Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Neuntes Kapitel.

Nachforschungen.

Rudolfs ständige Wohnung war nicht das Haus in der Allée des Veuves, sondern einer der vornehmsten Paläste in der Vorstadt Saint-Germain am Ausgange der Rue Plumet. Bei seiner Ankunft in Paris hatte er, um den ihm als Souverän zustehenden Ehren aus dem Wege zu gehen, durch seinen Geschäftsträger bei dem französischen Hofe die Erklärung abgeben lassen, daß er als Graf von Düren zu leben beabsichtige. Aber dieses übrigens ziemlich durchsichtige Inkognito schloß nicht aus, daß er ein ziemlich großes Haus führte.

In einem großen Zimmer des Erdgeschosses saß um die zehnte Stunde Murph an einem Sekretär und versiegelte verschiedene Depeschen. Da riß ein schwarzkostümierter Huissier, der eine silberne Kette um den Hals trug, die beiden Flügel der aus dem Vorzimmer zu diesem Privatkabinett Rudolfs führenden Tür auf und meldete Seine Exzellenz den Herrn Baron von Graun. – Murph begrüßte, ohne sich in seiner Arbeit stören zu lassen, den eintretenden Herrn durch einen kordialen Händedruck . . . »Wärmen Sie sich ein bißchen, Herr Botschafter«, sagte er verbindlich, »ich bin im Moment zu Ihren Diensten.« –

»Sir Walter Murph, Geheimsekretär Seiner durchlauchtigsten Hoheit«, erwiderte frohgelaunt der Baron, ein Mann im fünfzigsten Jahre, mit dünnem, grauem, leicht gepudertem Haar, dessen Gesicht Schlauheit, dessen Haltung den vornehmen Herrn verriet, »soll ich warten, bis Hoheit aufgestanden sind? Oder soll ich ihm die Nachrichten, die ich für ihn habe, auf der Stelle übermitteln?« – »Nein, mein lieber Baron«, erwiderte Murph, »Hoheit haben befohlen, ihn vor zwei Uhr nachmittags nicht zu wecken. Sagen Sie mir also, was für Nachrichten Sie bringen. Sobald Hoheit aufgestanden sind, werde ich sie ausrichten.« – »Die letzten Depeschen, die ich Seiner Hoheit überbringen konnte«, begann Exzellenz Graun – . . . »meldeten«, fiel Murph ihm ins Wort, »daß drüben alles gut gehe.« –

»Es ist auch in der Tat nur eine Stimme über die kluge, feste Verwaltung unseres interimistischen Regenten. Freilich liegen auch die Dinge recht einfach«, bemerkte der Baron, »war doch das Uhrwerk ausgezeichnet und von unserm Herrn und Gebieter ausgezeichnet geregelt, brauchte also nur regelmäßig aufgezogen zu werden, um tagtäglich Stunde für Stunde anzuzeigen.« – »Und hier, lieber, Baron, gibts gar nichts Neues?« fragte Murph; »ist wirklich nichts ruchbar geworden? All unsre geheimnisvollen Abenteuer . . .« – ». . . sind nach wie vor für jedermann Geheimnis«, ergänzte Exzellenz den Satz; »man hat sich seit der Ankunft von Hoheit am Pariser Hofe daran gewöhnt, ihn nur selten zu sehen, und glaubt, er liebe die Einsamkeit, mache vielleicht auch recht viel Ausflüge in unsere schöne Umgebung. Niemand als die Gräfin Sarah Mac Gregor und ihr Bruder Tom Seyton of Halesbury und Charles weiß etwas von den Verkleidungen Seiner Hoheit. Aber keine von diesen drei Personen hat das geringste Interesse, etwas darüber verlauten zu lassen.« – »Ein recht, recht großes Unglück, lieber Baron«, sagte Murph, »daß diese liebe Gräfin jetzt Witwe geworden.« – »Sie hatte sich doch 1827 verheiratet?« – »Ganz recht, kurz nach dem Tode des unglücklichen Mädchens, das jetzt sechzehn oder siebzehn Jahre alt wäre, und das Seine Hoheit noch immer beweint, wenn auch nicht mehr von ihm gesprochen wird.«

»Die Trauer über diesen Verlust läßt sich um so leichter erklären, als Seiner Hoheit Ehe kinderlos geblieben ist.« – »Daher erklärt sich wohl auch das Interesse, das Seine Hoheit an dem armen Mädchen nimmt, das unter dem Namen Schalldirne von ihm aufgefunden wurde, und das mit seiner so schmerzlich beklagten Tochter im gleichen Alter steht.« – »Es ist wirklich eine unglückliche Schicksalsfügung, daß jene Sarah, von der man für alle Zeit befreit zu sein glaubte, gerade anderthalb Jahre nach dem Tode der trefflichen Gemahlin Seiner Hoheit wieder auftaucht. Die Gräfin sieht sicher diesen doppelten Witwenstand für eine Gunst des Schicksals an.« – »Und ihre maßlosen Hoffnungen leben von neuem auf, trotzdem sie recht gut weiß, welch tiefe Abneigung Seine Hoheit gegen sie im Herzen fühlen. Gott gebe, daß sie nicht neues Unglück über uns bringe! Stehen wir doch gerade in jenem grauenvollen Monate und nicht mehr weit vom 13. Januar. An diesem gräßlichen Tage beschleicht mich immer Furcht, daß unserm gütigen Herrn . . .«

»Aber ich sagte Ihnen doch schon, daß Gräfin Sarah die törichtsten Pläne verfolgt, seitdem der Tod jenes armen Mädchens das letzte Band zerrissen hat, das unsern Herrn noch an sie fesseln konnte. Verharrt sie bei ihren Hoffnungen, so muß sie tatsächlich von Sinnen sein.« – »Und wenn sie es ist, dann ist sie nur um so gefährlicher«, erwiderte Murph, »ihr Bruder teilt, wie Ihnen ja bekannt ist, die ehrgeizigen Neigungen der Schwester, trotzdem wohl Ursache genug vorhanden wäre, beide davon zu bekehren.« – »Es war doch ein bitteres Unglück, das vor achtzehn Jahren durch den teuflischen Abbé Polidori angezettelt wurde.« – »Seit einem Jahre soll sich der Schurke in großer Armut befinden, wieder hierherum sich aufhalten und den Lebensunterhalt durch den Betrieb einer höchst verwerflichen Industrie gewinnen.« – »Welch ein tiefer Fall für einen Mann von so umfassenden Kenntnissen, von solchem Geist und solcher Klugheit!« – »Aber mit einem so bösen Herzen! – Gebe Gott, daß er der Gräfin Wege nicht kreuzt, denn von einer Verbindung dieser beiden bösen Geister hätten wir die größten Gefahren zu befürchten. Ein Glück, daß Sie mir, wie Sie sagen, beruhigende Nachrichten bringen – Nachrichten, die auf den von dem Räuber Bakel und seiner Genossin, der Eule, gegebenen Auskünften beruhen.«

»Hier sind die diesbezüglichen Papiere«, sagte der Baron, »die uns über die Herkunft des unter dem Namen der Schalldirne bekannten Mädchens unterrichten, wie auch über den dermaligen Aufenthalt von François Germain, dem Sohne des unter dem Namen Bakel bekannten Räubers.« – »Es wäre mir lieb, wenn Sie mir diese Auskünfte vorlesen wollten«, sagte Murph, »ich weiß, welche Absichten Seine Hoheit verfolgt, vermag also zu beurteilen, ob die Auskünfte, die Sie bringen, ausreichend sind oder nicht. Mit Ihrem Geschäftsträger sind Sie doch noch immer zufrieden?« – »Er ist ein verständiger und verschwiegener Mann«, erklärte der Baron, »hin und wieder ist es gut, ihm einen Dämpfer aufzusetzen, denn gewisse Aufklärungen – das wissen Sie ja – behält sich unser Herr selbst vor.« – »Und welchen Anteil Seine Hoheit an dem allen nimmt, beziehungsweise hat, ist ihm noch immer nicht bekannt?« – »Nein. Meine diplomatische Stellung dient mir als guter Vorwand für die Erkundigungen, mit denen ich ihn beauftrage. Sein Name ist Badinot. Er hat viele Unteragenten und ist mit fast allen Klassen der Gesellschaft in enger Beziehung. Er war früher Rechtsanwalt, büßte aber seine Praxis wegen verschiedener Unregelmäßigkeiten in seinen Amtsgeschäften ein, ist aber natürlich noch immer über die finanziellen und gesellschaftlichen Verhältnisse der meisten seiner Klienten unterrichtet. Er ist ja kein schlimmer Mensch, lieber Murph, aber eine jener geheimnisvollen Existenzen, wie sie eben nur in Paris möglich sind. Aber befassen wir uns doch mit den Nachweisen, wie ich sie nach Badinots Berichten zu Papier gebracht habe.« – »Gewiß, lieber Baron!« erwiderte Murph, »ich bin ganz Ohr.« – Und Exzellenz von Graun las, wie folgt:

»Ausweis über Marienblümchen. – Zu Anfang des Jahres 1827 hat ein gewisser Peter Tournemine, im Bagno zu Rochefort als Fälscher interniert, der unter dem Spitznamen »Eule« bekannten Frau Gervais gegen eine einmalige Vergütung von eintausend Franks ein Mädchen im Alter von 5–6 Jahren in Pflege gegeben. Das Kind blieb zwei Jahre bei der Frau, ist aber dann, weil es die schlimme Behandlung der bösen Frau nicht mehr ertragen konnte, spurlos verschwunden. Erst vor etwa sechs Wochen hat es ein Zufall gefügt, daß die Eule den Aufenthalt des Mädchens entdeckte. Unter dem Namen Schalldirne fand sie es in einer Winkelschenke von Alt-Paris wieder. Kurz vorher hatte besagter Tournemine, der mit dem anderen Bagnosträfling Bakel in Rochefort bekannt geworden war, einem Manne namens Rotarm, der mit allen Sträflingen Verkehr unterhält, ein ausführliches Schreiben über das Kind behändigt, woraus hervorgeht, daß Tournemine im Auftrage einer Frau Seraphim, Haushälterin eines Notars Jules Ferrand, die Eule als Kinderpflegerin ausfindig gemacht hat. Rotarm sollte nun diese Frau Seraphim tüchtig schröpfen. Hierbei trat jedoch zu Tage, daß sie lediglich vorgeschobene Person von besser und höher gestellten Leuten gewesen ist. Rotarm hatte nun die Eule, die seit langem Genossin Bakels war, von dem Inhalte des Schreibens unterrichtet. Durch Bakel war nun die Kenntnis davon zu Rudolf gelangt, und dieser hatte Erkundigungen über Frau Seraphim und den Notar Ferrand einziehen lassen. Man hatte festgestellt, daß letzterer in der Rue du Sentier Nr. 14 seine Wohnung hätte, als sittenstrenger, äußerst sparsamer und frommer Mann gälte, und daß Frau Seraphim noch immer bei ihm in Dienst wäre, wie auch, daß er ohne Frage Auskunft über die Geburt des unter dem Namen der Schalldirne bekannten Mädchens dürfte geben können.«

»Sehr schön, Herr Baron«, sagte Murph, als Exzellenz Graun hiermit schloß, »ich bezweifle nicht, daß Tournemines Aussagen auf Wahrheit beruhen. Wie aber steht es mit Bakels Sohne?« – Baron Graun gab nun nachstehende Mitteilungen über François Germain: »Vor etwa anderthalb Jahren kam ein junger Mensch, François Germain mit Namen, aus Nantes, wo er in der Bankfirma Noel & Co. angestellt gewesen war, nach Paris. Hier hatte er, wie dem Leser schon bekannt ist, durch einen Mitschuldigen Bakels zu dem Zwecke Anstellung gefunden, den beiden Räubern als Spion zu gelten. Solches Ansinnen hatte der Jüngling aber mit Entrüstung zurückgewiesen, vielmehr seinen Chef von den Plänen, die gegen ihn geschmiedet würden, unterrichtet und Nantes in aller Stille den Rücken gewandt, um sich vor der Rache der beiden Verbrecher in Sicherheit zu bringen. Sobald diese von Germains Verhalten Lunte bekommen, hatten sie Rotarm zu Rate gezogen und mit dessen Hilfe Germains habhaft zu werden gesucht, weil sie durch ihn weiteren Verrat fürchteten. Zwar war es ihnen gelungen, Germains Aufenthalt zu ermitteln, Germain hatte aber vom Fenster aus Bakels Mitschuldigen vor seinem Hause auf und ab gehen sehen und es für geraten gehalten, den beiden Schurken zuvorzukommen. Das war ihm geglückt, und so hatten die Schurken abermals das Nachsehen.

Vor sechs Wochen hatten sie aber ausgekundschaftet, daß er in der Rue du Temple Nr. 17 seine Wohnung hätte, und wenig fehlte, so fiel er ihnen eines Abends auf dem Nachhausewege in die Hände. Hiervon hatte Bakel nichts gesagt, als Rudolf ihn verhörte. Germain wußte, von welcher Seite dieser abermalige Angriff gegen ihn erfolgt war, und wechselte abermals seine Wohnung. So standen nun die Dinge, als Bakel durch Rudolf seine Strafe erhielt. Hier hatten nun die von Rudolf angeordneten Nachforschungen eingesetzt, die folgendes ergeben hatten:

In der Rue du Temple habe Germain etwa ein Vierteljahr gewohnt und sich in der ganzen Nachbarschaft eines sehr guten Leumunds erfreut. Aber wo er sich jetzt aufhalte, darüber könnte allein ein junges Mädchen, »Lachtaube« genannt, eine niedliche Grisette, die mit Germain auf bestem Fuße stände und mit »Marienblümchen« zusammen im Gefängnisse gesessen habe, Auskunft geben.« – Als der Baron hier eine Pause machte, nahm Murph das Wort . . . »Wir sind noch immer nicht zu Ende, Exzellenz«, sagte er, »wissen Sie schon, wie es sich mit dem Marquis von Harville verhält?« – »Ja«, antwortete der Baron, »und wenigstens in finanzieller Hinsicht sind die Befürchtungen Seiner Hoheit grundlos. Badinot behauptet, die Verhältnisse Harvilles seien nie besser und geordneter gewesen als momentan.« – »Hoheit meinte, das Gegenteil müsse der Fall sein, und wäre dem Marquis in diesem Falle mit dem Ihnen ja bekannten Zartgefühl näher getreten. Nun wird er sich freilich darein finden müssen, davon Abstand zu nehmen; aber bedauern wird er es, dessen seien Sie versichert.« – »Dessen brauchen Sie mich doch wahrlich nicht zu versichern«, antwortete der Baron, »hat doch Hoheit nie vergessen, was sein Vater dem Marquis zu verdanken gehabt hat. Sie wissen, daß mein Vater 1815, als die politischen Verhältnisse der europäischen Mächte neu geordnet wurden, nahe daran war, seines Landes verlustig zu gehen, und daß der Marquis, der sehr viel bei dem Zaren Alexander galt, meinem Vater die wichtigsten Dienste leistete, um ihm Land und Herrschaft zu erhalten.« – »Seltsam, wie sich gute Handlungen zuweilen aneinanderfügen! Harvilles Vater war 1792 des Landes verwiesen worden und fand nun beim Vater Seiner Hoheit die gastfreundlichste Aufnahme, reiste nach dreijährigem Aufenthalt an unserm Hofe nach Rußland und konnte durch Alexanders Gunst dem Fürsten den Dank für dessen Freundschaft sehr schnell abstatten.« – »Aus dem Jahre 1815 datiert wohl auch die Freundschaft zwischen dem damaligen Prinz Rudolf und dem jungen Harville?« – »Ganz recht, und beide erinnern sich der glücklichen Zeit ihrer Jugend mit lebhafter Freude. Aus dem Grunde hat auch die arme Madame Georges sich des Wohlwollens Seiner Hoheit in so großem Maße zu erfreuen.« – »Madame Georges? Duresnels Frau?« rief der Baron verdutzt, »die Frau des als Bakel bekannten Verbrechers? Ist die Frau denn mit Harville verwandt?« – »Sie ist die Cousine seiner Mutter und war mit ihr eng befreundet, genoß auch das Wohlwollen des alten Marquis.« – »Aber wie konnten Harvilles in eine Heirat mit solchem verbrecherischen Menschen wie diesem Duresnel willigen?« – »Ihr Vater, ein Herr von Lagny, war vor dem Ausbruch der Revolution in Languedoc Verwalter der Staatsmagazine und im Besitz eines sehr bedeutenden Vermögens. Es gelang ihm, sich der Landesverweisung, die über den gesamten Adel von Frankreich verhängt wurde, zu entziehen. Als im Lande wieder einigermaßen Ruhe herrschte, hielt Duresnel um die Hand von Lagnys Tochter an. Lagny wollte seine Tochter versorgen, und da Duresnel einer sehr guten Familie entstammte, auch ein großes Vermögen besaß, schien der Tochter das größte Glück zu winken. Aber sehr bald offenbarte sich der wahre Charakter dieses Menschen, der ein Verschwender und leidenschaftlicher Spieler war und die arme Frau in das tiefste Unglück stürzte. Binnen wenigen Jahren hatten die maßlosen Ausschweifungen des Mannes sein und seiner Frau Vermögen verschlungen; Duresnel verfiel, um Geld zu machen, dem Verbrechen in die Arme, beging erst Fälschungen, dann Diebstähle und Räubereien und wurde zuletzt zum Mörder. Der Krug ging auch bei ihm nur solange, bis er zerbrach. Er wurde verhaftet und zu lebenslänglichem Bagno verurteilt, während seine arme Frau in Not und Elend geriet.« – »In dieser traurigen Lage wendete sie sich doch an die Marquise von Harville, ihre beste Freundin und Blutsverwandte?« – »Die Marquise war schon einige Zeit vor Duresnels Verurteilung dahingeschieden. Zu ihren Angehörigen zurückzukehren, litt des armen Weibes Scham nicht, aus diesem Grunde nahm sie auch den Namen Georges an. Dagegen offenbarte sie sich dem Herrn Harville als dem Sohne ihrer besten Freundin, und durch ihn lernte unsre Hoheit ihn kennen. Dabei erfuhr Hoheit das verwandtschaftliche Verhältnis, in welchem Frau Georges zu der Familie Harville steht?« – »Jawohl. Hoheit lernte die Frau bald recht gut kennen und nahm sich ihrer aufs edelste an, kaufte die Meierei Bouqueval für sie, hat aber, weil er seine Wohltaten, wie Sie wissen, nicht gern an die große Glocke hängt, mit Herrn Harville bis jetzt noch kein Wort darüber gesprochen. In Bouqueval lebt jetzt auch das unter den Namen Marienblume und Schalldirne bekannte Mädchen.« – »Nun finde ich Verständnis für das doppelte Interesse, das Seine Hoheit an der Auffindung des Sohnes dieser armen Frau hat.« – »Wie steht es denn eigentlich um diese Gräfin Mac Gregor?« – »Vor etwa siebzehn Jahren führte ein unglücklicher Zufall den Vater des Marquis mit Sarah Seyton of Halesbury zusammen in eine Gesellschaft, die beim englischen Botschafter gegeben wurde. Der alte Herr gab ihr, als sie mit ihrem Bruder Tom Deutschland bereiste, Empfehlungsschreiben an den Vater Seiner Hoheit mit, mit dem er in Korrespondenz stand. Wäre dieser Fall nicht eingetreten, so wäre wohl manches Unglück erspart geblieben, denn Hoheit hätten dann dieses Weib überhaupt nicht kennen gelernt. – Bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich der Depesche, jenes andere teuflische Geschöpf betreffend: Cecily, die unwürdige Gattin des ehrenwerten David.« – »Unter uns gesagt, lieber Murph,« erwiderte der Baron, »diese verwegene Mestize hätte längst dieselbe Strafe verdient, die Hoheit an Bakel hat vollstrecken lassen.« – »Ja, sie hat Blut genug vergossen, diese ausgefeimte und doch so schöne, verführerische Sünderin! Mich packt immer ein maßloser Schauder, wenn ich in einem schönen Körper eine verderbte Seele finde.« – »Hoheit bestehen also noch immer darauf, daß wir ihr zur Flucht aus der Feste verhelfen, in der sie auf Lebenszeit interniert worden?« – »Ja, und die Depesche, die ich heute früh, kurz vor Ihrem Eintritt erhielt, befiehlt, Cecilys Flucht so rasch wie möglich zu bewirken, überhaupt alles so einzurichten, daß sie in knapp vierzehn Tagen hier sein kann.« – »Ich verstehe das nicht. Durchlaucht zeigen doch immer so große Abneigung vor ihr.« – »Vermindert hat sie sich bestimmt nicht.« – »Und doch soll sie kommen? Leicht wird es ja schließlich, wenn Cecily nicht hält, was man von ihr erwartet, immer sein, ihre Auslieferung durchzusetzen. Was brauchts weiter, als dem Sohne des Gerolsteiner Kerkermeisters den Wink zu geben, daß man ihre Entführung durch ihn wünscht? Die Mestize wird sich zur Flucht nicht nötigen lassen. Ihrem Urteil entgeht sie ja nicht dadurch, denn sie bleibt nach wie vor eine Gefangene, deren Verhaftung Hoheit jederzeit beantragen kann.« – »Nun, wir werden ja sehen, was geschieht. Hoheit wünscht, daß von unsrer Kanzlei ein Trauschein Davids eingeholt werde, da David als Hofbeamter Seiner Hoheit in seinem Schlosse getraut worden ist. Als David von Hoheit erfuhr, daß Cecily kommen solle, war er wie versteinert. Dann rief er: »Hoffentlich ersparen mir Durchlaucht den Anblick dieses Ungeheuers.« – Darauf sagte Hoheit: »Aengstigen Sie sich nicht! Sie sollen das Weib nicht sehen; aber ich muß sie kommen lassen, da ich ihrer zu gewissen Plänen unbedingt bedarf.« – David fühlte sich durch diese Zusage erleichtert; daß er sich aber durch die Erinnerungen, die sich an dieses Weib knüpften, schwer bedrückt fühlt, glaube ich trotz allem.« – »Der arme Nigger ist ihr vielleicht noch immer gut. Eine sehr hübsche Person soll sie ja sein.« – »O gewiß, und nur das scharfe Auge eines Kreolen könnte das Mischblut in ihr erkennen.« – »Wie ist denn der David zu ihr gekommen, lieber Murph? Sie wissen, wie alles, gewiß auch das! Erzählen Sie es mir doch!« –


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