach den Bekenntnissen, wie ich sie gemacht, je offener und vertrauensvoller mir meine Base aber entgegentrat, desto eifriger war ich auf meiner Hut, desto schärfer hielt ich mich im Zügel, weil mich die Furcht ergriff, dieser traute Umgang könne sonst abgebrochen werden – und, ach! er war mir Lebensbedürfnis geworden. –

Was meine Zurückhaltung noch mehrte, war der Umstand, daß meine Base mir so ganz ungezwungen, so wahrhaft freundschaftlich entgegentrat, daß ich mir kaum noch zweifelhaft darüber war, daß sie meine Leidenschaft für sie überhaupt nicht geahnt hat . . .

Immerhin bin ich mir in dieser Hinsicht noch nicht so unbedingt sicher, und zwar infolge eines Umstandes, den ich Dir auf der Stelle auseinandersetzen will . . .

Hätte nämlich unsre geschwisterliche Vertraulichkeit unbeanstandet fortbestehen können, dann wäre mir solches Glück vielleicht ausreichend gewesen. Aber eben weil ich in Wonne darüber schwebte, kamen mir Gedanken, daß mein Dienst in der neuen Laufbahn, die der Fürst mir anempfohlen hatte, mich nach Wien oder anderswohin ins Ausland rufen könnte; auch, daß der Tag kommen könnte, an welchem der Großherzog sich hinsichtlich einer standesgemäßen Vermählung seiner einzigen Tochter entscheiden möchte.

Mir bereiteten diese Gedanken eine um so größere Qual, als der Augenblick meiner Abreise von Gerolstein immer näher rückte. Meiner Base fiel die Veränderung, die mit mir vor sich ging, sehr bald auf. Sie sagte mir, es käme ihr so vor, als ob ich seit einiger Zeit verdrießlich, verstimmt sei. Ich suchte ihren Fragen auszuweichen, erklärte meine trübe Stimmung damit, daß mich seit ein paar Tagen eine gewisse Unruhe über die Gestaltung meiner Zukunft befallen hätte.

»Aber daran zu glauben,« erwiderte sie, »fällt mir recht schwer, denn soviel ich weiß, will doch mein Papa sich an verschiedene ihm befreundete Herren wenden, um Ihnen die Wege ebnen zu helfen . . . Ich dächte, er behandelte Sie liebevoll wie seinen Sohn? Und kommt Ihnen nicht sonst alles mit Liebe entgegen? Ich sollte meinen, Sie hätten doch weder einen Grund, sich um Ihre Zukunft zu sorgen, noch sich anderswie unglücklich zu fühlen!«

Ich konnte meiner Stimmung nicht Herr werden und antwortete: »Nun, Mißstimmung ist's ja eigentlich auch nicht, die mich beherrscht, sondern mehr ein Kummer, der auf mich wirkt.«

»Und weshalb?« fragte sie mich teilnahmsvoll, »ist Ihnen denn etwas Unangenehmes passiert?«

»Liebe Base, eben sagten Sie, Ihr Herr Vater behandle mich wie einen Sohn, und alles käme mir hier mit Achtung und Liebe entgegen . . . Nun, binnen kurzem werde ich mich all diesen Verhältnissen entziehen und – Gerolstein verlassen müssen . . . Und das ist's, was mich bedrückt – das ist's, was mir die Lust am Leben verleidet.«

»Ist Ihnen die Erinnerung denn so ganz gleichgiltig? gilt Ihnen die Erinnerung an Personen, die uns einst lieb und wert waren, so wenig?«

»Das will ich nicht sagen,« erwiderte ich, »aber es gibt Ereignisse, die oft gar viele jähe Veränderungen herbeiführen . . .«

»Nun, es gibt aber auch Neigungen, die dauerhaft sind, die über dem Wechsel der Zeiten stehen . . . und eine solche Neigung dürfte wohl die sein, die mein Vater zu Ihnen hegt . . . und wohl auch diejenige, die in meinem Herzen für Sie lebt . . . Sie wissen wohl, Vetter, daß Bruder und Schwester sich eigentlich niemals im Leben entfremden sollen!«

Dabei sah sie mich mit ihren großen blauen Augen so innig an, daß wenig fehlte, so wäre ich ihr zu Füßen gestürzt . . . Ich stand wirklich auf dem Punkte, mich zu verraten. Ihr Blick machte mich ganz verwirrt. Zum Glück gelang es mir noch einmal, mich zu beherrschen.

»Wohl wahr,« antwortete ich, »daß es Neigungen gibt, die von Dauer sind; aber die Beziehungen zueinander kommen in andere Bahnen, die Stellung, die der Mensch innehat, verändert sich . . . Meinen Sie zum Beispiel, Base, daß zwischen uns, wenn ich nach Jahren zurückkäme, dies liebe, traute Verhältnis, wie es jetzt herrscht, fortleben würde?«

»Und warum sollte es nicht der Fall sein können?« fragte sie.

»Weil Sie dann doch gewiß schon vermählt sein würden!« rief ich, »weil Sie dann andere Verpflichtungen, andere Rücksichten haben werden, weil Sie für Ihr armes Brüderchen dann wohl kaum noch einen Gedanken frei haben möchten!«

 
Am neunten Tage, mittags.

Ich schwöre Dir, Freund! kein Wort weiter habe ich gesagt und weiß nicht, ob sie in den Worten ein Geständnis gefunden, das sie verletzt hat, oder ob sie, wie ich, traurig ergriffen war von dem Gedanken an die Wendungen, die die Zukunft in unsere Beziehungen bringen mußte, – statt mir zu antworten, verharrte sie einen Augenblick in Schweigen, dann stand sie plötzlich auf, sie war bleich, tief ergriffen, und nachdem sie einige Augenblicke lang die Stickerei der jungen Gräfin von Oppenheim, einer ihrer Ehrendamen, betrachtet hatte, die während unsers Gesprächs in einer Fensternische gesessen, ging sie fort.

Am Abend erhielt ich von meinem Vater abermals einen Brief, der mich hierher zurückrief. Am andern Morgen begab ich mich zum Großherzoge, um mich zu verabschieden. Er sagte mir, daß seine Tochter leidend sei, daß er es übernehmen wolle, ihr meine Grüße zu bestellen; dann umarmte er mich väterlich, bedauerte meine schnelle Abreise, beklagte den wankenden Gesundheitszustand meines Vaters, kam wieder auf die neue Laufbahn zu sprechen, die ich antreten sollte, und fügte hinzu, daß er mich gern wieder in Gerolstein sehen werde.

Bei meiner Ankunft hier fand ich zu meiner Freude den Vater bei besserer Gesundheit, wenn er auch noch immer recht schwach und angegriffen ist. – Leider entging ihm meine Niedergeschlagenheit nicht, und er drang wiederholt, wenn auch vergebens, in mich, ihm die Ursache meines Kummers anzuvertrauen. Ich wagte es nicht; – Du kennst seinen strengen Widerwillen gegen alles, was irgendwie nach Verstellung oder Heimlichtuerei aussieht.

 
Am zehnten Tage, morgens.

Gestern habe ich allein bei ihm gewacht. Ich dachte, er sei eingeschlafen. Mich befielen trübe Gedanken, und die Tränen waren mir nahe . . . Die Erinnerung an die schönen Gerolsteiner Tage stimmte mich ganz trübselig.

Mein Vater sah, daß ich dem Weinen nahe war, während ich, in meinen Kummer vertieft, nicht merkte, daß er wach war.

Da fragte er mich in seiner rührenden Güte, was mir sei. Ich sagte, die Unruhe über sein Befinden stimmte mich so weich, aber er ließ sich durch diese Ausflucht nicht irre führen . . .

Und nun, Freund, da Du alles weißt, nun sage mir selbst: Ist meine Situation nicht verzweifelt? Was soll ich beginnen? Wozu soll ich mich entschließen? . . .

 
Am zehnten Tage, mittags.

Nein, es ist mir nicht möglich, Dir die Angst zu beschreiben, die ich fühle! Was wird noch werden? Für mich ist alles, alles verloren, und ich bin tatsächlich der unglücklichste Mensch, wenn mein Vater die Absicht, mit der er sich trägt, nicht aufgibt . . .

Laß Dir erzählen, was vorgegangen ist . . .

Eben bin ich mit dem Briefe an Dich fertig, und wollte ihn zur Post geben, als der Vater, von dem ich meinte, er schliefe in seinem Zimmer, zu mir in sein Privatkabinett tritt, wohin ich mich zurückgezogen, um Dir zu schreiben. Kaum sah er den vollbeschriebenen Briefbogen liegen, als er mir mit freundlichem Lächeln die Frage stellte, an wen ich geschrieben habe?

»An meinen Freund Max,« antwortete ich.

»O! daß er dir ein guter Freund ist und dein volles Vertrauen genießt, weiß ich ja,« antwortete der Vater, »er ist ein recht glücklicher Mensch!« setzte er hinzu, und mir hörten sich die letzten Worte so an, als ob er einen leichten Vorwurf hineinlegen wolle . . .

Mich berührte das so eigentümlich, daß ich, ohne zu überlegen, ihm den Brief, der für Dich bestimmt war, reichte und ihn bat, doch zu lesen, was ich geschrieben hatte.

Freund! Er hat alles gelesen, Wort für Wort; und weißt Du, was er zu mir sagte, nachdem er eine Zeitlang, in Nachdenken versunken, dagesessen hatte?

»Ich will dir was sagen, Heinrich,« sagte er, »ich werde dem Großherzog über alles, was in Gerolstein vorgefallen, unverzüglich berichten.«

»Vater, um Gottes willen nicht!« rief ich erschrocken.

»Es verhält sich doch alles, was du hier niedergeschrieben, der Wahrheit gemäß?«

»Gewiß, Vater!«

»Dann hast du dich wie ein Ehrenmann betragen, Heinrich, und das wird der Großherzog schon zu würdigen wissen. Aber du sollst dich auch weiterhin des dir bewiesenen Wohlwollens würdig zeigen, und das könnte leicht nicht der Fall sein, wenn du von seinem Anerbieten insoweit Mißbrauch triebest, nach Gerolstein zurückzufahren und dich mit seiner Tochter in ein Verhältnis einzulassen.«

»Aber, Vater, wie können Sie glauben?«

»Soviel ich sehe, bist du leidenschaftlich verliebt, und Leidenschaft wird früher oder später zur schlimmen Ratgeberin.«

»Vater, also wollten Sie dem Großherzog schreiben?«

»Daß du in deine Base närrisch verschossen bist!«

»Das würde mich unglücklich machen, Vater!«

»Nun, bist du verliebt in deine Base oder nicht?« fragte der Vater.

»Ich bete sie an – aber –«

»Nun, dann muß ich dem Großherzog schreiben, muß für dich um die Hand seiner einzigen Tochter anhalten.«

»Vater, an diese Möglichkeit zu denken, ist für mich doch Wahnsinn!«

Aber mein Vater fiel mir ins Wort, indem er seinen ersten Gedanken weiter spann: »Mag sein. Und doch muß ich dem Großherzog über die Sache reinen Wein einschenken. Was mich dazu bestimmt, werde ich ihm auseinandersetzen. Er hat dich mit herzlicher Gastfreundschaft aufgenommen, hat dir alle erdenkliche Güte und Liebe erwiesen. Ihn zu täuschen, wäre weder deiner noch meiner würdig. Ich weiß, wie sehr er die Offenheit liebt. Ich zweifle ja nicht im geringsten, daß er deinen Antrag abschlägig bescheiden wird; aber du wirst dann zum wenigsten wissen, daß du dich der Prinzessin nicht mehr in so ungezwungener Weise nähern darfst.« – Nach einer Weile fuhr mein Vater fort: »Du hast mich den Brief, den du an deinen Freund geschrieben hast, unaufgefordert lesen lassen. Das verdient meinerseits unverhohlene Anerkennung . . . Aber da ich durch diesen Brief alles erfahren habe, was mit dir vorgegangen ist; da ich nun den Zustand deines Herzens kenne, ist es Pflicht für mich, den Großherzog in Kenntnis zu setzen, Pflicht auch gegen dich um deiner Herzensruhe willen . . . Und diese Pflicht werde ich ohne Säumen erfüllen.«

 
Am zehnten Tage, abends.

Lieber Freund! Du weißt, mein Vater ist der beste Mensch auf Gottes Erde, aber von eisernem Willen, wenn es sich um irgend einen Fall handelt, den er für seine Pflicht hält. Du wirst Dir also ausmalen können, welche Unruhe und Angst mich befallen hat . . . Offen und ehrenhaft ist ja der Schritt, den er tun will, ganz ohne Frage, und doch bedrückt er mich unsäglich . . .

Wie wird der Großherzog solch wahnwitziges Begehren auffassen? Wird er sich nicht verletzt dadurch fühlen? Und wird seine Empfindung nicht von der Prinzessin geteilt werden? . . . Wird sie nicht alles Recht dazu haben, mir zu zürnen, daß ich meinen Vater mit solcher Erklärung an den Großherzog herantreten lasse, ohne vorher ihre Einwilligung dazu zu erbitten?

O, bedauere mich, Freund! beklage mich! Weiß ich doch nicht, was ich denken soll! Kommt es mir doch vor, wie wenn ich in einen Abgrund hinunter starrte . . . als ob mich ein gefährlicher Schwindel erfaßte . . .

Laß mich schließen, Freund! Der Brief hat eine unheimliche Länge bekommen . . . und zehn volle Tage habe ich gebraucht, ihn zu vollenden . . . Ich hätte schneller damit fertig sein sollen; aber es ist mir nicht möglich gewesen, anders als bruchstückweis an ihn zu schreiben . . . Noch einmal, Freund, beklage mich, denn wenn dieses Fieber noch länger in mir rasen sollte, dann fürchte ich um meinen Verstand . . . Drum lebe wohl, Freund, drum lebe wohl! Von ganzem Herzen und auf alle Zeit

Dein treuer

Freund Heinrich, Prinz von Herkausen-Oldenzaal.


Und nun möge uns der Leser nach dem Schlosse Gerolstein begleiten, das unsre schöne und liebe Freundin, früher Schalldirne, dann Marienblümchen, jetzt Prinzessin Amalie als einzige Tochter des Großherzogs Günther Rudolf von Gerolstein beherbergt . . .



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