Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Fünftes Kapitel.

Ferrands Strafe.

Wir führen den Leser abermals in Jakob Ferrands Kanzlei, und finden ihn dort in Gesellschaft des Pfarrers der Gemeinde und Bradamantis, alias Polidori. Seit Cecilys Flucht war Ferrand fast unkenntlich geworden. Auf sein leichenfahles Gesicht hatte sich dort, wo die Backenknochen vorstanden, eine fieberhafte Röte gelagert. Seine dürren Hände waren heiß und trocken, und die mit Blut unterlaufenen Augen, schlecht verhüllt durch die großen grünen Brillengläser, glänzten im unheimlichen Feuer eines verzehrenden Fiebers.

Anders das Gesicht Polidoris. Etwas Bittereres, Höhnischeres, Kälteres als die Züge dieses Bösewichtes hätte sich niemand denken können. Die bleiche, von Runzeln bedeckte Stirn war von einem Wald brennendroter Haare eingerahmt; die transparenten, grünlich schimmernden Augen standen dicht über einer scharfgebogenen Habichtnase, und der Mund mit den dünnen, eingezogenen Lippen verriet Heimtücke und Bosheit.

Beide standen, als sie des Pfarrers ansichtig wurden, auf . . . »Nun, mein würdiger Freund Ferrand,« fragte der Abbé, »wie stehts um Ihr Befinden?« – »Ich kann von einer Besserung noch immer nichts verspüren,« antwortete Ferrand, »das Fieber will nicht weichen, und die Schlaflosigkeit bringt mich schier um . . . Aber Gottes Wille geschehe!« – »Herr Abbé,« sagte seinerseits Polidori, »mit meinem lieben Freunde Ferrand wirds, wie es scheint, nun und nimmer anders: er findet Linderung seiner Leiden nur im Wohltun.« – »Verschwenden Sie, bitte, nicht Lobesworte an mich, die ich nicht verdiene,« sagte der Notar trocken, kaum imstande, Zorn und Haß zu verbergen; »über Gute und Böse zu richten, steht nur dem Herrn zu. Ich bin nichts als ein elender Sünder.« – »Wir sind allzumal Sünder,« entgegnete der Abbé, »besitzen aber nicht alle die christliche Liebe, die Sie auszeichnet, mein würdiger Freund! Wieviel oder, richtiger, wie wenige gibts hienieden, die sich gleich Ihnen losreißen von dem irdischen Gut und nur darauf sinnen, als wahre Christen wohlzutun und mitzuteilen? . . . Eine Frage: sind Sie noch immer gewillt, sich Ihres Amtes zu entäußern?« –

»Ich habe meine Kanzlei gestern verkauft, Herr Abbé, und was wohl zu den Seltenheiten gehört, sie ist mir bar auf Heller und Pfennig bezahlt worden . . . Was ich dabei gelöst habe, soll zu der Anstalt verwendet werden, über deren Gründung ich schon mit Ihnen gesprochen habe, und deren Plan nunmehr endgiltig feststeht. Ich werde Ihnen denselben vorlegen.« – »O, mein würdiger Freund,« sagte der Geistliche mit Bewunderung, »Leute wie Sie sind wirklich selten und nicht genug zu preisen.« – Mit einem Lächeln voll Ironie, das aber dem Abbé entging, bemerkte hierzu Polidori: »Menschen, die Reichtum mit Frömmigkeit, Verstand mit Gemeinsinn verbinden, gehören eben, wie Sie sagen, zu den Seltenheiten!« – Ob dieser abermaligen Ironie ballte Ferrand abermals wild die Fäuste. Aber ein Seitenblick Polidoris hielt ihm im Zaume, und dann drängte er allen Grimm in einen Seufzer zusammen, den wohl jeder andere gehört und richtig gedeutet hätte als der fromme Geistliche, der über der frommen Stiftung, die seiner Pfründe winkte, alles andere vergaß. Polidori wandte sich zu ihm mit der Frage, ob er nicht auch wahrgenommen habe, daß sich Ferrands Gemütsstimmung seit dem in seinem Hause durch die Luise Morel verursachten Skandale so stark verschlimmert habe? – Während es den Notar kalt überrieselte, fragte der Abbé: »Ist denn Ihnen die Sünde dieses Mädchens auch schon bekannt? ich dachte, Sie seien erst vor wenigen Tagen nach Paris gekommen?« – »Das wohl! Aber Jakob hat mir, als seinem Arzte und Freunde, alles gebeichtet; er schreibt die Nervenzerrüttung, die ihn befallen, einzig und allein dem Unwillen zu, der ihn über Luisens Sündhaftigkeit erfüllt. Aber noch andere herbe Schläge sollten ihn heimsuchen, und zwar in unmittelbarer Folge! Eine seit langen Jahren in seinem Hause bedienstete Frau . . .«

»Doch nicht die Frau Seraphim?« fiel der Pfarrer ihm ins Wort, »es ist mir zu Ohren gekommen, daß die unglückliche Frau durch einen unglücklichen Zufall ums Leben gekommen ist. Nun, zehnjährige treue Dienste vergißt man nicht so leicht, und eine derartige Treue gereicht dem Herrn wie dem Diener zur Ehre.« – »Ich beschwöre Sie, Herr Abbé,« antwortete der Notar, »lassen Sie mich mit Lobsprüchen aus dem Spiele –«

»Aber wer soll Ihnen sonst gerecht werden?« warf Polidori ein, »lassen Sie sich durch solche Reden nur nicht irritieren, Herr Abbé; Sie bekommen noch weitere Unglücksschläge zu hören! Die Person, die nach Luise Morel und der Frau Seraphim dem lieben Ferrand die Wirtschaft geführt hat, kennen Sie wohl nicht? Es war eine gewisse Cecily . . .«

Ferrand sprang wie von einer Tarantel gestochen in die Höhe. Unter seinen Brillengläsern flammten die Augen wie Blitze, und über sein bleiches Gesicht schoß glühende Röte . . . »Schweig! Schweig!« rief er; »kein Wort mehr! Ich verbiete es dir!« – »Aber so seien Sie doch nur ruhig!« sagte der Abbé, »und lassen Sie mir von Ihrem Freunde berichten, welch neue Handlung des Edelsinns ich an Ihnen zu preisen habe . . . Ich kenne diese Person nicht, denn unser Freund hat seit einiger Zeit die Beziehungen zur Kirche wegen geschäftlicher Ueberbürdung vernachlässigen müssen.« – »Nicht wegen Ueberlast, Herr Abbé, sondern weil er ein neues gutes Werk im Sinne hat, das er Ihnen hat verheimlichen wollen . . . Weil mein lieber Freund bei seiner neuen Hausverwalterin alle Tugenden vorfand, Züchtigkeit, Sanftmut und Frömmigkeit, hat er sich entschlossen, ihr schon bei Lebzeiten ein Legat auszusetzen, das sie in den Stand setzt, in ihrer Heimat wohlzutun und mitzuteilen . . . Ja, er ist noch weiter gegangen, indem er dieser würdigen Person Urlaub auf unbestimmte Zeit erteilt hat, damit sie die nötigen Veranstaltungen zu den Spenden, die sie durch diese edelsinnige Freigebigkeit ihres Brotherrn austeilen kann, selbst treffe. – Und auch dies ist noch nicht alles: Es ist ihm zu Ohren gekommen, daß eine adelige Dame, eine Frau von Fermont, mit ihrer Tochter unverschuldeterweise in Not und Elend geraten ist. Dieser Dame hat er heute bare hunderttausend Franks bei seiner Bank überwiesen, mit dem Bedingnis, daß sie jährlich eine Messe lesen lassen solle für das Seelenheil derjenigen Menschen, die vielleicht mit Schuld tragen an dem Unglück, das diese Dame betroffen hat . . . Und noch ein drittes, Herr Abbé: und gerade aus diesem letzten Beispiele werden Sie ersehen, wie weit die Edelherzigkeit unseres immer im Verborgenen wirkenden Wohltäters geht.« – »O, erzählen Sie, bitte!« rief der Abbé. »Ich brenne darauf, von allen Taten unseres verehrten Freundes Kenntnis zu erhalten.«

»Erwägen Sie, Herr Abbé, diese letzte Tat in ihrer ganzen Größe!« nahm Polidori wieder das Wort; »Sie wissen, daß die schlechte Aufführung jener Luise Morel ihren Vater dermaßen erschüttert hat, daß er um seinen Verstand kam, aber das entsetzliche Elend, das hierdurch über die Familie selbst kam, hat unsern Freund bestimmt, ihr jährlich eine Rente von 2000 Franks auszusetzen, so daß sie aller unmittelbaren Not überhoben ist. Die Rente – und hierin kommt ein weiteres wichtiges Moment zur Beurteilung unsers Freundes zur Geltung – soll nach Morels Tode auf seine Frau und auf die Kinder übergehen,«

Polidori, solange Zeit über Ferrands Mitschuldiger, weidete sich daran, ihn mit all seinen Sünden zu foltern: den Habsüchtigen durch Habsucht, den Heuchler durch Heuchelei, den Wollüstigen durch Wollust; und daß er ihn im tiefsten Innern traf, das stand auf dem Gesichte des Elenden deutlich zu lesen.

»Und nun komme ich zum Schlusse,« nahm Polidori wieder das Wort; »unser geliebter Freund hat die Bekanntschaft eines andern Wohltäters der Menschheit gemacht, der sich unter dem Namen eines Herrn Rudolf verbirgt, und im Verein mit diesem hat er sich zur Gründung eines Bankhauses für Arme zusammengetan, wo sich der kleine Handwerker, der unbemittelte Beamte, in Not geratene Witwen, bestrafte Missetäter, die wieder als ehrliche Menschen leben wollen, unverzinsliche Darlehen gegen Bürgschaft oder auf Pfänder verschaffen können, mit dem Rechte der zweijährigen Rückzahlung oder Einlösung. Jeder der beiden Gründer zahlt 50 000 Franks als Grundstock ein, und als Direktor wird Herr Franz Germain eingesetzt mit einem Jahresgehalt von 8000 Franks, und zwar auf speziellen Wunsch des Stifters Ferrand, der die Rechtschaffenheit und den Fleiß dieses achtbaren jungen Mannes auf diese Weise nicht bloß belohnen, sondern auch vor aller Welt dokumentieren will . . . Verdient solcher Edelsinn nicht allgemeine Bewunderung, Herr Abbé?« – »Unstreitig, lieber Freund, unstreitig,« rief dieser, schier verzückt vor Bewunderung, »mich setzt in der Tat nichts an ihm mehr in Erstaunen. Früher oder später mußte solcher Wohltäter der Menschheit zu solchem Schritte gelangen: solche Anstalt ist das erhabenste Denkmal, das sich ein Mensch setzen kann.« – »Und doch hat es nach wie vor Leute gegeben, die solchen Ehrenmann als Geizhals verschrien haben« rief mit scheinbarer Entrüstung Polidori; dann wandte er sich an den Notar mit der Aufforderung, die letzten Paragraphen des für die Armenbank festgesetzten Statuts dem Abbé selbst vorzulesen. Mit sichtlichem Widerstreben und sich wiederholt mit der Hand über die Stirn streichend, griff Ferrand zu dem Schriftstück und las, oft stockend:

»Zum Direktor der Bank wird Herr Franz Germain bestellt, als Hausverwalter der Pförtner des Hauses Rue du Temple Nr. 17, Herr Pipelet, gewählt. Es wird ein Aufsichtsrat eingesetzt, bestehend aus Herrn Abbé Dumont, dem Maire und dem Friedensrichter des Stadtbezirks. Die Eröffnung der Bank wird in den größeren Blättern Frankreichs inseriert, vorwiegend in solchen, die von Leuten gelesen werden, zu deren Nutzen die Bank arbeiten soll. – Die Stifter wiederholen zum Schlusse, daß sie keinerlei Verdienst beanspruchen an der Wohltat, die sie für einen Teil der Menschheit damit im Sinne haben. Der einzig leitende Gedanke dabei ist das Wort unseres Heilandes: Liebet euch untereinander!«

Ferrand beide Hände inbrünstig drückend, rief der Abbé: »Ihr Platz wird droben im Himmel neben dem sein, der diese hehren Worte gesprochen hat!«

Die Kräfte drohten Ferand zu verlassen, und ohne auf die letzten Worte des Abbés zu antworten, behändigte er ihm die zur Gründung der Anstalt und zur Stiftung der Rente für Morel und seine Familie notwendige Summe . . . »Ich darf wohl annehmen, Herr Abbé,« sagte er, »daß Sie dieses Amt nicht ablehnen. Zudem wird ein Fremder, Sir Walter Murph mit Namen, der mir im Auftrage seines Herrn bei dem Entwurfe des Planes zur Gründung der Armenbank beigestanden hat, Ihnen einen großen Teil der hierzu notwendigen Arbeit abnehmen und sich Ihnen, sofern Sie es wünschen, schon heute zur Verfügung stellen. Und nun,« setzte er hinzu, »haben Sie wohl die Güte, mich allein zu lassen. Ich bin sehr erschöpft.« – »Verzeihen Sie, Herr Abbé,« setzte Polidori hinzu, »als Arzt meines Freundes muß ich ihm Ruhe zubilligen. Ich kann Sie auch nicht gleich begleiten, sondern werde wohl noch zu einem physischen Aderlasse schreiten müssen.«

Der fromme Herr verstand die Anspielung nicht, obgleich er hätte sehen müssen, daß Ferrand zusammenzuckte. Er unterschrieb die Quittung, sprach noch ein paar salbungsvolle Worte und ging.

Kaum aber hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, als Ferrand einen schrecklichen Fluch ausstieß. Die so lange verhaltene Wut und Verzweiflung brachen ungestüm hervor. Mit verzerrten Zügen und unstetem Blick rannte er im Zimmer umher wie ein wildes Tier an der Kette. Mit kalter Ruhe beobachtete Polidori sein Opfer. Mit gräßlicher Stimme rief Ferrand endlich: »Den Satan über dich! all mein schönes Geld geht in diesen windigen frommen Stiftungen zum Teufel! Mich Menschenverächter zwingt man zu solchem Blödsinn! Ist denn dein Herr der Teufel in Person?« – Ohne die geringste Aufregung zu zeigen, antwortete Polidori: »Ich habe keinen Herrn, Ferrand, wohl aber, wie du, einen, der über mich richtet!« – »Ha! Daß ich mich dieser Fuchtel beugen muß!« knirschte Ferrand, »wofür habe ich zusammengescharrt mein Leben lang? Wenn mir jetzt viel bleibt, so sind's knapp hunderttausend Franks . . . Und dich Elenden hat man mir zum Kerkermeister gesetzt!« – »Das entspricht ganz dem Systeme des Fürsten Rudolf,« antwortete Polidori, »er straft das Verbrechen durch das Verbrechen, den Verbrecher durch seine Kumpane. So wie du habe auch ich das Schafott verdient, und wenn ich gegen die Befehle handle, die ich als dein Kerkermeister bekommen habe, dann fällt eben mein Kopf. Ein unbestechlicherer Hüter hätte dir nicht gesetzt werden können. Fliehen können wir auch nicht, denn wir können keinen Schritt aus dem Hause setzen, ohne den Leuten in die Hände zu stürzen, die Tag und Nacht vor der Tür lauern. Fügst du dich aber, wie auch ich es muß, dann sind wir wenigstens sicher, keinen Kopf kürzer gemacht zu werden. Lassen wir also alles Gelüst zu Widerstand!«

»Ha! Wohin ich mich wende, überall Verderben, überall Schande und Tod! Und was ich am meisten fürchte, von allem in der Welt am meisten, das ist eben der Tod! Fluch über mich, über dich, über die ganze Welt!« – »Dein Haß umfaßt die Welt und deine Liebe nur Paris, höchstens, wenn deine Bankgründung weite Bahnen zieht, noch Frankreich . . . Ich meine, das wäre doch wenigstens ein Trost!« – »Ha! Spotte nur, du Unmensch!« zischte Ferrand. – »Wer ist schuld gewesen, daß wir in diese Lage gerieten!« erwiderte Polidori; »Niemand als du! Warum hast du meinen Brief wie eine Reliquie am Halse getragen? den Brief, der sich auf den Mord bezog, aus dem du hunderttausend Franks gewannest? da es uns so glückte, ihn als Selbstmord auszuspielen?« – »Warum, Elender? Hast du nicht die Hälfte für deine Mittäterschaft bekommen?« zischte Ferrand, »trug ich den Brief nicht bei mir als ein Schutzmittel gegen dich? um dir die Lust zu weiteren Erpressungen zu benehmen? Auf diese Weise wußtest du doch, daß du mich nicht verraten könntest, ohne dich mit mir zu verderben! An diesem Briefe hingen also mein Leben und Vermögen, und aus diesem Grunde habe ich ihn fortwährend als einen Schatz bei mir getragen.« – »Freilich, das war nicht ungeschickt von dir, denn wenn ich dich verriet, konnte ich weiter nichts gewinnen als den Weg mit dir aufs Schafott, und doch hat uns deine Ueberklugheit ins Unglück gebracht, während uns mein Verhalten noch immer vor Strafe für dieses Kapitalverbrechen bewahrt hat. War es meine Schuld, daß mein Brief eine zweischneidige Waffe war? Weshalb mußtest du so töricht sein, diesem Satan von – Cecily solch furchtbare Waffe in die Hände zu liefern?« – »Still! Nenne dies Weib nicht mehr!« schrie Ferrand, dessen Gesicht sich vor Wut verzerrte.

»Nun, bloß keine Krämpfe wieder!« sagte Polidori kalt, »soviel steht aber fest, daß unsre Vorsichtsmaßregeln für gewöhnliche Justizverhältnisse ausreichten. Die außergewöhnliche Justiz des Mannes aber, in dessen Hände wir geraten sind, geht andere Wege! Er konnte dir durch den gewöhnlichen Rechtsweg den Kopf abschlagen lassen; was aber wäre die Folge gewesen? Deine einzigen beiden Verwandten sind tot, also hätte der Fiskus dein Vermögen eingezogen zum Nachteile derer, die du in Schaden gesetzt hast . . . Dadurch aber, daß er so verfährt, ist Morel mit seiner Familie in Zukunft vor Not geschützt; Frau von Fermont, Herrn von Rennevilles Schwester, bekommt ihre hunderttausend Franks wieder – ob er jetzt als Selbstmörder gilt oder nicht, kann ihm und den Seinigen wenig nützen . . . Germain, von dir unrechter Weise zum Diebe gemacht, bekommt seinen ehrlichen Namen wieder und zugleich eine ehrenvolle und gesicherte Lebensstellung . . . Durch deinen Tod durch Henkershand hätte die menschliche Gesellschaft nicht das geringste gewonnen: dadurch, daß dir das Leben geschenkt wird, gewinnt sie sehr viel.«

»Eben das versetzt mich ja in solche Wut! Aber – es ist nicht meine einzige Qual.« – »Das weiß Fürst Rudolf, der uns das Leben versprochen hat, wenn wir seine Befehle blindlings vollziehen. Wenn ich auch nicht weiß, was er ferner über uns beschließen wird, so weiß ich doch, daß er sein Versprechen halten wird, aber auch, daß er, sollte er meinen, daß wir unsre Verbrechen noch nicht hinlänglich gebüßt, es dahin bringen wird, daß wir den Tod dem Leben, das er uns läßt, tausendmal vorziehen werden. Du kennst den Fürsten nicht! Hält er sich für berechtigt, keine Gnade walten zu lassen, so ist kein Feuer grausamer.« – »Ich werde tun, was du verlangst, sofern ich nur lebe, denn sterben mag ich nicht. In der Kirche wird gepredigt von denen, die verdammt sind; aber für diese ist noch keine Strafe ersonnen worden, die der von mir empfundenen gleich käme. Mich quält sowohl Liebe als Haß, und statt einer einzigen fühle ich doppelte Wunden. So schrecklich mir der Verlust meines Vermögens ist, so würde der Tod mir doch noch schrecklicher sein. Und doch wird mir das Leben nur eine Qual sein ohne Ende, während ich den Tod um deswillen scheue, weil er mir das Glück, meine Phantasie mit dieser Cecily zu nähren, raubt.«

»Dir winkt wenigstens der eine Trost,« sagte Polidori mit seiner gewöhnlichen Ruhe, »daß du an all das Gute denken darfst, womit du deine Verbrechen gesühnt hast.« – »Ja, spotte nur,« versetzte der Notar grimmig, »du weißt recht gut, wie sehr ich die Menschen hasse, und wie fuchswild ich bin über solchen Unsinn von Buße, der sich ganz hübsch ausnimmt bei alten Huren und Betschwestern! Hol mich der Satan! Andere sollen sich mästen von dem Gelde, das ich in all den Jahren zusammengescharrt habe? Das ist ein Gedanke, an dem ich noch allen Verstand einbüße! Obendrein noch diese pfäffische Salbaderei, während mir das Herz in Blut und Galle schwamm! Ha! umbringen hätte ich ihn können, wenn ich allein mit ihm gewesen wäre! O, es ist zuviel, es ist zuviel! . . . Mir verwirrt sich tatsächlich alles in meinem Kopfe, solchen Anwandlungen ohnmächtiger Wut, solchen ewig sich erneuernden Qualen kann ich nicht widerstehen . . . und das alles um dieser Cecily halber! Ha, ob diese Kreatur es ahnt, was ich um ihretwillen leide! Weißt du es, Cecily, daß du mein Dämon wärest?«

Erschöpft und fast außer Atem, sank er auf einen Sessel nieder und rang die Hände. Aber Polidori wunderte sich nicht über diese Ausbrüche von Wut und Grimm, denn als Arzt entging es ihm nicht, daß der Grimm über sein Vermögensverlust und seine unbefriedigte Liebesraserei dem Notar ein schleichendes Fieber zugezogen hatte. Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn in seiner Betrachtung darüber . . . »Jakob,« flüsterte er, »raffe dich zusammen! Es kommt jemand.« – Aber Ferrand hörte das Klopfen nicht: in krampfhaften Zuckungen wand er sich, halb auf dem Schreibtische liegend. –

Polidori öffnete die Tür. Der Bureauvorsteher verlangte, am ganzen Leibe zitternd, auf der Stelle seinen Prinzipal zu sprechen. – »Ich glaube nicht,« antwortete Polidori, »daß Sie damit Glück haben werden, denn Herr Ferrand befindet sich zurzeit keineswegs wohl.« – »Herr,« rief der andere, »Sie sind sein bester Freund. Kommen Sie auf der Stelle herüber! Wir dürfen keinen Moment versäumen. Denken Sie, die Gräfin Mac Gregor, die wieder aus aller Gefahr zu sein scheint, zitierte mich zu sich und herrschte mir in heftigem Tone zu: ›Der Schuft von Ferrand soll sich auf der Stelle zu mir bemühen, wenn ich ihn nicht als Fälscher zur Anzeige bringe. Sagen Sie ihm, das Mädchen, das er für tot ausgegeben, sei nicht tot; ich wüßte, wem er es überantwortet, und wo es zurzeit sich aufhält.‹«

Polidori erwiderte, die Achseln zuckend: »Die Dame faselt im Fieber.« – »Es mag sein,« sagte der Bureauvorsteher, »wie könnte man sich sonst derartige Bedrohung eines rechtlichen Mannes erklären?« – »Sonst nichts weiter?« fragte Polidori. – »Gerade als ich wegging,« sagte der andere, »trat eine Zofe in das Zimmer der Gräfin und meldete den Besuch Seiner königlichen Hoheit binnen längstens einer Stunde an.« – »So! Hm, ohne Zweifel der Fürst,« dachte Polidori bei sich, »und doch hatte er geschworen, die Gräfin nie mehr wiederzusehen . . . Das will mir gar nicht gefallen, denn das kann schlimm für uns ausgehen . . .« Sich an den Bureauvorsteher wendend, sagte er: »Es hat beides nichts auf sich . . . verlassen Sie sich drauf! Immerhin werde ich dem Herrn Notar unverzüglich Mitteilung machen, sobald er wieder wohl ist.«



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